Am 21. Oktober 2016 fand ich mich um genau 14:30 Uhr am Neuen Markt ein und ging in das dortige Hotel, um im ersten Stock in etwa an jenen Ort zu gelangen, an dem auf die Minute genau vor 100 Jahren das tödliche Attentat von Friedrich Adler auf den damaligen österreichischen Ministerpräsidenten stattgefunden hat. „Nieder mit dem Absolutismus!“, soll er bei den Schüssen gerufen haben, und „Wir wollen den Frieden!“. Den Frieden mit einem Attentat durchsetzen? Aus unserer heutigen Perspektive ist hier schwer zu urteilen.
Die mühsam erkämpfte, quälend langsame Demokratisierung war 1914 im Keim erstickt worden. Mit § 14 des Staatsgrundgesetzes über die Reichsvertretung hatte der damalige Ministerpräsident Karl Stürgkh das Parlament aufgelöst und eine absolutistische Diktatur eingeführt, in Vorbereitung zum Ersten Weltkrieg. Niemand in der Opposition, niemand aus der sozialdemokratischen Bewegung, war bereit zu opponieren. Mit der allgemeinen Kriegseuphorie wurde auch das Ideal der internationalen Solidarität aller Unterdrückten, verkörpert in der Zweiten Internationale, einfach vergessen. Plötzlich herrschten wieder Nationalismus und Gewalt.
All das hat in Friedrich Adler eine heftige Ablehnung hervorgerufen. Er wollte die Linke aufrütteln, Taten setzen. Er wollte die Kriegsmaschine entlarven. Und was er tat, so sein Argument, war auch nichts anderes, als was die Offiziere an der Front taten: den Feind zu töten.
Als er am 21. Oktober 1916 zu Mittag in die Straßenbahn stieg, um zum Neuen Markt in Wien zu fahren und den Anschlag durchzuführen, war er sich der Tragweite seiner Handlung völlig bewusst. Er rechnete nicht damit, je wieder lebend in seine Wohnung zurück zu kehren. Um seine Haushälterin nicht zu belasten, hat er ihr vorher noch den Schlüssel zur Wohnung abgenommen. Der Mutter sagte er das gemeinsame Mittagessen ab.
Schließlich saß er im Hotel Meißl und Schadn dem Ministerpräsidenten schräg gegenüber und aß seine Henkersmahlzeit. Er wartete, bis alle Gäste seines Opfers gegangen waren, um sie nicht zu gefährden. Ja, er wartete sogar noch, bis die Dame vom Nachbarstisch das Restaurant verließ, damit sie nicht ein Querschläger treffen sollte. Später bedankte sie sich dafür mit einem netten Brief an Friedrich Adler ins Gefängnis.
Schließlich, um 14:30 Uhr, war es so weit. Jetzt oder nie. Ich kenne dieses Gefühl, zwar nicht von Anschlägen, aber vom politischen Aktionismus. Wie leicht wäre es, einfach nichts zu tun, wieder nach Hause zu gehen und das Leben den gewohnten Gang nehmen zu lassen. Nur die wenigsten überwinden diese Hürde und schreiten zur Tat. Friedrich Adler war einer von ihnen.
4 Schüsse gab er aus dem Revolver mit ausgestreckter Hand in 30 cm Entfernung zum Kopf seines Opfers ab. Einer streifte dessen Schulter, die anderen trafen tödlich. Dann ging er in den Vorraum, weil er befürchtete, gelyncht zu werden, übergab sich aber freiwillig dem Gericht und wurde schließlich zum Tode verurteilt.
Seine Verhandlung war ein politischer Prozess, von ihm explizit so angelegt. Eine Abrechnung mit Absolutismus und Kriegseuphorie, aber auch mit seiner eigenen Partei. Seine berühmte Verteidigungsrede wollte ich zum Vorbild für meine letzte Stellungnahme im Tierschutzprozess machen, aufgrund des zu erwartenden Freispruchs damals blieb ich aber sachbezogen und unpolitisch. Letztlich wurde Adler aber begnadigt und bereits 1918 amnestiert, war also keine 2 Jahre für einen politischen Mord im Gefängnis, den er rundheraus zugegeben hatte.
100 Jahre nach seiner Tat stehe ich neben dem Donnerbrunnen, und betrachte ein altes Bild des Platzes. Damals fuhr hier eine Straßenbahn, der Neue Markt war viel breiter und offener. Aber nicht nur das Straßenbild hat sich verändert. Heute führt unser Land keinen Krieg und wir haben eine Demokratie, deren Wert nicht zu unterschätzen ist. Auch wenn sie durch Jagdnetzwerke unterwandert wird, auch wenn politische Seilschaften, zu denen die Tierindustrie gehört, das Sagen haben und über die Köpfe der Menschen hinweg entscheiden, wir müssen sie verteidigen, und nicht uns durch Attentate außerhalb der Demokratie stellen. Wir haben viel zu viel zu verlieren.
danke für den spannenden kommentar!