21. November 2024

„Animal Rights and Moral Philosophy“ von Julian Franklin, Columbia University Press 2005

Sich für Tierrechte bewusst zu entscheiden und danach zu leben ist in den meisten Fällen keine Folge wissenschaftlich-rationaler Schlussfolgerungen, weil Menschen keine rationalen Tiere sind. Julian Franklin, ein emeritierter Politikwissenschaftsprofessor der Uni Columbia in New York, erkennt diesen Umstand an, schreibt aber dennoch ein Buch über das philosophische Konzept von Tierrechten, um es auf solide Füße zu stellen. Das Ergebnis ist ein kurzer und sehr lesbarer Text (120 Seiten), der aber an den entscheidenden Stellen etwas zu salopp und oberflächlich argumentiert. Ein bisschen befremdlich wirken die Schlussfolgerungen in Sachen Umweltethik.

Peter Singer ist Utilitarist, ihm geht es also um das Minimieren von Leid. Franklin anerkennt Singers wesentliche Rolle dabei, die moderne Tierrechtsbewegung ausgelöst zu haben, was ihn aber nicht daran hindert, Singers Thesen scharf zu kritisieren und für untragbar zu halten. Die Leidensminimierung eines Kollektivs übergeht leicht die Bedürfnisse von Individuen und kann dadurch sehr brutale Konsequenzen haben. Das grundsätzliche Problem des Utilitarismus, Leiden und Freuden verschiedener Wesen miteinander zu vergleichen, hält Franklin für nicht so relevant.

Tom Regans Tierrechtsphilosophie des gleichen inhärenten Werts aller Subjekte eines Lebens steht Franklins Vorstellungen schon viel näher. Aber Regan, so Franklin, gehe von der Prämisse aus, dass nichtmenschliche Tiere zumindest moralisch relevant seien, was man aber nicht voraussetzen könne. Regan folgert daraus mit einer Portion moralischer Intuition, dass zumindest Säugetiere ab dem Alter von 1 Jahr den gleichen inhärenten Wert wie Menschen haben müssen, die speziesistische Position ihrer Minderwertigkeit sei nämlich rational nicht haltbar. Dieser inhärente Wert ist aber nicht von den Qualitäten dieser Lebewesen abhängig, sondern ist ein metaphysisches Postulat, das quasi widerspiegle, wie sehr jedes Subjekt eines Lebens subjektiv das eigene Leben wertschätzt.

Franklin ist mit beiden diesen Thesen nicht ganz zufrieden. Mit Immanuel Kant empfindet er metaphysische Postulate zu wackelig, um darauf Moraltheorien zu bauen, die dann Allgemeingültigkeit beanspruchen. Doch nach Kants Metaphysik der Sitten sind nichtmenschliche Tiere lediglich Mittel zum Zweck für Menschen, Tierschutz könne nur damit begründet sein, dass Grausamkeit gegenüber anderen Tieren die Menschen verrohe. Franklin möchte nun zeigen, dass Kant zwar grundsätzlich recht hatte, aber bzgl. nichtmenschlicher Tiere irrte.

Kants Sittenlehre mündet in verschiedene Formen des kategorischen Imperativs, der besagt, dass die Maxime des Handelns als allgemeines Gesetz gelten können müssen, sozusagen universalisierbar sind. Mit anderen Worten: wer rational-moralisch handelt, muss nach Grundprinzipien handeln, die Allgemeingültigkeit beanspruchen können. Wenn Hans die Maxime aufstellt, Hans habe ein Recht auf Leben, dann sei das nicht universell, sondern speziell, sozusagen ein Hans-Spezialgesetz. Erweitern wir diese Maxime auf die Regel, alle Menschen haben ein Recht auf Leben, dann, so Franklin, sei auch das nicht allgemein genug. Statt „Menschen“ müsse „Leidensfähige“ als die größtmögliche Universalisierung stehen. Der kategorische Imperativ nach Franklin lautet dann: Handle immer so, dass die Leidensfähigkeit, ob jene von dir oder anderen, nie als Mittel zum Zweck, sondern immer als Zweck an sich, respektiert wird. Dass Kants Motivation zu moralischem Handeln aus dem Respekt vor der Rationalität und damit vor dem moralischen Pflichtgefühl, statt aus dem Mitleid, entsteht, beflügelt Franklin. Das könne er nachempfinden.

Trotzdem für Tom Regan alle Subjekte eines Lebens den gleichen inhärenten Wert haben, würde er im Beispiel eines Rettungsboots, das an Überfüllung untergeht, auch 1 Million Hunde über Bord werfen, um nur einen einzigen Menschen zu retten. Das deshalb, weil Menschen angeblich eine tiefere Empfindungsfähigkeit als andere Tiere und deshalb ein wertvolleres Leben hätten. Franklin will diese Lebenswertdifferenz aber nicht Verabsolutieren. So sagt er, es sei allgemeiner Konsens, dass z.B. im Rettungsboot Männer für die Rettung von Frauen und Kindern über Bord müssten (siehe Titanik), aber dennoch würde er zögern, 1 Million Männer für das Leben einer einzigen Frau zu opfern.

Stattdessen postuliert er zwei Prinzipien für den Ausgleich zweier Interessen im Konfliktfall:
•    Man dürfe diejenigen, mit denen man eine engere Bindung hat, bevorzugen, also Menschen vor anderen Tieren und die eigene Familie vor einer fremden
•    Das stärkere Interesse komme vor dem schwächeren

Und diese Prinzipien führen Franklin dazu, im Konflikt der Interessen der menschlichen Gesellschaft mit den Interessen von anderen Tieren praktisch immer den Menschen den Vorzug zu geben. Zwar müssten die nichtmenschlichen Tiere mit humanen Methoden entfernt werden, aber das menschliche Bedürfnis auf ein gutes Leben gehe vor, wenn z.B. wilde Ökosysteme kultiviert, Straßen gebaut, Felder geschützt und Häuser von Mäusen oder Gärten von Rehen befreit werden sollen. Man dürfe diese Tiere zwar nicht instrumentalisieren, also z.B. nicht zu Fleisch verarbeiten (Franklin gibt an seit 1982 vegetarisch zu leben) und mit ihnen keine Tierversuche machen, aber im Konflikt um dieselben Ressourcen hätten Menschen fast uneingeschränkt Vorrang.

5 Gedanken zu “„Animal Rights and Moral Philosophy“ von Julian Franklin, Columbia University Press 2005

  1. Man darf alles. Wo steht dass man etwas nicht darf?

    Menschen reagieren immer gleich. Jeder entscheidet selbst wer oder was einem wichtig ist und was nicht. Wenn es nur eine Frau, aber 1000 Männer gibt, wird diese eine Frau ungeheuer wichtig. Umgekehrt ist es genauso, aber weil die Fortpflanzung nur weniger Männer braucht, wird ein Mann unter 1000 Frauen doch nicht ganz so wichtig sein. Wenn jemand eine Kuh hat, von deren Milch er lebt, wird ihm diese Kuh wichtig sein. Hat er tausende Kühe, werden diese ihm unwichtig. Deshalb ist Gold wichtig und teuer, ebenso wie Diamanten. Davon gibt es wenig. Das ist der inflationäre Charakter der Dinge. Da können Philosphen noch so abgefahrene, im Prinzip religiöse Theorien aufstellen – es bleiben Theorien, die keinerlei Relevanz haben. Es geht ums Überleben und die Notwendigkeiten entscheiden. Der Mensch trifft die bereits vorprogrammierten Entscheidungen. Heute sind Menschen nicht wichtig. Es gibt genug davon, eigentlich viel zu viele. Deshalb gibt es auch Waffen, mit denen man Millionen auf einen Schlag ausrotten kann. Sicher wäre es anders schöner und angenehmer, aber es ist eben nicht anders.

    1. @ Susanne Veronika: Auch wenn Sie in vielem Recht haben, zeugt Ihr Statement von einer Weltsicht, bei der man sich fragt, worin Ihre Hoffnungen und vor allem, woraus Ihre Lösungsvorschläge bestehen.
      Wir sind heute auf folgende beiden Filme aufmerksam gemacht worden http://www.youtube.com/embed/kLMbePMdNOY
      und bitten darum, sich diese anzusehen.

      Wir bekommen tagtäglich viel mehr Filme und Hinweise, die die Grausamkeit und Destruktivität des Menschen zeigen und beschreiben. Dennoch: der Mensch hat das Potenzial zur Güte, zur Liebe, zur Achtung, zur Rücksicht, zur Selbstreflektion und zu menschlichem (im positiven Sinne verstanden) Tätigsein in sich. Die Frage muss lauten, was getan werden muss, damit aus dem Täter Mensch ein menschlich Tätiger werden kann.

      Ethik wird als “die Lehre über die Sittlichkeit” definiert. Ethik muss in Gesetzgebung und auch in Verbotsvorschriften Einzug halten. Vor allem aber ist die Ethik eine Lehre von Geboten und nicht von Verboten. Ethik ist eine Ausdrucksform der geistigen Haltung von Menschen und somit ist sie bei der Frage, wie sie etabliert werden kann, zuvorderst eine psychologische Aufgabe und nicht primär eine philosophische, was wir auch erst in den letzten 15 Jahren befgriffen haben.
      Menschen, die in Disharmonie und unter chaotischen sozialen Verhältnissen aufwuchsen, haben dies in sich und werden dies ihrerseits praktizieren und hierdurch verbreiten und über andere, ob Menschen, Tiere oder Mitwelt bringen. So ist es ja auch bei den Tieren. Tiere aus miserablen Haltungsbedingungen bleiben oft lebenslang psychisch gestört und sozial inkompatibel. Es mag Ausnahmen geben, wie auch beim Menschen, aber die Regel bleibt es dennoch.
      Wenn also die Menschen in die Biosphäre reintegriert, und mit ihrer gesamten Mitwelt ausgesöhnt werden sollen, dann geht das nur, wenn beide Sphären – nämlich die Welt, die IN den Menschen ist(= Psyche) ebenso berücksichtigen, wie die Welt, die MIT den Menschen ist (soziales Umfeld, Mitwelt etc.), denn die eine Welt ist eine jeweilige Projektion der anderen und umgekehrt.
      Ethik kann nicht die Suche nach einer etwaigen Legitimation dazu sein, Böses zu tun (dieses Tier leidet weniger, deshalb darf ich es mehr quälen als das andere), sondern ist die ständige Suche nach Möglichkeiten, Gutes zu tun – ohne Ansehen desjenigen, den man vor sich hat. Deshalb ist der Pathozentrismus die falsche Philosophie, denn er grenzt aus, staffelt Intrinsitäten nach willkürlichen Kriterien. Der Biozentrismus indes integriert, da er Respekt und Achtung vor jeder Form von Leben beinhaltet. Unter der Vorraussetzung, dass dieser Grundwert in die Psychen der Menschen Einzug hielt, besteht dann gar nicht mehr die Gefahr, dass Willkür und Ignoranz zu Ungerechtigkeiten im Verhalten gegenüber anderen und Andersartigen aufkommt.

  2. Natürlich ist meine Schwester und mein Hund mir näher als fremde Menschen und Tiere. Aber das bedeutet nicht, dass ich bei einem Resources-Konflikt, bei dem meine Schwester aus Profit oder Lustgier vorgeht und fremde Tiere oder Menschen um ihren Überlebensraum kämpfen, ich meine Schwester unterstützen würde.
    Das ist aber auch egal, da dieses theoretische Beispiel von einer unendlichen Welt mit unendlichen Ressourcen ausgeht. In der Realität sind unsere Ressourcen begrenzt und wenn fremde Tiere und Natur nicht überleben könnten gäbe es Niemanden und Nichts, das diese Ressourcen nachhaltig wieder für Menschen herstellen kann. Tierschutz ist Menschenschutz ist Selbstschutz in der Praxis.
    Theoretisch bin ich kein Singer Fan, da ich leichter Individuen und nicht Gruppen wahrnehme. Wenn irgendein Recht nicht das schwächere Individuum sondern nur die stärkere Gruppe schützen kann ist es, für mich, im besten Fall Papierverschwendung. Aber in der Praxis geht es hier auch nicht um Individuum vs. Gruppe oder Leidensfähigkeit vs. Empfindungsfähigkeit. In der Praxis geht es um Gruppe und Individuum, Leidens- und Empfindungsfähigkeit, Tier- und Menschenrechte… Tierrechte sind Menschenrechte und aus genau den gleichen Gründen!

  3. Frage: Wenn jemand einen Wurm liebt, darf er dann dessen Leben als wichtiger erachten als das irgendeines Menschen?

    Uns ist diese Form der Argumentation einfach zu realitätsfern und voller Subjektivität. Da werden Fallbeispiele durchgespielt, die es real nicht gibt bzw. nicht geben kann. Singer und Regan sind Speziesisten und Anthropozentriker – das monieren wir schon lange und verstehen deshalb nicht, weshalb sich die Tierrechtsszene auf diese Leute beruft.
    Der Pathozentrismus ist doch ebenfalls ein speziesistischer Ansatz, denn er stellt auf Leidensfähigkeit ab und unterstellt, dass es nicht leidensfähige Lebewesen gibt. In Wahrheit aber meint er immer die menschliche Leidensfähigkeit. Menschenählichkeit in allen Bereichen bestimmt demnach die Schutzwürdigkeit einer Kreatur und dies wiederum ist dann anthropozentrischer Pathozentrismus, der sich dann in Spinnereien wie das “Great Ape Project” manifestiert.

    Wir vertreten eine egalitär-biozentrische Ethik. Uns geht es nicht um Leidensfähigkeit, sondern um Empfindungsfähigkeit, die nicht menschenähnlich sein muss, um als solche anerkannt zu werden.
    Der Biozentrismus wäre im Übrigen eine philosophische Ethik, die alle mit dem Schutz von Leben und Lebenssystemen befassten Strömungen einen könnte – im Gegensatz zum Pathozentrismus.
    Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf drei Texte (es befinden sich noch mehr auf unserer website – Rubrik Material-Texte):
    http://www.akt-mitweltethik.de/images/texte/Grundlagen_der_Mitweltethik.pdf
    http://www.akt-mitweltethik.de/images/texte/METH2000_.pdf
    http://www.akt-mitweltethik.de/images/texte/WURM_.pdf

  4. Philosophie ist das Eine, Realität das andere. 😉

    Würde Tom Regan in einem zerklüfteten Gebiet blind umherirren und man würde ihn wählen lassen zwischen dem Leben einer Million Menschen, die nichts anderes im Sinn haben, als ihn, seine Verwandten und seine Freunde, zu foltern und zu töten – und einem Blindenhund, der ihn sicher nach Hause bringt – er würde den Hund wählen und die Menschen ersaufen lassen. Sollte er sich anders entscheiden, ist er ein Idiot.

    Niemand ist wertvoll, oder wertlos. Niemand wird um seiner selbst Willen geliebt. Nur religiöse Träumer “lieben” jeden Menschen. Nicht weil sie lieben, sondern weil sie in den Himmel kommen wollen. In Wahrheit sind ihnen diese Menschen alle egal, sie wissen es nur nicht. Sie foltern und töten angebliche Hexen deshalb aus Liebe, weil sie deren Seelen retten wollen. Man liebt wen man brauchen kann, oder wenn jemand die richtigen Hormone bei einem aktivieren kann. Alles andere ist Einbildung.

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