Jährlich gibt das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung einen Bericht über die von ihnen als Bedrohung für die Verfassung empfundenen außerparlamentarischen politischen Aktivitäten heraus. In Sachen Tierschutz fällt es den TerrorbekämpferInnen zunehmend schwer, eine solche Bedrohung zu konstruieren. Im letzten Jahr wurden deshalb erstmals sogar Verwaltungsübertretungen als Beleg dieser Bedrohung aufgezählt, darunter auch einmal Falschparken eines Tierschutzautos, siehe https://martinballuch.com/?p=1315.
Nun ist der Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2012 erschienen: http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_Verfassungsschutz/Verfassungsschutzbericht_2013.pdf. Das Kapitel „Militante Tierrechtsgruppen“ ist wieder einmal an Lächerlichkeit kaum zu überbieten. Aufgrund unserer Anzeigen der letzten Jahre wegen Verleumdung, die zwar allesamt versandeten, fehlen diesmal immerhin die konkreten Bezüge zum VGT. Doch der Jargon der mit rechtskräftigem Freispruch beendeten Anklage im Tierschutzprozess wegen Bildung einer kriminellen Organisation ist unverkennbar. Da wird behauptet, dass sich diese militanten Tierrechtsgruppen „in der Öffentlichkeit bemühen, den Schein des traditionellen Tierschutzes aufrecht zu erhalten“, aber dahinter im Verborgenen Übelstes planen: Die illegalen Handlungen von Tierrechtsaktivistinnen und –aktivisten […] zeigen Ähnlichkeiten mit gewalttätigen Extremistenorganisationen. Äh, parken die auch manchmal im Halteverbot?
Jedenfalls werde diese Bedrohung „qualitativ“ immer schlimmer:
Organisiert wird, wie kann es anders sein, mittels Internet: Als zentrales Mittel der Szenekommunikation fungiert das Internet. Neben der raschen Verbreitung von Aufrufen dient es auch der dezentralen Koordinierung von Aktivitäten. […] Mit Hilfe von elektronischen Kommunikationsmitteln [wird] ein dezentraler, individuell geformter Verbund ermöglicht, über den Aufrufe zu Aktionen und relevante Szeneinformationen rasch die potenziellen Adressaten erreichen, ohne dass direkte persönliche Kontakte notwendig sind. Man gewinnt den Eindruck: damit dürften die LeserInnen dieses Blogs und der Facebookseiten des VGT gemeint sein. Es gibt ja keine persönlichen Kontakte zwischen diesen „Militanten“.
Um welche Aktivitäten geht’s jetzt genau?
Man höre und staune: neben 10 Verwaltungsübertretungen geht die Bedrohung der Verfassung durch Tierschutzaktivitäten, die einen eigenen Verfassungsschutzbericht rechtfertigen, von Anzeigen aufgrund von Vorwürfen wie „Herabwürdigung religiöser Lehren“ (gleich 4 Mal! – offenbar Kreuzigungsaktionen mit Tiermasken sowie Kunstwerke), Urkundenfälschung, Hausfriedensbruch (Filmen in einer Tierfabrik), sowie Diebstahl, Dauernde Sachentziehung und Tierquälerei (bezieht sich jeweils womöglich darauf, dass verletzte Tiere aus Tierfabriken befreit und in Pflege übernommen wurden). Tierquälerei bedroht also die Verfassung, wenn sie den Stress meint, dem Tiere ausgesetzt werden, wenn sie von TierschützerInnen aus Tierfabriken befreit werden, aber Tierquälerei ist kein Problem, wenn sie in Tierfabriken „anständiger“ BürgerInnen 70 Millionen Tiere pro Jahr betreffen.
Wenn man bedenkt, mit welchem Elan die Kriminalisierung von Tierschutzaktivität betrieben wird, kann man sich vorstellen, wie jede echte strafbare Handlung von TierschützerInnen öffentlich breitgetreten würde, wenn es sie denn gäbe. Da aber jedenfalls mir keinerlei solche Straftat bekannt wurde, muss man davon ausgehen, dass jede einzelne in dieser Tabelle angeführte Anzeige letztlich haltlos ist. Sachbeschädigung? Wahrscheinlich ein umgebogener Zaun, weil TierschützerInnen beim Filmen einer Tierfabrik darüber geklettert sind. Fahrlässige Körperverletzung und Imstichlassen eines Verletzten? Wahrscheinlich ist ein Tierfabriksbetreiber beim Versuch, TierschützerInnen in seiner Tierfabrik beim Filmen zu überraschen, gestolpert. Unter dem Strich bleibt das Faktum bestehen, dass die Verfassung durch derartige Berichte bedroht wird – immerhin ist Tierschutz ein Staatsziel im Verfassungsrang und Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit explizit durch die Verfassung geschützt –, aber nicht durch Tierschutzaktivismus.
Man sollte einmal eine ernsthafte Frage an die Verfasser solcher Berichte stellen. Mit welchem Recht werden Anzeigen aufgezählt? Anzeigen kann man jeden, was zählt sind nur die Verurteilungen. Dieser Bericht ist das Geld nicht wert auf dem er gedruckt wurde, habe ich so das Gefühl. Hoffentlich irre ich mich, zuversichtlich bin ich da aber nicht.
Auf https://martinballuch.com/?p=1128 vom Mai 23rd, 2012 wird z. B. über die Anzeige “Herabwürdigung rel. Lehren” berichtet und wenn ich den Artikel nicht total falsch verstanden habe, wurde zwar eine Anzeige erstattet, aber es gab einen Freispruch. Sollte sich also dieser Bericht unter anderem auch auf diese Veranstaltung beziehen, wäre das meiner Meinung nach eine bewusste Irreführung der Öffentlichkeit, weil Straftaten suggeriert werden, die de facto keine sind, weil das Gericht einen Freispruch gefällt hat. Der Freispruch müsste den Verfassern bekannt sein.
Ist dieser Freispruch nun Teil des Berichtes? Ja, oder nein?
Auf dem Blog steht:
Die FPÖ hat interessanter Weise eine Anzeige wegen Herabwürdigung religiöser Lehren eingebracht und bei der Justizministerin angefragt, warum das entsprechende Ermittlungsverfahren (zur letzten derartigen Aktion in Innsbruck) bereits eingestellt wurde: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/J/J_02583/fnameorig_162863.html. Interessant ist die Antwort der Justizministerin: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/AB/AB_02615/fnameorig_167219.html, aus der ich hier zitieren will:
Da die Verfasser hier definitiv mitlesen – haben sie jedenfalls angeblich Balluch gegenüber behauptet – richte ich mein Wort nun an eben diese (eine schriftliche Anfrage wird vermutlich nicht beantwortet werden, deshalb frage ich jetzt einmal öffentlich):
Welche dieser gelisteten Anzeigen führten zu einem Schuldspruch, welche sind noch nicht verhandelt und welche führten zu einem Freispruch? Ist die von Balluch erwähnte Anzeige gelistet?
Sollten hier Anzeigen aufgelistet sein die mit einem Freispruch endeten, oder erst gar nicht verhandelt wurden, wäre das ein Skandal sondergleichen.
Bitte erklären sie das den Lesern und Leserinnen dieses Blogs. Haben sie den Mut sich öffentlich zu äußern.
Dear Mr. Balluch,
In 2014, we will organize a conference in Taiwan about animal rights. Prof. Peter Singer will be here also. We would like to invite you to share with us your experience. Can you reply me to my email, then I can provide you more details? Thank you very much.
Sincerely,
Joyce LIN
Es ist wieder einmal offensichtlich: Der Verfassungsschutz schützt nicht die Verfassung. Er schützt die Interessen der ewig Gestrigen und die Interessen derer, die mit allen möglichen Sauereien Geld verdienen, die auch an der Tierquälerei Geld verdienen, aber nicht nur.
Dieser Bericht ist dermassen peinlich und lächerlich, dass er aus einem Kabarett stammen könnte.
Ein paar Tierschützer machen den “Verfassungsschützern” mehr Kopfzerbrechen als die ganze rechtsradikale Szene, wo schon seit Jahren einfach weggeschaut wird.