5. November 2024

Autor Kaplan meint, die Tierrechtsbewegung scheitert

Helmut Kaplan hat bereits sehr viele Bücher zu Tierrechten verfasst. Das letzte heißt “Die Tierrechtsidee und ihre Feinde”. Es will erklären, warum die Tierrechtsbewegung (bisher?) gescheitert ist und warum wir heute weniger weit bei der Umsetzung von Tierrechten stehen, als noch vor 20 Jahren. Kaplan führt das auf 3 Ursachen zurück:

  • Die Cancel Culture würde gewisse Diskussionen verbieten: als einziges Beispiel nennt Kaplan die Verwendung des sogenannten KZ-Vergleichs in der Tierrechtsbewegung, also den Vergleich von einem KZ im Dritten Reich mit einer Tierfabrik heute, der durch Wokeismus quasi verboten wird
  • Die Bio-Lüge: Kaplan meint, die Haltung von Tieren in Biobetrieben sei gar nicht wirklich besser und jedenfalls kein Schritt Richtung Tierrechte
  • Komplizierte Tierrechtsliteratur: Kaplan diskutiert verschiedene Werke aus der Tierrechtsphilosophie und meint, sie seien zu kompliziert, zu widersprüchlich und zu akademisch, sodass die Menschen verwirrt zurück blieben und die Tierrechtsidee nicht verstünden

Die Thesen bedürften jeweils einer eigenen Diskussion. Kurz gesagt meine Meinung, der KZ-Vergleich ist gar nicht hilfreich, um Menschen für die Tierrechtsidee zu gewinnen, Bio ist keine Lüge, sondern die Tiere haben es deutlich besser und das ist in der Tat ein Schritt Richtung Tierrechte, und komplizierte Tierrechtsbücher sind ja keine Propagandaschriften, die sich an die Normalbevölkerung richten, sondern die mühsame Auseinandersetzung mit einer Ethik, die Tiere einbezieht, und für jenen kleinen Prozentsatz der Menschheit gedacht sind, der sich detailliert mit diesen Fragen auseinandersetzen will. Ich sehe jedenfalls in allen 3 Punkten keinen Nachteil für die Tierrechtsbewegung, obwohl mir in der Cancel Culture andere Beispiele einfielen, die sehr wohl nachteilig sind und die Diskussion hemmen. Aber davon anderswo.

Was ich bei Kaplans Buch grundsätzlich in Frage stelle, ist seine These, dass die Tierrechtsbewegung scheitert und in den letzten Jahrzehnten rückläufig war. Interessant ist, dass Kaplan diese doch gewichtige Aussage an den Anfang seines Buches setzt und gar nicht diskutiert. Woran macht er das fest? Ich habe ihn angeschrieben und gefragt, aber er wollte das nicht näher erläutern, er sagte bloß, dass heute kaum noch jemand das Wort Tierrechte kennen würde. Fast habe ich den Eindruck, für Kaplan war diese Behauptung des Scheiterns der Tierrechtsbewegung beim Schreiben seines Buches eine offensichtliche Selbstverständlichkeit, von der er annahm, dass er sie gar nicht zu diskutieren brauche. Das ist wirklich seltsam.

Ich behaupte das Gegenteil. In den letzten 20 Jahren haben wir uns mit großen Schritten Richtung Tierrechte bewegt. Wir sind zwar vom Ziel noch weit entfernt, aber deutlich näher als vor 20 Jahren. Warum behaupte ich das? Ich führe als Beleg folgende Beobachtungen an:

  • Die Gesetze zum Schutz der Tiere sind heute viel komplexer, strenger, länger und detaillierter: Ein Thema, das von der Gesellschaft wichtiger genommen wird, hat mehr Regeln und höhere Strafen bei Vergehen, als ein Thema, das der Gesellschaft egal ist. Die Komplexität des Tierschutzrechts beweist also, dass der Umgang mit Tieren der Gesellschaft wichtiger geworden ist.
  • Tierschutz als Staatsziel in der Bundesverfassung: Staatsziele sind Übereinkünfte in der Gesellschaft, welche Themen besonders wichtig sind. Die Staatszielbestimmung zwingt die Behörden auf allen Ebenen, den Tierschutz zu fördern.
  • Vegan ist allgegenwärtig: Der Begriff “vegan” ist nicht nur in aller Munde und wird immer häufiger in der medialen Berichterstattung und in der Werbung gebraucht, es steigt auch das vegane Angebot im Handel rapide an. Und Umfragen zeigen, dass sich viele Menschen aus tierethischen Gründen für vegan interessieren.
  • Anzeigen gegen Tierquälerei nehmen massiv zu: Wenn die Bevölkerung zunehmend auf Tierleid sensibel reagiert, dann gehen viel mehr Meldungen aus der Bevölkerung von Tierquälerei bei NGOs und Tierschutzombudsschaften ein, und es werden viel mehr private Anzeigen eingebracht.
  • Präsenz von Tierschutzthemen in der Politik: Bei der letzten Nationalratswahl 2019 hatten viele Parteien Tierschutzprogramme und es gab einige TV-Diskussionen der Tierschutzsprecher:innen. Das ist ein Novum. Erst 2005 haben sich die Bundesparteien Tierschutzsprecher:innen zugelegt. Mittlerweile gibt es die Bezeichnung “Tierschutzministerium”.
  • Tierschutz-NGOs mit einer Tierrechtsagenda werden zunehmend größer: Jahr für Jahr wachsen die Budgets der großen Tierschutz-NGOs und bekommen sie mehr Mitglieder. Das geht bisher jedenfalls nicht mit einer deutlichen Mäßigung der Tierrechtsbotschaft einher.
  • Tierschutzombudsschaften werden relevanter: Im Jahr 2005 wurden die Tierschutzombudsschaften in den Bundesländern eingeführt, um, wie es heißt, die Interessen des Tierschutzes zu vertreten. De facto können sie im Namen betroffener Tiere in behördliche und gerichtliche Verfahren eingreifen, in Verwaltungsverfahren und Verwaltungsstrafverfahren. Über die Jahre wurde ihre Kompetenz stetig erweitert, mittlerweile auch auf Tiertransporte, ein bisschen auf Tierversuche und auf das Strafrecht.

Diese genannten Punkte sind für mich alles Meilensteine auf dem Weg zu Tierrechten. Realistisch gesehen kann der Wechsel zu Tierrechten nur durch eine stetige Erhöhung der gesellschaftlichen Wertschätzung von Tieren kommen. Und diese Punkte sind Belege dafür, dass Tiere und ihr Schicksal in der Gesellschaft immer wichtiger werden. Nein, keiner der Punkte für sich begeistert mich bereits, aber sie sind deutlich weiter entwickelt als noch vor 20 Jahren, und es wird immer besser.

Ich vermute Kaplan würde zu diesen Punkten sagen, dass es sich lediglich um Tierschutz und nicht um Tierrechte handelt. Doch anderswo habe ich detailliert argumentiert, dass wir Tierrechte nur über eine stetige Verbesserung des Tierschutzes erreichen. Politisch und psychologisch gibt es ein Kontinuum von beliebiger Tiernutzung über Tierschutz bis zu Tierrechten. Jede echte Verbesserung im Tierschutz ist also ein Schritt Richtung Tierrechte. Absurd wäre die Vorstellung, dass die Gesellschaft im Großen Tiere überhaupt nicht interessiert und ihre Nutzung nicht einschränkt, während sich eine Minderheit veganer Tierrechtler:innen bildet, die immer mehr werden, bis sie die Macht übernehmen und Tierrechte umsetzen. Das ist komplett irreal. Tierrechte können nur durch konsequenten Tierschutz in der gesamten Gesellschaft realisiert werden, anders ist das nicht vorstellbar.

3 Gedanken zu “Autor Kaplan meint, die Tierrechtsbewegung scheitert

  1. Ich befürchte, Helmut Kaplan verwechselt den Umstand, dass das Interesse der Tierrechtsszene an ihm und seinen Büchern (die er bezeichnenderweise seit Jahren im Selbstverlag, sprich: ohne Redaktion oder Lektorat) herausbringt, sich seit gut 20 Jahren dem Nullpunkt entgegenbewegt, mit einem vermeintlichen Scheitern der Tierrechtsbewegung selbst.

    Bedauerliche Tatsache ist, dass er selbst ganz einfach den Anschluß verloren hat und daher meint, die Bewegung, die er bis vor gut 20 Jahren maßgebend mitaufgebaut bzw. mitgeprägt hat (zumindest in Österreich), gebe es heute gar nicht mehr.

    Doch, es gibt sie, und sie kann durchaus Erfolge vorweisen; und sie wächst kontinuierlich. Leider kann Helmut Kaplan das nicht sehen; oder sich einfach nicht eingestehen, dass er und seine Bücher dabei keine nennenswerte Rolle mehr spielen. Und das liegt nicht unbedingt an der Bewegung.

  2. Ich danke euch beiden für eure Arbeit. Es benötigt ein Ecosystem an Argumenten und Ansätzen um die Sklaverei von Tieren und den Natur Kolonialismus zu beenden. Martin und der VGT stehen für einen sehr guten Mix imo. Akademische Ethik und Literatur für Aktivisten (vegan) und einfach verständlich und erreichbare Ziele für die Gesellschaft (Balluch Curve).

    Dass Schwule heute heiraten können, kam nicht von heute auf morgen, sondern hat viele kleine gesellschaftliche Schritte der Akzeptanz und des gesellschaftlichen Verständnisses benötigt. Klar hätten Schwule schon immer heiraten können sollen. Aber wenn sich jemand als ersten Schritt dafür einsetzt, dass schwul sein legal wird, noch nicht heiraten, dann ist man doch nicht anti-heiraten. Man hat heiraten als Ziel, geht aber den ersten Schritt, der gesellschaftlich möglich ist.

    Die letzten 10 Jahre zeigen, dass sich die viele Arbeit ausgezahlt hat. 10% weniger Fleisch in Ö, DE und UK. Es war sehr wichtig peak-meat in Europa zu erreichen. Der Holocaust Vergleich ist nicht schlecht oder gut, sondern hängt auch vom gesellschaftlichen Kontext (Balluch Curve) ab. Vor 10 Jahren gingen KZ und Sklaverei Vergleichen noch nicht gut, Menschen haben zugemacht. Das ändert sich langsam und Dank der Foundation Arbeit des VGT auf der Strasse.

    Ich persönlich wusste schon vor Jahrzehnten, dass es für wahre gesellschaftliche (Ver)Änderung eine Form von echter Angst oder echtem Schmerz benötigt. Bislang hatten wir weder echte Angst noch Schmerz. Das wird sich jetzt schnell ändern.

    Wegen Fleisch haben wir mehr planetary boundaries überschritten, als wegen Öl und Gas. ZB Biosphere und Biogeochemical Flows sind 80% oder mehr Fleisch & Milch.
    https://www.stockholmresilience.org/research/planetary-boundaries/the-nine-planetary-boundaries.html

    Nur noch % der Landsäugetiere sind der Wildtiere. Bald 0% und dann?
    https://ourworldindata.org/uploads/2021/03/Decline-of-the-worlds-wild-mammals.png

    Die IPCC geht von 665 GtCO2 Speicherung aus um bei 2°C zu bleiben. Wir haben diese Tech noch sehr lange nicht. Ohne CO2 einzufangen, steuern wir aber auf über 4°C zu und das bedeutet das Ende der menschlichen Zivilisation.
    https://www.catf.us/2022/04/what-does-latest-ipcc-report-say-about-carbon-capture/

    Die einzige Lösung um CO2 einzufangen und zu speichern, die es gibt, ist weniger Fleisch & Milch für mehr Wälder Regeneration.
    https://www.nature.com/articles/s41893-020-00603-4

    Uns geht bis 2030 sowieso das Wasser aus für Fleisch
    https://www.tugraz.at/tu-graz/services/news-stories/tu-graz-news/einzelansicht/article/satellitendaten-belegen-anhaltend-schwere-duerre-in-europa

    2009 schrieb das diplomatische Journal Foreign Policy: “How the coming vegetarian revolution will arrive by force.”
    https://foreignpolicy.com/2009/06/03/meat-the-slavery-of-our-time/

    Ich folge Klimawissenschaft seit den 90s. Es ist soweit imo. 2030 noch Fleisch und es gibt uns Menschen bald darauf nicht mehr. Das Problem: Was wir bis 2025 machen bestimmt… “alles”. Früher hat uns Ignoranz in Krisen gebracht. Heute gibt es etwas viel gefährlicheres. Gemütlichkeit und Bequemlichkeit. Zum ersten Mal sind Tiere und Menschen alle gleichzeitig auf der Titanic. Man kann nur noch all oder niemanden “retten”.

    Danke euch von Herzen <3

  3. Tierideologen kommen ins Spiel im Zusammenhang mit dem antisachlichen und antirationalen geistigen Klima, das politische Korrektheit, Identitätspolitik und Cancel Culture geschaffen haben: Denk- und Dikussionsverweigerung, Einschränkung der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit. Treffen diese auf ein sensibles, komplexes und missverständliches Thema, sind negative Konsequenzen unausweichlich: weil wichtige Fakten, Zusammenhänge, Implikationen und Differenzierungen nicht hinreichend gewürdigt oder, noch schlimmer, erst gar nicht wahrgenommen werden. Genau dies war und ist beim sogenannten „Holocaustvergleich“ der Fall. Konsequenz: Folgende Fakten, Zusammenhänge, Implikationen und Differenzierungen wurden und werden nicht berücksichtigt:
    • International ist der Holocaustvergleich gang und gäbe und es gibt eine „normale“, rationale Diskussion zum Thema. 

    • Wer Mensch-Tier-Vergleiche verbieten will, müsste auch Tierethik und Tierrechtsphilosophie verbieten, weil bei beiden Mensch-Tier-Vergleiche systemimmanent sind.

    • Beim Holocaustvergleich geht es gar nicht primär um Mensch-Tier-Vergleiche, sondern vielmehr meist um den Vergleich der Behandlung von Menschen und Tieren.
    • Vergleichen heißt nicht gleichsetzen. Wer Vergleichen verbieten will, müsste auch die Wissenschaft verbieten und letztlich das Leben verbieten, weil beide ohne Vergleichen unmöglich sind.
    All diese entscheidenden Fakten, Zusammenhänge, Implikationen und Differenzierungen blieben aufgrund der Denk- und Diskussionsverweigerung und der Einschränkung der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit unerkannt und unberücksichtigt. Angesichts dieses Chaos, dieses Nicht-durchdacht-Seins, schon auf der sachlich-rationalen Ebene kommen wir beim Ho- locaustvergleich erst gar nicht auf die ethische Ebene bzw. fehlt jegliches Fundament für sinnvolle ethische Bewertungen und Überlegungen.
    Die Tierideologen schaden der Tierrechtsidee in zweifacher Weise: erstens sind sie verantwortlich dafür, dass entscheidende Fakten, Zusammenhänge, Implikationen und Differenzierungen im Dunkeln bleiben und zweitens spalten und schwächen sie die Tierrechtsbewegung durch buchstäblich grundlose Anschuldigungen.

    (Die Tierrechtsidee und ihre Feinde, 2022,S. 159-161)

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