Ein Buch aus dem Jahr 1889, das bis heute in zig Auflagen immer wieder neu erschienen ist und ein Welterfolg wurde, der der Autorin sogar einen Friedensnobelpreis und ein Bild sowohl auf der früheren 1000-Schilling Note als auch auf der heutigen 2-Euro Münze einbrachte. Grund genug für mich dieses Werk einmal zu lesen. Peter Rosegger schwärmte davon in seinem Heimgarten, er habe das es nicht aus der Hand legen können und dafür nur 2 Tage gebraucht. Ich habe es in einem einzigen Tag ausgelesen.
Spannend finde ich schon einmal die real geschilderte Lebenswelt der Menschen vor 130 Jahren in Wien. Wie anders als heute! Das Verhältnis der Geschlechter, der himmelhohe Unterschied der Klassen – so kommt im gesamten Buch fast kein Kontakt der adeligen ProtagonistInnen zu irgendjemandem außerhalb ihrer Gesellschaftsschicht vor –, und vor allem die Einstellung zu Krieg und Heldentum wirken irgendwie jenseitig. Die Lebensgeschichte beginnt 1857 und geht bis 1871, dabei werden 4 Kriege mitgemacht. Der Epilog reicht bis 1889 und umfasst einen weiteren militärischen Konflikt Österreichs, die Annexion Bosniens. Der Krieg war damals alltäglich, alles wurde darauf abgestellt, die Jugend dahin erzogen, das Soldatenleben glorifiziert. Das Buch bricht mit dieser Tradition, die Gräuel des Krieges kann man hautnah miterleben, fast die gesamte Familie der Protagonistin wird dadurch ausgerottet, zweimal verliert sie ihren Ehemann.
Die Liebesgeschichte, die das Buch durchzieht, mag etwas übertrieben romantisiert wirken, ein Genre, das offenbar zur Zeit der Ersterscheinung Mode wurde. Doch mich zog natürlich das zivilgesellschaftliche Engagement der beiden Hauptfiguren des Werks an, die sich in die Friedensbewegung eingliedern. Zwar nimmt die Autorin mit keinem Wort darauf Bezug, dass 1867 eine neue Verfassung entstanden ist, die den BürgerInnen erstmals gewisse Grundrechte bot – bis heute ist das Staatsgrundgesetz von damals Teil unserer Bundesverfassung in Österreich, wenn auch in etwas abgeänderter Form –, doch man beginnt zumindest in der eigenen Gesellschaftsklasse Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Ein erster wesentlicher Unterschied zu heute: politisches Engagement besteht weniger darin, die Massen zu erreichen, als darin, das Großbürgertum und den Adel zu beeinflussen. Das Buch selbst bildet dafür allerdings eine Ausnahme.
Bertha von Suttner hat ihre zweite Lebenshälfte der Friedensbewegung gewidmet. Selbst die Gründung des Friedensnobelpreises geht auf ihren Einfluss zurück, den sie auf Alfred Nobel ausübte, nachdem sie kurze Zeit für ihn gearbeitet hatte und danach in engem Kontakt geblieben war. Mit dem Buch „Die Waffen nieder!“, das sie im Alter von 46 Jahren verfasste, wurde sie zu einer der prominentesten VertreterInnen der Friedensbewegung. Dabei starb sie bei der Vorbereitung eines Friedenskongresses nur wenige Monate vor Beginn des Ersten Weltkriegs. Vielleicht gut, dass diese Erfahrung ihr erspart blieb, aber war dadurch ihre gesamte Arbeit sozusagen hinfällig und sinnlos? Das muss ich mich auch fragen, nachdem ich mich so viele Jahre meines Lebens so intensiv für Tierschutz einsetze.
Nach dem Ersten kam der noch schlimmere Zweite Weltkrieg, die Kriegsbegeisterung hatte auch 20 Jahre nach Kriegsende des Ersten nicht nachgelassen. Doch zumindest für uns in Mitteleuropa kam es danach zum Wandel, seit 1945 sind wir in keine Kriege mehr verwickelt, für unsere Geschichte rekordverdächtig lange. War das u.a. Bertha von Sutterns Verdienst oder liegt das nur daran, dass hochtechnisierte Gesellschaften heute nicht mehr miteinander Krieg führen können, ohne sich vollständig gegenseitig zu vernichten? Hatte Nobel recht, dass nur die Entwicklung einer Superwaffe – der späteren Atom- oder Wasserstoffbombe – den Frieden bringen kann? Beängstigend, wenn es nur dadurch begründet ist. Bertha von Suttner selbst schwebten als Maßnahmen gegen den Krieg eine UNO und ein internationaler Gerichtshof vor. Beides gibt es heute.
Friedensbewegung und Tierschutz liegen nahe beinander. Im Buch „Die Waffen nieder!“ kommen auch Tiergeschichten vor, die beiden Hauptfiguren schlagen ihren Sohn, weil er ein Tier quält. Zu Tränen rührte mich die Geschichte des Hundes Puxl, der im Krieg dem Hauptprotagonisten folgt und von einer Granate tödlich verwundet wird. Das ist sehr einfühlsam und mit viel Zuneigung zu diesem Hund geschrieben. Dagegen erwähnt die Autorin die Gesellschaftsjagd nur in positivem Kontext. 9 Jahre später äußert sich Bertha von Suttner in einer Schrift scharf gegen Tierversuche und später auch gegen die Jagd, der Satz über die Hoffnung, dass unsere Gesellschaft eines Tages auch das Töten von Tieren zur Nahrungsgewinnung abstellen werde, wird ihr zugeschrieben, obwohl sich dafür keine Quellen finden lassen. Ich habe beim Bertha von Suttner Verein nachgefragt, der zwar davon wusste, mir aber auch nicht weiterhelfen konnte. War sie Vegetarierin?
Erfrischend im Buch „Die Waffen nieder!“ ist die Einstellung der ProtagonistInnen zur Aufklärung, zur Naturwissenschaft und da insbesondere zur Evolutionstheorie, und zur Religion. Auch hier bricht die Autorin vermutlich mit dem Mainstream ihrer Zeit und Gesellschaftsschicht. Religion, so führt sie aus, kann nur dort gedeihen, wo die rationale Kritik und die Forderung nach Widerspruchsfreiheit verstummen. Beeindruckend, wie beide Seiten der Kriegsparteien jeweils ihre Waffen segnen und überzeugt sind, derselbe christliche Gott stünde auf ihrer Seite und würde sie schützen. Und die Diskussionen über Darwins Einfluss und Aussagen sind ebenfalls allein schon die Lektüre des Buches wert. So meint ein General, dass das Ergebnis dieser oder jener Schlacht noch in 100 Jahren von Bedeutung sein wird, die Evolutionstheorie und Darwin dann aber schon längst vergessen. In Wahrheit ist es umgekehrt.
Auch ich habe mich oft gefragt, warum die überlegenen Argumente einer Berta von Suttner einfach überhört worden sind. Das Gleiche gilt für ihre wunderbaren Argumente gegen Tierversuche, die nicht verhindern konnten, dass diese von wenigen Tausend weltweit jährlich auf Hunderte Millionen angestiegen sind. Und sie war bei Weitem nicht die Einzige, wie z. B. die Anti-Tierversuchsbewegung des 19. und 20. Jahrhunderts gezeigt hat – die von vielen Intellektuellen in Europa und den USA argumentativ unterstützt worden ist.
Man denke nur an den Rechts- und Moralphilosophen Magnus Schwantje, der sich mit beinahe mathematischem Scharfsinn und (dank seiner hohen dialektischen Begabung) meisterlichen Formulierungen lebenslang unerbittlich für die Rechte von Menschen und Tieren eingesetzt hat. Doch angesichts der (von den Medien geschürten) Kriegsbegeisterung zu von Suttners Zeiten war er mit seiner radikalem Ethik, die „erfüllt war von der reinen, allumfassenden Liebe zu allem, was lebt und leidet“ (Käthe Moritz) nur ein Rufer in der Wüste, wirkte er wie ein Bürger einer höheren Welt, die es (noch) nicht gab.
Etwas Trost (und Bestätigung) brachte für mich die Erkenntnis des Göttinger Tierrechtlers und Philosophen Leonard Nelson, nach der die Welt sich nicht nach dem richtet, was in Büchern geschrieben steht, sondern nach den sich für oder gegen eine Sache einsetzenden Interessen.
Europäische Staaten waren ständig im Krieg. Korea, Vietnam, wurden von Frankreich begonnen. Der Krieg im Irak und in den arabischen Staaten die von ihren Regierungen “befreit” wurden (das waren eigentlich Kriege) fanden mit europäischer Beteiligung statt. In europäischen Geheimgefängnissen wurde gefoltert. In Jugoslawien wurde gekämpft, denn auch das war Krieg. Im Gegensatz zur Ukraine heute, wollte man damals die Teilung des Staates. Nur im übrigen Europa gab es keinen Krieg, weil es den Leuten gut ging. Geht es den Leuten schlecht, werden sie “Kriegs begeistert”. Es wird immer Kriege geben. Das “Friedensprojekt EU” ist ein Witz. Eine Ausrede für wirtschaftliche Expansion, mehr nicht.
Ähnlich verhält es sich mit dem Tierschutz. Es wird immer Tierquäler geben, Menschen die Tiere, aber auch Menschen, ausbeuten. Weil es keinen Unterschied zwischen Mensch und Tier gibt. Wer Tiere quälen und töten kann, kann (und tut es auch sobald er die Macht dazu hat) auch Menschen quälen und töten.
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In diesem Leben muss man um alles kämpfen. Auch darum, nicht gequält zu werden und auch darum, dass etwas verhindert wird was man für schlecht hält. Es wird auch immer Menschen geben die sich gegen Grausamkeiten und gegen grausame Menschen wehren. Das Leben ist ein Kampf – für und gegen etwas. Jeder entscheidet, auf welcher Seite er seinen Kampf führt. Uns sind natürliche Grenzen gesetzt. Niemand kann überall und jederzeit etwas bewegen. Manche bewegen viel, manche wenig. Aber man bewegt – durch Tun und/oder durch Lassen. Man sollte so leben und kämpfen, dass man sich Abends noch in den Spiegel sehen kann, ohne dass es einen vor sich selbst graust.
Hallo,
Den Satz “Doch zumindest für uns in Mitteleuropa kam es danach zum Wandel, seit 1945 sind wir in keine Kriege mehr verwickelt” solltest du wirklich nochmal überdenken bzw. abändern – sonst könnten Leser wirklich noch glauben, dass die “Mitteleuropäer*innen” (?) sich in keiner Weise mehr an Kriegen beteiligt haben. Natürlich kann man vieles als “Friedensmissionen” abtun, aber dass Österreich vor einigen Jahren noch aktiv im Waffengeschäft war (siehe z.B. Noricum-Skandal oder prinzipiell Waffenlieferungen der Voest Alpine) und sich damit dann sehrwohl in Kriege verwickelt hat, kann man nicht leugnen. Deutschland liefert sowieso und beforscht auch Waffen und schickt auch Soldaten in “Krisengebiete”…
lg. Hans