5. November 2024

Fällt nach dem Kommunismus auch der Kapitalismus?

Ich kann mich noch gut an meine Studentenzeit Anfang der 1980er Jahre erinnern. Damals war der Kommunismus das absolut Böse, dessen schlechte Wirtschaftslage der Beweis für die Richtigkeit dieser Ansicht und das Ende des Ostblocks letztlich der ultimative Sieg des Guten. Doch so einfach dürften die Dinge nicht liegen. Liest man Werner-Lobos „Uns gehört die Welt“, das Schwarzbuch Markenfirmen von Werner-Lobo und Weiss, oder Jean Zieglers „Das Imperium der Schande“, dann sieht die Sache ganz anders aus. Bei Ziegler spürt man förmlich eine gewisse Sehnsucht nach einer gewissen Form von Kommunismus durch, bei allen Nachteilen mangelnden Luxus.

In den letzten Jahrzehnten haben multinationale Konzerne und die Agrarindustrie die Politik zunehmend in die Hand bekommen. Während diese Firmen immer ungeheuerlichere Gewinne erzielen – laut Ziegler setzen die 500 größten Firmen der Welt bereits 53% des Weltbruttosozialprodukts um – gibt es weder mehr Arbeitsplätze, noch einen sozialen Aufstieg der Arbeiterschaft oder eine erhöhte Kaufkraft der KonsumentInnen. Stattdessen dreht sich die Verarmungsspirale in den Ländern der 3. Welt immer schneller. Deren Schulden haben sich in den letzten 10 Jahren wieder einmal verdoppelt, ein relevanter Prozentsatz der Produktion dieser Länder wird nur noch als jährliche Zinsen an Privatgläubige ausbezahlt, wobei die Zinssätze aufgrund des hohen Risikos das 5-7 Fache des Üblichen erreichen. Der Westen produziert eine massive Hungersnot und kriminalisiert die Hungerflüchtlinge. Die Tierproduktion hat an all dem einen großen Anteil, muss die 3.Welt doch die Futtermittel für die Nutztiere der Industrienationen produzieren und dabei die eigene Umwelt und die Trinkwasserreserven zerstören. Dafür wird das Trinkwasser jetzt privatisiert, z.B. in Bolivien, und kommt so auch in die Hände der Konzerne. Mittels Schuldendruck zwingt man diese Länder, ihre Ressourcen, Rohstoffe und einzig rentablen Betriebe zu verkaufen, den multinationalen Firmen Steuerprivilegien einzuräumen und den großen Waffenfirmen für teures Geld ihre Produkte abzunehmen, um etwaigen Widerstand in der eigenen Bevölkerung unterdrücken zu können.

Nach Zieglers Analyse kann sich dieses System nicht mehr lange halten, weil es seine eigenen Ressourcen, die ausbeutbaren Menschen und die nutzbare Natur, zunehmend vernichtet. Doch um das System dennoch weiter aufrecht erhalten zu können, greift man eben zu Gewalt. Für 8% der weltweiten Militärausgaben, von denen allein die USA 47% bestreitet, könnte man Schulbildung, Trinkwasser, medizinische Versorgung und Ernährung aller Menschen sicherstellen. Stattdessen werden von den USA das Folterverbot und die Menschenrechte einfach aufgehoben, und die UNO unter Druck gesetzt, keine kapitalismuskritischen Entscheidungen zu treffen. Laut Ziegler gibt es eine eigene Abteilung im Weißen Haus, die alle BeamtInnen der UNO kontrolliert und unliebsame KritikerInnen sofort eliminiert. Seit geraumer Zeit könnten in der UNO keine Führungskräfte mehr ohne Zustimmung der USA ernannt werden. Jean Ziegler, unverdächtiger Schweizer, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, dazu: „Die Attentate von [9/11] haben eine dramatische Beschleunigung dieses Prozesses der Refeudalisierung bewirkt. Sie waren für die neuen Despoten der Anlass, die Welt in Besitz zu nehmen. Sich der Ressourcen zu bemächtigen, die für eine Lebensqualität der Menschen notwendig sind. Die Demokratie zu vernichten. Die letzten Dämme der Zivilisation drohen zu brechen. Das internationale Recht liegt in den letzten Zügen.“

Die Repression gegen den Tierschutz im Windschatten dieser Entwicklung scheint die österreichische Version davon zu sein. Es wird immer deutlicher, dass hier eine neue Qualität von Bedrohung entsteht, die insofern gefährlicher ist als alles Bisherige, weil ihr kein Gegengewicht, wie bis 1989 der Kommunismus, gegenübersteht. Das zu erkennen und entsprechend zu handeln, wird zur Überlebensfrage. Alleine sind wir zu schwach, um uns effektiv zu wehren, selbst alle NGOs gemeinsam, die sich einem Thema wie Tierschutz verschrieben haben. Deshalb müssen wir jetzt themenübergreifend Koalitionen der gesamten Zivilgesellschaft bilden, um ein entsprechendes Gegengewicht zu multinationalen Konzernen und Agrarindustrie zu schaffen. Ich glaube, dass Änderungen in der Lebensweise von Einzelpersonen nie eine ausreichend große Wirkung entfalten können. Wir müssen aktiv ins politische System eingreifen und durch Druck von unten die Weichen für eine bessere Zukunft stellen.

4 Gedanken zu “Fällt nach dem Kommunismus auch der Kapitalismus?

  1. Ich möchte auch zu bedenken geben, dass die Forderung nach der Lebensumstellung einzelner – insbesondere im Kontext von Kapitalismuskritik – eine gewisse Schieflage bekommt, vor allem bei Konsumentscheidungen. Denn klar ist, dass hier immer diejenige den stärksten Einfluß hat, die das meiste Geld hat. Im Gegensatz zu diesem System a la pro Euro eine Stimme, gilt in einer Demokratie aber zumindest theoretisch noch immer dass jeder Mensch nur eine Stimme hat.

    Andererseits kann ein Systemwandel meines Erachtens niemals ohne die Entscheidung Einzelner zur Lebensumstellung möglich sein. Wie sollten sich Alternativkonzepte entwickeln, wenn diese nicht ausprobiert, gefördert und angewandt werden?

    Was das Buch von Ziegler angeht, das ich auch gelesen habe und auch sehr interessant fand, möchte ich noch anmerken, dass Personen, die sich in einem bestimmten Bereich engagieren, fast immer mit der Zeit gewisse “Scheuklappen” entwickeln und ein wenig zu schwarz-weiß-Malerei neigen. (Auch wenn ich Zieglers Bedenken bezüglich der immer stärkeren Macht von Konzernen zu 100% teile!) Darum ist es immer empfehlenswert, sich einem Thema von verschiedenen Seiten zu nähern 😉

    Grundsätzlich halte ich aber “themenübergreifend(e) Koalitionen der gesamten Zivilgesellschaft” für den einzigen gangbaren Weg auf demokratiepolitisch und humanitär vertretbare Weise zu einer Systemänderung zu gelangen.

  2. LiebeR Anfi, danke für die freundlichen Worte.
    Was Du schreibst ist in vieler Hinsicht interessant und bedenkenswert.

    Aber dass eine Lebensumstellung einzelner Menschen am Gesamtsystem noch nichts bewirkt, wird in meinen Augen durch die Subventionspolitik belegt, die offenbar solche Individualentscheidungen aushebeln kann. Aufgrund der Systemzwänge, unter denen wir alle leben, ist es praktisch nicht möglich, dass sich ausreichend viele Menschen ausreichend lange ausreichend anders verhalten, um eine Systemänderung zu erzwingen. Weder ein Zuckerboykott aus Sklavenarbeitsländern vor 170 Jahren, noch die Einzelentscheidung von Menschen, selbst keine SklavInnen zu halten, hat die Sklaverei abgeschafft.

  3. Naja, die Repression gegen den Tierschutz ist (leider) nur ein kleiner Teil der “österreichischen Version”. Ein sehr wichtiger; denn es war so klar ersichtlich, dass hier wirtschaftlich unliebsame Menschen irgendwie mit Rechtsmittel mundtot (..oder zumindestens “fertiggemacht”) werden sollten.
    Das passiert anderen auch, und es gibt wohl mehrere Gründe, warum gerade in eurer Sache vielen Menschen ein Licht aufgegangen ist.

    Umsomehr Gewicht haben für mich Ihre letzten Worte, und vor allem dem Abschlußsatz müssten nun Taten folgen.
    Ich bin gespannt wie die aussehen werden.

  4. Lieber Martin, ich möchte dir auf diesem Wege für deine Beiträge danken, ich lese deinen Blog regelmäßig.
    Zum Text: Ich Stimme dir vollkommen zu, eine themenübergreifende Koalition emanzipatorischer, gesellschaftlicher Kräfte ist absolut notwendig und ich bin sehr froh, diese Forderung zunehmend aus den Unterschiedlichsten (linken) Richtungen zu vernehmen. Es lässt mich hoffen, dass ein Zusammenrücken möglich wird.
    Wo ich dir jedoch widerspreche ist, dass „Änderungen in der Lebensweise von Einzelpersonen nie eine ausreichend große Wirkung entfalten können.“ Die Frage muss hier eher sein, wie können wir eine ausreichend große Anzahl an Individuen zu einem Wertewandel bewegen? Wie erreichen wir die Veränderung von Gewohnheiten, Werte/Vorstellungen/Normen und Praktiken der Individuen? Wie (er)schaffen wir Rollenbilder, die Subjektivität verändern um eine emanzipatorische Transformation der sozio-ökonomischen Lebensweise gewährleisten? Michael Hardt beschreibt diesen radikaler Wandel von Subjektivität als Revolution: “What Revolution really is, is creating a world in which we really don’t fit, in which we have do be really different to survive.” Also eine Welt in der wir mit unseren derzeitigen Gewohnheiten und Wertevorstellungen nicht hineinpassen. Wir selbst müssen uns ändern um diese Welt zu erschaffen.
    Natürlich können wir darauf hoffen, dass sich der Turbo-Kapitalismus selbst abschafft. Doch bin ich, die letzten 250 Jahre betrachtend,leider sehr skeptisch. Die kapitalistische Produktions- und Lebensweise produziert laufend innergesellschaftliche wie internationale Widersprüche, welche von unterschiedlichsten Akteuren (staatliche Politiken, internationale politischen Institutionen, Unternehmen, Konzerne, Medien, NGOs, soziale Bewegungen,Denkfabriken, Stiftungen etc ) bearbeitet werden und schließlich zur Reproduktion neuer kapitalistische Herrschaft/Hegemonie führen. Dieser Prozess erfolgt zunehmend autoritär. Die Tendenzen sind erschreckend. Slavoj Zizek sieht gar die Auflösung der Zweckgemeinschaft zwischen Demokratie und Kapitalismus ( die „erfolgreichsten“ kapitalistischen Länder sind zunehmend undemokratische China, Singapur etc.), also sehr ähnlich wie du dies oben beschrieben hast.
    In diesem Sinne wird Widerstand in der heutigen Praxis immer schwieriger werden. Daher wäre es höchste Zeit, neben dem täglichen Kampf um seine BürgerInnenrechte, Konzepte zu entwickeln, welche die Transformation der sozio-ökonomischen Lebensweise gewährleisten können: Konzepte Abseits der Markt- und Staatslogik, die aus der Praxis heraus emazipative Subjektivität generiert. Subjektivität die in eine revolutionierte Zukunft passt und gleichzeitig generiert. Hier sind kritische Geister ( wie du) gefragt.

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