22. November 2024

Univ.-Prof. Velten kritisiert die Richterin

Titel: Ein Prozess am LG Wr. Neustadt

Untertitel: „Die Wahrheitsfindung ist ausschließlich Angelegenheit des Gerichts“ oder wie man die Verteidigung neutralisiert

Unter diesem Titel hat die Vorständin des Instituts für Strafrecht der Uni Linz, Petra Velten, jetzt einen Fachartikel (Quelle: JSt 6/2010 Seiten 211-216) veröffentlicht. Darin beschreibt sie ihre Erlebnisse bei einem Besuch des Tierschutzprozesses am 13. 12. 2010 im Landesgericht Wr. Neustadt und unterzieht das Verhalten der Richterin einer scharfen Kritik. Leider verstößt es offenbar gegen das Mediengesetz, den gesamten Artikel hier online zu stellen und verlinken kann man ihn nicht. Daher müssen ein paar Auszüge reichen.

Zunächst beschreibt Velten ihr Entsetzen über die Art der Befragung durch die Richterin. „Die Richterin unternahm nicht einmal den Versuch (man war geneigt zu mutmaßen: sie ging nicht erst das Risiko ein) zu erfahren, was der Zeuge [in diesem Fall: der Führer der verdeckten Ermittlerin] aus eigenem Wissen erzählen würde.“ Stattdessen: „[Die Richterin] leitete die Vernehmung durch einen Katalog von Fragen, die der Zeuge meist mit nur einem Satz, oft sogar bloß mit ja beantworten konnte. Dieses enge Fragenkorsett wurde nie verlassen. […] Das sind Suggestivfragen, die §161 Abs 3 S 1 StPO grundsätzlich untersagt. […] Auf Suggestivfragen antworten Zeugen nämlich meist gehorsam im Sinne des Fragenden“.

Der Staatsanwalt durfte, wie immer, fragen wie er wollte: „Sodann durfte der Staatsanwalt fragen – ungehindert, unmittelbar und kontinuierlich.“

Und dann kam es zur Befragung durch die Verteidigung und die Angeklagten: „Darauf folgte das krasseste Beispiel für den vieldiskutierten Schulterschlusseffekt, das ich je in der forensischen Praxis erlebt habe. Als die Verteidiger und Verteidigerinnen mit ihrer Befragung begannen, wurden sie zunächst darüber belehrt, dass sie sachlich und ohne Emotionen zu fragen hätten. Der Zeuge wurde darüber unterrichtet, dass zuerst die Richterin über die Zulässigkeit der Fragen befinde, bevor er sie beantworten müsse. Vielleicht trifft es diese Belehrung besser, wenn man sie als Warnung an den Zeugen charakterisiert, nicht voreilig zu antworten, bevor die Frage nicht die Vorzensur durch das Gericht erfolgreich passiert habe. […] Die anschließende Befragung wurde in Fragmente zerrissen, deren Sinnzusammenhang man nachträglich kaum mehr rekonstruieren konnte, die Fragenden verloren ständig und notwendig den Faden, die Antworten wurden dem Zeugen zum Teil erspart, zum Teil verboten, zum Teil in den Mund gelegt.“

Und weiter: „Schließlich überprüfte die Richterin bei jeder Frage deren Relevanz. Kam sie zu der Einschätzung, dass eine Frage keine Relevanz besaß, dann ließ sie sie nicht zu. Auf diese Weise nötigte sie die Verteidigung dazu, zur Begründung der Frage ihr Frageziel zu erläutern. Bei vielen Fragen […] ist es allerdings so, dass sie keinen Sinn mehr haben, wenn der/die Gefragte weiß, worauf der/die Fragende hinaus will. Selbst wenn also im Anschluss daran eine solche Frage zugelassen wurde, dann ist sie inhaltlich sinnlos geworden.“

„Eine weitere Variante der Störung des Frageflusses bestand nun darin, die Frage stets erst nach einer Umformulierung durch das Gericht an den Zeugen weiterzugeben. Eine unmittelbare Befragung durch die Verteidigung war daher nicht möglich […]. Vielfach unterbrach die Richterin mit eigenen Fragen die anwaltliche Befragung. Noch bevor der Zeuge antworten konnte, intervenierte sie und glättete mit einigen Nachfragen Widersprüche und bot dem Zeugen plausible Auswege aus dem Widerspruch an. Der Zeuge nahm dieses Angebot dankbar an. […] Diese Fragetechnik hat nicht nur möglicherweise verhindert, dass die Wahrheit ans Tageslicht kam, sie stellt zudem einen ganz eklatanten (erneuten) Widerspruch gegen §161 Abs 3 S1 StPO dar, und sie belegte die offenkundige Voreingenommenheit der Richterin. Das Vertrauen, dass die Angeklagten hier einen fairen Prozess erhalten, kann man kaum mehr haben.“

Soweit die objektive und unabhängige Beobachterin Prof. Velten. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Außer vielleicht, dass ich diesen Fachartikel bei nächster Gelegenheit der Richterin vorhalten und seinen Inhalt dadurch in den Prozess einbringen werde.

14 Gedanken zu “Univ.-Prof. Velten kritisiert die Richterin

  1. Irgendwer scheint da jetzt beleidigt zu sein.
    Na jedenfalls wird “überprüft”.
    Erwartet jemand, dass Veltens Ansicht irgend eine Art der Bestätigung erfahren wird, abgesehen von der Möglichkeit, dass ihre Sicht dem breiten Spektrum der Meinungsfreiheit geschuldet sein könnte, auch wenn sie eben eine “extreme” Ansicht hätte…?

    http://derstandard.at/1296696529254/Tierschuetzer-Prozess-Anzeige-gegen-Strafrechtlerin-Velten-weil-Ruf-der-Justiz-in-Gefahr

  2. Jetzt entspringt diesem kafkaeseken Gesinnungs- und Meinungsfreiheitsprozess ja auch noch eine Anklage gegen die Freiheit der Wissenschaft. Prof Veltens wissenschaftliche Freiheit ist der Inquisition ein Dorn im Auge.

  3. Gegen eine unabhängige Justiz wäre ja nichts zu sagen, aber an geltende Gesetze sollte sie sich halten.

    Wenn man sich an die Antikorruptionstaatsanwaltschaft wendet, ist das anscheinend so, als würde man sich beim Salzamt beschweren.

    1.780 Anzeigen liefen im Briefkasten der KStA im Kalenderjahr 2009 ein.
    550 dieser Anzeigen wurden gleich ausgesondert und „normalen“ Staatsanwaltschaften per Bote „übertragen“.
    1.230 Anzeigen blieben in der KStA und wurden fast alle eingestellt.
    16 Anklageschriften wurden aus den 1.230 Anzeigen verfasst.

    99% der Verfahren wurden eingestellt.

    http://sicherheitwien.wordpress.com/2009/12/30/korruptionsstaatsanwaltschaft-stellt-99-prozent-der-anzeigen-ein/

    Die häkerln uns, hätte man früher gesagt.

    Da der Kurier jetzt ja ein österr. wikileaks, genannt austroleaks (https://austroleaks.kurier.at/) auf die Beine gestellt hat, kann es ja nicht so schwer sein, eventuelle Verfehlungen österr. Beamter aufzudecken. Die Frage ist nur, wem das nützt, wenn sowieso nichts getan wird.

    Aber wer möchte kann sich an austroleaks@kurier.at wenden, ein Fax (01-52100-2726) oder einen Brief (KURIER, Ressort für Investigative Recherche, Lindeng. 52, 1072 Wien schicken.

    Ich bin schon neugierig, was der Kurier präsentieren wird.

    Herr Balluch, kämpfen sie um ihr Recht, auch wenn es aussichtslos scheint. Zumindest setzen sie ein Zeichen. Versuchen sie alles was möglich und unmöglich ist. Durch diesen Prozess bieten sie vielen Menschen Einblick in unser politisches System. Das alleine hilft schon, einiges mit anderen Augen zu betrachten. Kränken sie sich nicht, wenn sie bespitzelt wurden und vielleich noch immer werden (kann man ja nie so genau wissen). Es ist doch schön, wenn die österreichische Polizei sich freiwillig am Tierschutz beteiligt. Ich hoffe, die Damen Spitzel haben auch hin und wieder gespendet. 🙂

  4. Ob irgendwann alle Tatsachen ans Licht kommen? Wie wäre es mit einer verdeckten Ermittlerin in Justizministerium, bei der Polizei oder im Gericht? Es müsste halt eine Person sein, die sehr gerne viel, sehr viel, schreibt….

  5. Warum nicht ganz Österreich auf den Barrikaden ist? Nur eine Theorie: Wir halten es für legitim, gegen Polititker auf die Barrikaden zu steigen. Schließlich und endlich haben wir sie gewählt und erwarten, dass sie sich von uns beeinflussen lassen. Dagegen wollen wir eine unabhängige und unbeeinflussbare Judikative. Wir haben Hemmungen eine unabhängige Justiz beeinflussen zu wollen. Das ist auch gut so. Blöderweise gibt es genug Leute, die da gar keine Hemmungen haben.

  6. “Die Entpolitisierung der Massen ist geradezu eine der Existenzbedingungen des politischen Staates in seiner heutigen Form.“ (Kreisky, Eva, 1972)

  7. Sehr geehrter Christian, s.g. Silvia!
    In der Nacht vom 23. auf den 24. Januar 1977 mussten 6 Menschen im indischen Ozean elend krepieren, sechs weitere wurden durch Zufall von einem türkischen Dampfer gerettet. Sie trieben nackt auf einem Rettungsboot an der tiefsten Stelle des Meeres. Der Mörder Udo Proksch war ein guter Freund des Innen- und Außenministers. Hans Pretterebner hat diesen “Fall Lucona” aufgedeckt. Er musste Repressalien erdulden und wäre 2 Mal fast ermordet worden! In seinem Buch “Netzwerk der Macht” (Wien, 1993)schreibt Pretterebner: In Österreich werden Skandale in der Regel nicht aufgedeckt. Und wenn es jemand versucht, egal ob Beamter, Journalist oder Oppositionspolitiker, so zieht er sich augenblicklich den HASS der gesamten KASTE der KORRUPTIONSNUTZNIESSER zu. Er/sie wird bekämpft, ausgegrenzt und zum Paria abgestempelt. Die ALLMACHT der politischen Parteien, die in Österreich den Staat, die Gesellschaft, die Wirtschaft, die Medien und die JUSTIZ in ihrem Spinnennetz gefangen hält, läßt eine wirkungsvolle Korruptionsbekämpfung schon von vorneherein gar nicht zu. Konsequenzen zieht man praktisch nie. Und die Bevölkerung ist abgestumpft (das war schon immer so….) Man nimmt mittlerweile fast schon jede Lüge widerspruchslos hin. Ende Zitat. Ihr fragt Euch, warum es keinen Aufschrei in der “Bevölkerung” gibt? Die Antwort gibt Pretterebner trefflich: Die Nutznießer sind groß. Die meisten denken nur an ihr nächstes Handy, ob Rapid gewinnt und das Schnitzel auf dem Tisch ist…..Alles andere ist so was von wurscht. Wen wundert es, wenn sogar wahlberechtigte Jugendliche denken, dass KH Grasser der Bürgermeister von Wien ist……

    Ps: Auch ich denke, dass diese Richterin ausgetauscht gehört. Im Buch “Netzwerk der Macht” beschreibt Pretterebner die Interventionen der Minister zugunsten ihres Freundes Udo Proksch, Millionenbetrüger und 6-facher Mörder. Die Kronenzeitung titelte: Der Kapitän der Lucona hat das Schiff selbst versenkt. Weil 6 Personen überlebten, waren sie selbst in Lebensgefahr. In Wien wurde Proksch immer der “Schifferlversenker” genannt – extrem verharmlosend. Meine Interpretation: Die ÖsterreicherInnen sind über Jahrhunderte durch Monarchie und Katholizismus unterdrückt und autoritätshörig gemacht wurden, sie können nicht protestieren!

  8. Hallo Christian,
    komisch, sowas ähliches wollte ich auch gerade schreiben!
    Nämlich, daß es mich wundert, wieso nicht schon alle auf den Barrikaden sind!
    Wieso nicht in diesem Fall?

  9. Das ein auf diese Art geführter Prozess nicht beobachtet und daraufhin die Art und Weise geändert, die Richterin ersetzt wird, ist für mich schier unglaublich. Ähnliches kenne ich nur vom deutschen Volksgerichtshof der Nazis und von russischen Prozessen der Stalinära. Arme Angeklagte, armes Österreich!
    Dass es keinen lauten Aufschrei der österreichischen Bevölkerung gegen solch eine Praxis gibt, ist ein nächster Skandal!

  10. S.g. Frau Prozessbeobachterin,
    natürlich habe ich die oben gestellte Frage sehr überzogen formuliert. In einem Punkt ist seit dem Mittelalter aber wirklich
    nicht allzuviel weitergegangen :
    Die vielzitierte “Gleichheit vor dem Gesetz” gibt es
    auch heute noch nicht !
    De iure gibt es sie selbstverständlich schon,
    aber de facto nicht !
    (Was allerdings nicht unbedingt ein spezifisch österreichisches
    Problem darstellt !)

  11. S.g. Herr Schröter, diese Frage versuche ich ja differenziert in meinem Blog http://justizaustria.blogspot.com zu behandeln! Es gibt doch diverse Unterschiede zum Mittelalter! Zwar haben sich schon die mittelalterlichen Theologen gefragt, ob Tiere eine Seele haben. Allerdings konnte man im 13. Jahrhundert kaum eine Sachwalterschaft für einen Schimpansen beantragen, wie es Herr Balluch laut PRESSE 23.1.2011 bei einem österr. Bezirksgericht gemacht hat. Allerdings erwies sich der Schimpanse Hiasl in 2. Instanz (Wr. Neustadt) als nicht Rekurs-legitimiert! Welch Unglück! Unsere aufgeblähte Bürokratie und Verwaltung geht ja auf Joseph II. (1780 – 1790) zurück, also sind wir doch über das Mittelalter hinausgekommen – zumindest PRO FORMA! Hexenprozesse gab es zu allen Zeiten, heute wird die Hinrichtung eben im Fernsehen übertragen, im Mittelalter fand sie auf dem Marktplatz statt. Andererseits haben wir auch andere Möglichkeiten heutzutage. Für eine Hexe, der der Scheiterhaufen drohte, konnte keine Facebook-Solidaritätsgruppe gegründet werden!

  12. Ich erinnere an die äußerst mutigen Aussagen von Frau Prof. Velten im Club 2 zum Thema “Wie weit darf der Staat im Kampf gegen Tierschutz gehen” (ich weiß, der Titel war anders) Frau Professor ist offensichtlich mit den österreichischen Gepflogenheiten bei der Justiz und Polizei nicht ganz vertraut. Ein Innenminister hat z.B. Weisungen gegeben, einen Mörder und Millionenbetrüger wie Udo Proksch nicht zu verfolgen. Daher ist Frau Professor darüber verwundert, dass der “Eindruck” entsteht, dass das Urteil bereits im Vorfeld abgesprochen ist! Siehe dazu meinen Blog: Tierschützerprozess und mittelalterliche Inquisitionsverfahren: Der Versuch eines Vergleichs!
    http://justizaustria.blogspot.com/2011/01/tierschutzerprozess-in-wiener-neustadt.html

    Frage: Befindet sich Österreich im Rückwärtsgang Richtung Mittelalter?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert