19. Dezember 2024

Ein Essay: Wie ich einen Fuchs retten konnte

In England herrscht heute noch der Adel. Nicht nur, dass es noch immer eine Monarchie gibt. Das britische Oberhaus im Parlament heißt „House of Lords“ und das Unterhaus oder eigentliche Parlament das „House of Commons“, wo die Normalmenschen tagen. Mit Commons ist der bürgerliche Gemeinbesitz gemeint, im Gegensatz zum Großgrundprivatbesitz des Adels.

In den frühen 1990er Jahren, wie ich in England gelebt habe, wovon diese Geschichte handelt, sind sämtliche Abgeordnete des House of Lords durch Geburt und nicht durch eine demokratische Wahl in ihre Position gekommen. War man Kind einer Adelsfamilie, bekam man neben dem Reichtum auch politische Macht. Und das nicht zum Vorteil des Gemeinwohls. Tierfreundlich war der Adel historisch nie und ist es bis heute nicht.

Die Jagd z.B. war ein Adelsprivileg, in Österreich bis zur letztlich gescheiterten Revolution 1848. Doch die Adeligen wollten bei der Jagd nicht lange Zeit auf einzelne Wildtiere ansitzen. So wurden sie ihnen von Lakaien zugetrieben. Und als dafür die Wildtiere zu wenige wurden, hat man sie gezüchtet. Einerseits in Jagdgattern, von denen es heute noch 80 in Österreich gibt, andererseits in Massentierhaltungen, um sie zum Abschuss auszusetzen.

In England werden sage und schreibe jedes Jahr 40 Millionen Fasane zur Jagd in Käfigen gezüchtet. Die praktisch flugunfähigen Tiere setzt man kurz vor der Jagd aus oder bringt sie zu diesem gesellschaftlichen Treibjagdereignis in Tiertransportern mit. In Österreich hat Alfons Mensdorff-Pouilly in den 1990ern demonstriert, wie eine Adelige Abschussbelustigung von Zuchtfasanen aussieht. Ich habe das mit eigenen Augen gesehen. Übernachtung in seinem Schloss auf Luising im Südburgenland. Um 10 Uhr vormittags, nur nicht zu früh, weil man abends noch lange getrunken hat, der erste Trieb. Die hochwohlgeborenen Jagdgäste werden von Butlern begleitet, die ihnen jeweils 2 Flinten tragen. Die Fasane kommen frisch aus der nahegelegenen Voliere und werden vor Jagdbeginn in „Kistln“ gesteckt, die im Unterwuchs aufgestellt sind. Wenn die Schützenlinie steht, öffnet man die „Kistln“ und lässt die Jagdhunde los. In ihrer Angst flattern die Fasane erstmals im Leben schwerfällig und unbeholfen auf, um für die Jagdgäste ein leichtes Ziel abzugeben. Bumm, bumm, bumm krachen die Schüsse. Die Butler überreichen den Jagdgästen die eine Flinte zum Schuss und laden dabei die andere, damit der Schussrhythmus nicht unterbrochen werden muss. Die Vögel fallen wie schwere Regentropfen in großer Zahl zu Boden. Anschließend gibt es ein spätes Frühstück. Dafür werden Tische mit weißen Tischtüchern mitten auf die Wiese gestellt und man serviert Lachs. 4 Triebe später hat jeder Jagdgast seine garantierten 400 Fasane geschossen. Kosten € 12.000 pro Person.

Diesem wahnwitzigen Treiben haben wir in Österreich ein Ende bereitet. Nicht nur durch das Verbot von 1919, Adelstitel zu verwenden. Im Burgenland wurde 2020 nach einer Kampagne des VGT das Aussetzen von allen Tieren zur Jagd verboten. Auch von Fasanen. Alfons Mensdorff-Pouilly jagt jetzt in Ungarn, wo die illiberale Gesellschaft eines Victor Orban den Tierschutz effektiv unterbindet. In diesem östlichen Nachbarland werden weiterhin 3 Millionen Fasane pro Jahr vor der wartenden Jägerschaft zum Abknallen ausgesetzt.

In Österreich konnten wir die Anzahl ausgesetzter Fasane von einer Dreiviertelmillion in den 1990er Jahren auf etwa 100.000 heute noch reduzieren. In 5 von 9 Bundesländern ist das Aussetzen verboten. Vor wenigen Wochen musste ich im Weinviertel eine Treibjagd auf ausgesetzte Fasane der Forstverwaltung der Adelsfamilie Liechtenstein beobachten. Im gesamten Jagdrevier gibt es überall Fasangehege, tausende Tiere werden ausgesetzt und in 6 Treibjagden pro Herbst wieder abgeknallt. Das Herz bleibt einem stehen, wenn man mitansehen muss, wie die hilflosen Tiere mühsam aufflattern, nur um dann im Stakkato einer Maschinengewehrsalve aus dem Himmel geschossen zu werden. Überall liegen sterbende Tiere am Boden. Die Unglücklicheren darunter haben sich ins Unterholz verkrochen und gehen dort langsam zugrunde. Den anderen laufen Jagdhunde hinterher, denen es eine unschuldige Freude ist, die zappelnden, flugunfähig geschossenen Vögel zu fangen.

Um die ausgesetzten Fasane möglichst alle wieder abschießen zu können, verfolgt man die kleinen Beutegreifer, allen voran den Fuchs, mit fanatischer Vehemenz. In Österreich geschieht das in der sogenannten bei Treibjagden, beim Ansitz, aber auch mit Fallenfang und der Baujagd, bei der man Hunde in den Bau auf die Fuchsfamilie hetzt. In England gibt es zur Fuchsjagd eigene Jagdgesellschaften.

In den 1990er Jahren waren über das Land verteilt 250 Hunderudel mit Jagdgesellschaft zur Fuchsjagd aktiv. Die Hunderasse nennt sich Foxhounds und ist mittelgroß, zwischen Beagle und Dobermann. Jeder der Hunde hat vielleicht das vierfache Gewicht eines Fuchses und trotzdem setzt man ein ganzes Rudel von 40 Hunden auf einen einzelnen Fuchs an. Dieses Rudel wird vom Huntsman hoch zu Ross mit Jagdhorn geführt. Ihm zur Seite stehen zwei sogenannte „Whippers-in“, das sind ebenfalls berittene Jäger, die sehr lange Hundepeitschen mit sich führen und das Rudel damit zusammenhalten. Der Master of Foxhounds finanziert das Ganze und begleitet jede Jagd. Diese vier Jäger nennt man Redcoats, weil sie knallrote Jacken mit goldenen Knöpfen tragen. Dazu kommen über 100 meist weibliche Jägerinnen, die Blackcoats in schwarzen Jacken, die zahlende Jagdgäste sind und sich auf ihren Pferden an der Hetzjagd auf den Fuchs beteiligen. Die Entourage wird von ebenfalls über 100 Autos komplettiert, die dem Geschehen von der Straße aus folgen. Diese 40 Hunde, 100 Pferde, 200 Menschen und 100 Autos verfolgen einen einzigen Fuchs, um ihn zu töten.

Um dieses offensichtliche Ungleichgewicht wenigstens etwas auszugleichen – und auch ein bisschen aus Protest gegen dieses überheblich rücksichtslose Verhalten des Adels – hat sich bereits Ende 1963 in England die Hunt Saboteurs Association gebildet. Im Frühjahr 1964, dem Jahr meiner Geburt, ging zum ersten Mal eine Gruppe von Aktivisten und Aktivistinnen dieser HSA ins Feld, um dem Fuchs beizustehen. 30 Jahre später sollte ich mich über 8 Jahre hinweg dazu gesellen.

Füchse habe ich schon seit langem innig ins Herz geschlossen. Bei Wanderungen begegnen sie mir oft. Aber noch öfter sehe ich sie heute, wenn ich abends das Büro des VGT verlasse und durch die nächtliche Straße nach Hause radle. Im England der 1990er Jahre wandte ich mich ans Wildtierspital, um Füchsen zu helfen. Dieses Spital mit Namen CARES, was für Cambridge Animal Rescue and Emergency Service steht, nahm damals neben vielen anderen Wildtieren etwa 200 verletzte Füchse pro Jahr auf, um sie gesund zu pflegen. Ich half ehrenamtlich mit, so oft ich konnte. Immer wieder war ich nach einer Meldung mit Catcher unterwegs, um einen verletzten Fuchs einzufangen oder verwaiste Jungtiere aus dem Bau zu holen. Und weil es wirklich notwendig war, errichtete ich sogar ein großes Fuchsgehege. Ziel war es dabei, den Füchsen Verstecke zu bieten, damit sie sich nicht zu sehr an Menschen gewöhnen. Als Wildtiere sollten sie ja letztlich wieder ausgesetzt werden und da bedeutet jede Nähe zu Menschen Gefahr. Dennoch mussten sie auch medikamentös versorgt und gesund gepflegt werden können. Diese Quadratur des Kreises gelang durch unterirdische Bauten, die man auch öffnen konnte, um hinein zu gelangen.

Es war ein eiskalter Novembermorgen, als ich mich mit einer Handvoll anderer Tierschützer und Tierschützerinnen in Sichtweite der Hundekennels der Cambridgeshire Foxhounds einfand. Diese Fuchsjagdgesellschaft ging traditionell jeden Dienstag und jeden Samstag auf Jagd. In noch dunkler Nacht saßen wir frierend im Auto, als drüben das Licht anging und die Hunde eifrig zu bellen begannen. Das sichere Zeichen, dass die Jagd bald losgehen wird.

Ich war damals noch nicht ganz 30 Jahre alt und im Vollbesitz meiner körperlichen Kräfte. Ich konnte stundenlang laufen, ohne eine Pause machen zu müssen, und hielt dabei auch mit Pferden mit. Eine wichtige Fähigkeit, will man auf Seite des Fuchses effektiv in diese Jagdform eingreifen.

Wenig später belud der Huntsman seinen Transporter. Zunächst liefen die 40 Hunde über eine Rampe in den Laderaum. Nachdem der Boden hydraulisch angehoben war, wurden noch einige Pferde unter die Hunde eingeladen. Und los gings zum heutigen Jagdtreff. Wir folgten mit dem Auto in einiger Distanz. Beim Treffpunkt, einer großen Farm, trudelten alle heutigen Teilnehmer und Teilnehmerinnen langsam ein. Schließlich setzte man sich in voller Montur – schwarze Stiefel, weiße Hosen, rote oder schwarze Jacken mit goldenen Knöpfen und einem schwarzen Reiterhelm – auf die Pferde und Butler servierten Champagner. Dieser Umtrunk war ein Fixpunkt an jedem Jagdtag, bevor es losging. Schließlich blies der Huntsman in sein Jagdhorn und die Hunde sammelten sich um ihn. Flankiert von den beiden Whippers-in führte er das Rudel eine Buschreihe entlang in das nächste kleine Waldstück auf der Suche nach dem heutigen Opfer, gefolgt vom Master of Foxhounds und seinen zahlenden Jagdgästen zu Pferd.

Zeit für uns, aktiv zu werden.

Ich war damals schon seit einigen Jahren als Tierschutzaktivist auf Seiten des Fuchses bei diesen Hetzjagden dabei und kannte daher deren Gepflogenheiten. In der Nacht vor der Jagd, wenn die Füchse ihre Baue verlassen, um auf Nahrungssuche zu gehen, blockieren Jagdhelfer die Eingänge. Dadurch sitzen die Füchse untertags im Unterholz statt sicher unter der Erde. Die Hunde suchen nun alles nach Spuren ab, die zum Fuchs führen. Finden sie eine Fuchsspur, dann geben sie Laut. Der Huntsman ruft daraufhin alle Hunde zusammen und setzt sie auf die Fährte. Mit Hilfe von den beteiligten Menschen, die melden, wenn sie den Fuchs wo flüchten sehen, hetzen nun die Hunde den Fuchs, bis dieser so erschöpft ist, dass sie ihn einholen und lebendig zerreißen. Die Foxhounds sind darauf gezüchtet, nicht sehr schnell zu laufen aber ausdauernd zu sein. So soll es dem Fuchs anfangs gelingen, den Hunden zu entkommen. Diese folgen aber mit Hilfe der Menschen seiner Spur und lassen nicht locker, bis sie das vollkommen erschöpfte Tier nach ca. 45 Minuten erwischen. Außer es gelingt dem Fuchs – vielleicht mit Hilfe von uns Tierschützern und Tierschützerinnen – die Hundemeute von seiner Spur ab zu bringen.

Heute scheint die Sonne am blauen Himmel, aber der Boden ist gefroren, überall glänzt der vereiste Tau. Das ist zwar schön anzusehen, aber es macht mir Sorgen, weil die Geruchsspur des Fuchses unter diesen Bedingungen viel länger hält. Es wird heute sehr schwer werden für den Fuchs.

Wir sind mit Funkgeräten miteinander verbunden. Die weniger Sportlichen unter uns bleiben im Auto und folgen auf der Straße so gut sie können. Ich werde einfach den Hunden hinterherlaufen, querfeldein. Ich bin guter Dinge, dass mir das gelingen wird. Und ich habe einige Asse im Ärmel, die ich bei Zeiten auszuspielen gedenke.

Rasch bin ich nahe des kleinen Wäldchens angekommen, in dem die Hunde gerade den Fuchs suchen. Der Huntsman ist mit den Hunden im Wald, die Whippers-in und der Master of Foxhounds beobachten den Waldrand, ob ein Fuchs zu flüchten versucht. Ich laufe zu einer Buschreihe nicht weit entfernt und packe die erste Überraschung aus. Gizmo nennen wir das Gerät. Es besteht aus einem winzigen Tonträger, der mit einem kleinen Lautsprecher verbunden ist. Wir haben das Lautgeben des Hunderudels aufgenommen, wenn sie eine Fuchsspur gefunden haben, diese ansteckende Begeisterung, der sich kein Hund entziehen kann. Das spiele ich jetzt ab. Und tatsächlich: die Hunde, die gerade im Gebüsch nach einer Fuchsspur suchen, glauben, einige ihrer Artgenossen haben eine Spur gefunden, und kommen begeistert zu mir gelaufen. In kürzester Zeit bin ich von 40 Hunden umgeben, die voller Energie umherspringen und erwarten, jeden Moment auf die Fährte eines Fuchses zu stoßen. Nur gibt es hier keine.

Auch der Huntsman im Wald fällt auf meinen Trick herein. Bald kommt er heraus und will die Hunde aufstacheln, der Spur zu folgen. Da merkt er, was gespielt wird. In größter Wut versucht er nun die verfehlte Begeisterung seiner Hunde zu bremsen und diese wieder zu sammeln. Doch das ist nicht leicht und so muss er die Hilfe der Whippers-in erbitten. Ich ziehe mich derweil etwas zurück.

Da sehe ich plötzlich, wie ein junger Fuchs aus dem Wald entwischt und an mir vorbei einen der Wassergräben entlang davon läuft. East Anglia, wo ich mich hier befinde, ist eigentlich ein riesiges Sumpfgebiet. Dadurch ist es auch vollkommen eben. Es gibt nicht den kleinsten Hügel. Um diese Landschaft in ein Agrarland zu verwandeln, wurden überall Gräben zur Entwässerung angelegt. Und einem dieser Gräben folgt nun der Fuchs und versucht zu entkommen.

Ich habe nicht viel Zeit, um ihm zu helfen. Bald schon werden die Hunde seine Fährte finden. Und so zücke ich meine nächste Geheimwaffe, einen Zitronellaspray. Anti-Mate heißt er und wird normalerweise dazu verwendet, eine läufige Hündin zu besprühen. Für Hundenasen stinkt der Geruch derart, dass kein männlicher Hund mehr Interesse an der Hündin hat. Diesen Spray verwende ich nun großzügig, um die Fährte des Jungfuchses abzudecken. Ich spraye rechts und links vom Wassergraben, um die Buschreihe herum und gut 50 m dem Fuchs hinterher. Da höre ich schon die Hunde kommen.

Der Huntsman hat erkannt, dass die Hunde nun eine echte Fuchsfährte gefunden haben. Er stachelt sie daraufhin mit Hornsignalen an, dieser Fährte zu folgen. Schon biegen die ersten Hunde zum Wassergraben ein, bei dem ich mich befinde – und bleiben erschrocken stehen. Der Geruch schreckt sie derart ab, dass sie verwirrt umkehren und nicht mehr weiter wollen. Ich verstecke mich unterdessen zwischen den Büschen, um von der Jagdgesellschaft nicht gesehen zu werden.

Der Huntsman lässt seine Hunde nun im großen Kreis nach der Fährte suchen. Die Tiere laufen kreuz und quer durch die Felder, mit der Nase dicht über dem Boden. Es herrscht eine angespannte Stille. Jede Minute, die die Hunde jetzt verlieren, hat der Fuchs gewonnen, um die Meute vielleicht abzuschütteln. Doch das Wetter ist nicht auf unserer Seite. Die Sonne lässt den gefrorenen Tau am Boden dampfen und dabei steigen die Geruchspartikel leichter in die Nasen der Hunde auf. Bald haben sie die Fährte wieder gefunden.

Jetzt geht die Hetzjagd richtig los. Die Hunde preschen im Rudel vor, der Huntsman und die gesamte Jägerschaft zu Pferd im vollen Galopp hinterher. Bei dieser Geschwindigkeit kann ich nicht mithalten, ich muss nur schauen, die Jagdgesellschaft nicht aus den Augen zu verlieren.

Der arme Fuchs! Ich muss ihm helfen. Ich kann mir seine Todesangst vorstellen, wenn er jetzt merkt, dass ihm 40 Hunde auf den Fersen sind, von denen jeder Einzelne wesentlich größer und stärker ist als er selbst. Jetzt muss uns meine Erfahrung helfen. Ich kenne dieses Jagdrevier, ich kenne die verschiedenen Wäldchen, die wie kleine grüne Inseln zwischen den großen Ackerflächen liegen. Ich versuche mir vorzustellen, wohin der Fuchs flüchten wird.

Da fällt mir ein Dickicht in Fußballfeldgröße ein, das sich schräg links von mir befindet. Ich kann die Hundemeute sowieso nicht überholen und setze daher alles auf eine Karte. Ich laufe den Kilometer quer über den Acker zu dem Dickicht hinüber. Dort angekommen, kann ich in der Ferne sehen, wie die Jagdgesellschaft zu Pferd in einer langen Reihe still steht. Das bedeutet immer, dass die Hunde die Fährte temporär verloren haben. Doch plötzlich – das Jagdhorn. Der Huntsman ruft die Hunde zusammen, der flüchtende Fuchs ist von einer Jägerin gesehen worden. Also wird das Hunderudel erneut auf die frische Fährte gesetzt.

Die Jagd geht weiter, eine Buschreihe entlang, die schräg vor mir vorbei führt. Die ersten Hunde haben sich vom restlichen Rudel abgesetzt. Da zücke ich mein eigenes Jagdhorn. Ich habe lange geübt die richtigen Töne heraus zu bekommen, was gar nicht so leicht ist. Ich verstecke mich also am Rand des Dickichts hinter den ersten Büschen und rufe die Hunde mit dem Horn zu mir. Es funktioniert! Die führenden Hunde weichen von der Fährte ab, im Glauben der Huntsman will sie zum Fuchs dirigieren. Die restlichen Hunde folgen nach. Das gesamte Rudel stürmt zu mir ins Dickicht hinein, während der Fuchs eine Buschreihe weiter davon laufen kann.

Der Huntsman ist fuchsteufelswild und bläst nun seinerseits ins Horn. Da die Hunde seine Töne besser kennen als meine, hat er bald sein Hunderudel zurück. Und wieder setzt er es auf die Fährte des armen Fuchses, der kaum einen Moment der Erholung hat. Gerade Füchse in seinem jungen Alter halten eine derartige Hetzjagd nicht sehr lange durch.

Ich laufe also wieder los und verfolge das Hunderudel aus der Distanz. Es wechselt von einer in die nächste Buschreihe, immer die Feldränder entlang. Da sehe ich den Fuchs. Seine Zunge hängt schon weit heraus. Wunderschön rot leuchtet sein Fell in der Novembersonne. Er quert keine 20 m vor mir vorbei, die Hunde vielleicht 100 m dahinter. Jetzt muss ich schnell handeln und zücke meine Hundepeitsche. Eigentlich handelt es sich nicht um eine Peitsche im eigentlichen Sinn, sondern um einen kurzen Stock mit einem 2 m langen Seil daran. Durch eine heftige Bewegung mit dem Stock, kann man das Seilstück knallen lassen. Und das mache ich jetzt. Dabei stehe ich genau auf der Fährte des Fuchses, der nur wenige Sekunden davor hier vorbeigelaufen ist.

Und schon kommen die Hunde. Ich knalle mit der Peitsche so laut ich kann. Die ersten Hunde bleiben erstaunt stehen und springen aufgeregt auf und ab. Schließlich steht das gesamte Rudel vor mir. Da kommt aber schon der Huntsman und reitet mit einem Fluch auf den Lippen im vollen Galopp an mir vorbei. Die Hunde reißt er dabei mit.

Ich renne auch los. Die kurze Unterbrechung der Hetzjagd hat dem Fuchs nur 20 Sekunden Vorsprung verschafft. Das ist nicht viel. Er ist auch noch so jung und unerfahren, vermutlich kennt er nicht einmal das Revier und ist nur ein Durchzügler. Die Hunde verschwinden in einem winzigen Wäldchen. Ich laufe hinterher. Zwischen den Bäumen treffe ich auf viele Hunde, die aufgeregt im Unterholz schnüffeln. Hier irgendwo muss sich der Fuchs verstecken. Hoffentlich finden sie ihn nicht.

Da plötzlich, knapp vor mir jault ein Hund auf. Er muss den Fuchs entdeckt haben. Ich stürze ins Gebüsch und sehe, wie 4 Hunde den kleinen Fuchs umstellen. Tapfer schnappt er nach ihnen und springt dann – direkt in meine Arme! Ich packe ihn und stecke ihn rasch unter meine Jacke. Geduckt laufe ich durch die Bäume davon und lasse die Hunde verwirrt zurück. Einige laufen schnüffelnd und aufgeregt springend hinter mir her. Ich vertreibe sie durch einen aggressiven Abwehrruf „Kusch!“.

Ich laufe mit dem Fuchs unter der Jacke, der erstaunlich still hält, aus dem Wald in eine Buschreihe hinein. Der Huntsman ruft mit seinem Horn die Hunde zu sich. Vielleicht glaubt er, ich will sie aus dem Wald locken. Zum Glück haben die Jäger nicht erkannt, dass ich den Fuchs bei mir habe. Auf die Idee kommen sie nicht. Ich spüre seinen warmen Körper und sein heftig pochendes Herz. Jetzt nehme ich all meine Kraft zusammen und renne davon so schnell ich kann, während die Jagdgesellschaft vergeblich nach einem imaginären Fuchs sucht, der längst ganz woanders ist. Ich springe über Wassergräben, durch Hecken durch, quere noch ein kleines Wäldchen und sehe vor mir die Straße. Hoch an der Zeit meine Kollegen zu rufen. Rasch kann ich mit dem Funkgerät Kontakt herstellen. Sie sind in der Nähe! Sie kommen!

Ich laufe auf die Straße. Ein Jagdauto fährt an mir vorbei und ignoriert mich. Offenbar wurde nicht erkannt, dass der Fuchs bei mir ist. Man sucht ihn noch immer. Da kommt das Tierschutzauto! Schnell springe ich hinein. Meine Kollegen sind total überrascht, wen ich da bei mir habe. Ich öffne leicht die Jacke und der Fuchs schaut mit seinen großen Augen heraus. Er macht aber keine Anstalten zu flüchten und schon gar nicht zu beißen. Hat er verstanden, dass ich ihm helfen will? Oder hat er sich seinem Schicksal ergeben? Das meint es jedenfalls gut mit ihm. Ohne durch Jägerschaft oder Polizei aufgehalten zu werden, können wir meinen kleinen Freund unbehelligt in unser Wildtierspital CARES bringen. Dort angekommen, trage ich ihn gleich in ein Gehege, das frei für ihn ist. Wie ich die Jacke öffne, schaut er zwar neugierig heraus, traut der ganzen Sache aber noch nicht und bleibt sitzen. Ich gebe ihm Zeit. Schließlich nimmt er sich ein Herz, springt heraus und verschwindet rasch im für ihn angelegten Bau im Gehege. Das wäre geschafft.

Ich bringe ihm gleich ein bisschen was zu essen und lasse es vor dem Eingang liegen. Der kleine wird ziemlich hungrig sein. Gut, dass es ein Jungfuchs ist. Die haben nämlich noch kein Revier und keine Familie, zu der sie zurückkehren wollen. Wir werden ihn also schon morgen wieder aussetzen, und zwar in einem Waldstück möglichst weit weg von der Jagdgesellschaft. Besser er ist bald wieder frei, er soll sich ja nicht an den Menschen gewöhnen. Nur eine Stunde später schaue ich wieder vorbei und sehe, dass er das Essen angenommen hat. Alles gut.

Später im Pub sprechen wir über die heutigen Erlebnisse. Eine junge Frau ist dabei, die unsere Tierschutzarbeit ein bisschen kritisch sieht. „Was bringt das?“, fragt sie, „einen Fuchs zu retten, aber die Fuchsjagd geht weiter? Was macht das für einen Unterschied?“. „Für das Problem Fuchsjagd mag das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein gewesen sein und keinen Unterschied machen“, entgegne ich, „aber für diesen einen Fuchs macht es einen unendlich großen Unterschied. Den Unterschied zwischen Leben und grausamem Tod! Das wars allemal wert.“

Im Jahr 2005 wurde schließlich in England die Hetzjagd mit Hunderudeln auf Füchse und andere Tiere verboten. Und heute wird sogar der Großteil der Abgeordneten des House of Lords gewählt. Selbst so alte, verkrustete Traditionen können ein Ende finden. Es ist nur eine Frage der Zeit und des Engagements vieler Menschen, die sich der guten Sache annehmen.

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