5. November 2024

Gibt es einen freien Willen?

P1060112Das physikalische Weltbild sagt klar nein, es gibt keinen freien Willen. Die Naturgesetze bestimmen eindeutig und ohne jeden Freiraum zu lassen, was in der Welt passiert. Das Universum ist determiniert, und sei es im Rahmen eines probabilistischen Determinismus, wenn sich die Wahrscheinlichkeiten der Mikrowelt in den Makrokosmos umsetzen.

Dieses Argument ist es wert, deutlich wiederholt zu werden, weil es ein ganz schwerer Einwand gegen die Welt ist, wie sie uns erscheint. Das physikalische Weltbild beschreibt den Kosmos, vom Großen bis zum Kleinen, im Wesentlichen wie einen Billardtisch voller Kugeln, die sich kreuz und quer bewegen. Weiß man zu einem Zeitpunkt alle Orte der Kugeln, sowie ihre Geschwindigkeiten und deren Richtungen, dann kann man – mehr oder weniger genau – die Orte der Kugeln und ihre Geschwindigkeiten und deren Richtungen für alle Zukunft berechnen. Zumindest sind sie festgelegt. Würde eine der Kugeln ein Bewusstsein entwickeln, könnte sie trotzdem nicht anders, als sich den Naturgesetzen entsprechend bewegen. Sie hätte keinen Freiraum.

Die Neurobiologie sieht das Gehirn auch wie einen solchen Billardtisch. Die neuronale Aktivität kann nie aus dem Nichts entstehen, sie wird immer von außen angestoßen, den Naturgesetzen entsprechend. Neurobiologe Wolf Singer sagte dazu im Ö1-Interview, der freie Wille sei nur eine Illusion, die „uns“ das Hirn lediglich vorgaukle. Bestätigt würde das durch die Experimentserie, die von Benjamin Libet ausgelöst wurde. Wenn man einem Menschen sagt, er solle irgendwann entscheiden, einen Finger zu heben, und gleichzeitig seine Gehirnströme misst, dann zeigt sich jedes Mal, dass zuerst das Gehirn die Bewegung einleitet und dann erst das Bewusstsein davon erfährt. Das Bewusstsein, so der Schluss, entscheidet gar nichts. Es erlebt nur mit, was über seinen Kopf hinweg von anderswo ausgelöst bereits passiert.

Lustig, irgendwie, dass die Geisteswissenschaft diesen faktischen Erkenntnissen so wenig Bedeutung beimisst. Auch Wolf Singer sagte auf Ö1, dass er trotzdem im täglichen Leben und insbesondere seinen Kindern gegenüber so handle, als ob es einen freien Willen gäbe. Kürzlich begegnete ich einem Psychologen, der diese physikalische Erkenntnis als Beweis seiner These ansah, dass der Mensch durch die Gesellschaft, in der er aufwächst, vollständig geprägt würde. Eine erstaunliche Blüte, die mich zu einer Entgegnung veranlasst. Das kann man jedenfalls aus dem physikalischen Weltbild sicher nicht schließen.

Hier ein Paradoxon. Sagen wir, ich sitze vor einem Kugelschreiber. Wolf Singer hat mein Gehirn gescannt und ganz genau berechnet, ob ich diesen Kugelschreiber in wenigen Sekunden aufheben werde oder nicht. Und er nennt mir das Ergebnis – ich aber handle genau umgekehrt. Das ist mein Erlebnis des freien Willens: ich kann immer genau umgekehrt handeln, als die Berechnungen mir angeben. Was, bitte schön, sollte mich daran hindern?

Nun, wie lässt sich das mit dem physikalischen Weltbild, das ich ja uneingeschränkt teile, in Einklang bringen? Libets Experimente zeigen, bzw. sollen zeigen, dass das Bewusstsein nichts mitentscheiden kann, sondern nur nebenher erlebt, was sowieso passiert. Wozu ist also das Bewusstsein da? Was ist seine evolutionäre Rolle? Immerhin sind bewusste Prozesse sehr energieaufwendig. Es ist also undenkbar, dass die Evolution ein Bewusstsein entwickelt, das lediglich viel Energie frisst und dadurch einen Überlebensnachteil für das Lebewesen mit Bewusstsein schafft, aber keinerlei Vorteile. Der Vorteil, den das Bewusstsein bietet, muss zumindest eine zeitweilige Auswirkung auf das Handeln des Lebewesens mit Bewusstsein sein. Und diese Auswirkung könnten wir salopp als „freien Willen“ oder wenigstens Autonomie bezeichnen.

Und wie könnte das mit dem physikalischen Weltbild der rollenden Billardkugeln im Einklang stehen? Eines ist klar: das Gehirn ist – jedenfalls in diesem Weltbild – ein physikalisches System. Und dieses System kann ein Bewusstsein entwickeln, also ist Bewusstsein ein physikalischer Zustand, der mit den Mitteln der mathematischen Physik erfassbar sein muss. Aber genau hier bricht die Schlusskette ab: er ist es nicht, zumindest noch nicht. In Sachen Bewusstsein ist das physikalische Weltbild noch unvollständig.

Wäre das Gehirn lediglich ein Netzwerk von Nervenleitungen und nicht mehr, wie es von der Neurobiologie beschrieben wird, dann entspräche das tatsächlich einem Billardtisch. Und immer mehr Leitungen – oder immer mehr Billardkugeln – in einem immer größeren Gehirn – oder immer größeren Billardtisch – würde daran auch nichts ändern. Dann wäre das Gehirn lediglich wie ein Computer. Doch das Gehirn ist anders, es baut ständig neue Synapsen und löst andere auf, es ist plastisch. Ein Computer nicht. Wozu sollte die Evolution ein plastisches Gehirn mit veränderlichen Synapsen entwickeln, wenn es eine fixe Verschaltung, wie bei einem Computer, auch täte? Wäre das nicht einfacher und weniger energieaufwendig, also ein Überlebensvorteil? Alle Computer sind gleich, die jeweilige Software, mit der sie gefüttert wurden, macht den Unterschied. Alle Gehirne sind verschieden, nicht nur bzgl. ihrer Software, sondern auch bzgl. ihren Synapsen.

Aber genau diese Bildung und Auflösung von Synapsen beruht auf physikalischen Prozessen, die möglicherweise jenen Bereich der Physik zwischen Mikrowelt und Makrowelt berühren, der noch nicht mathematisch-physikalisch verstanden ist. Schon wie ich noch Physik studiert habe, in den 1980er Jahren, dachte man, knapp vor dem Durchbruch zu stehen und diesen Übergang bald begreifen zu können. 30 Jahre danach ist das den besten Gehirnen der Erde noch immer nicht gelungen. Der Wiener Physiker Anton Zeilinger schirmte in einem Experiment große Moleküle so vorsichtig von äußeren Einflüssen ab, dass sie noch im Mikrozustand der Quantenwelt blieben. Auf meine Frage, wie er sich den Übergang zur Makrowelt erkläre, wann dieser überhaupt einsetze, wusste aber auch er keine Antwort.

Sind wir also ehrlich, dann müssen wir konstatieren, dass noch keine Möglichkeit im Rahmen des physikalischen Weltbilds gefunden wurde, genau in diesem Bereich der Physik, der die physikalischen Prozesse der Synapsenbildung im Gehirn und des Bewusstseins umfasst, die Phänomene mathematisch zu verstehen. Erst wenn das gelungen ist, können wir auf die Frage nach dem freien Willen eine befriedigende Antwort finden. Bis dahin bleibt alles Spekulation.

14 Gedanken zu “Gibt es einen freien Willen?

  1. Mich erinnert die Frage nach dem freien Willen immer etwas an das Problem die Welt möglichst adequat in zum Beispiel einem Computerspiel zu simulieren. Je besser die Simulation sein soll, umso mehr tatsächliche Aspekte müssen nachgebildet werden. Die perfekte Simulation wäre eine vollständige Kopie der Realität. Die ist aber letztlich unmöglich weil sie diese Simulation selbst mit einschließen müsste. Damit wäre die Simulation allerdings immer einen Schritt hinter der Realität.

    Ähnlich verhält es sich mit der Frage ob Gott einen Felsen schaffen könnte, der so schwer ist, dass er ihn selbbst nicht mehr heben kann. Seine definitionsgemäße Allmacht würde bei beiden Antwort-Möglichkeiten verloren gehen.

    Wie kommen wir überhaupt auf die Idee, dass die Realität völlig determiniert wäre? Ist das nicht vielleicht ein voreiliger Trugschluss? Bloß weil wir manche Aspekte recht zuverlässig vorhersagen können, haben wir ja noch keinen Beweis dafür, dass alles deterministisch ablaufen würde.

    Ich halte unser kausales Weltbild bereits für ein Resultat unserer geistigen Möglichkeiten. Wir können kein vollständiges Bild der Realität haben wenn unsere Wahrnehmung beschränkt ist. Wir können die Welt nicht vollständig begreifen, wenn unsere Denkmöglichkeiten durch unsere Fähigkeiten begrenzt sind.

    Bloß der Umstand, dass wir nur kausal rational denken können, ist ja noch kein Beleg dafür, dass die Welt kausal funktionieren würde. Es wäre naiv davon auszugehen, dass nur existiert, was wir im Kegel unserer engen Taschenlampe sehen können.

    Allein der Umstand, dass kausales Denken zwangsläufig in ein unbefriedigendes Parardoxon führt, sollte ein deutliccher Hinweis darauf sein, dass wir hier offensichtlich etwas Unmögliches versuchen: Unser kausales Denken zwingt uns immer auf etwas davor und ausserhalb liegendes zu verwiesen um Phänomene zu erklären. Wir sind nicht befriedigt von einer “selbstgenügsamen Existenz”. Damit sind wir gedanklich zum endlosen Regress verdammt.

    Das ist praktisch in alltäglichen Situationen. Zum Verstehen des Ganzen ist das offensichtlich ungeeignet.

    Vermutlich hat sich deswegen auch immer noch Religion halten können. Das rationale Denken ist zwar praktisch und seine strukturierte Nutzung ermächtigt uns in zunehmendem Ausmaß unsere Lebenswelt zu gestalten. (Auch wenn wir dabei sehr oft ausgesprochen stumpfsinnig agieren.) Diese Art des Denkens hilft uns aber genau gar nicht dabei unser Bedürfnis zu befriedigen einen Urgrund zu finden, den wir gleichzeitig nicht akzeptieren können weil eben genau dieses zwanghafte Bedürfnis hinter dem Bekannten weitere Untiefen zu ergründen uns daran hindert irgendein Ende akzeptieren zu können…

    Noch einmal: Wie kommen wir darauf, dass die Welt komplett determiniert wäre? Ist das nicht bloß ein Vorurteil?

  2. Der evolutionäre Vorteil von Bewusstsein ist offensichtlich. Erst Bewusstsein macht eine, wenn auch determiniert ablaufende, Reflektion von bereits getätigten Handlungen möglich und beeinflusst somit alle zukünftigen determiniert ablaufenden Handlungen bzw. Entscheidungen.

  3. Ich hab die Sendung nicht mitverfolgt, deshalb weiß ich nicht genau worum es geht. Aber hier auf http://www.philosophie.uni-muenchen.de/lehreinheiten/philosophie_4/dokumente/jnr_singer.pdf gibt es eine Diskussion mit ihm. Ich glaube dass da vieles falsch verstanden wird, weil es keine gemeinsame Sprache gibt. Wenn er z. B. sagt: “aber natürlich spielen Gründe eine kausale Rolle. Wenn ich jetzt nachdenke, wie ich weiter argumentieren will, dann sucht mein Gehirn, suche ich, nach möglichen, d.h. widerspruchsfreien Argumenten. Diesen Prozess können Sie fortwährend beeinflussen: Schauen Sie mich finster oder zweifelnd an, dann fügen Sie damit dem Prozess weitere Variablen hinzu, die dazu führen können, dass er eine andere Richtung nimmt.

    JNR: Jetzt sind wir knapp dran. Aber bei
    gegebenen Umständen, einschließlich aller
    Variablen, müssten Sie vorhersagen können,
    wie das Ergebnis der Abwägung aussieht.
    WS: Ja. Der je nächste Zustand des Gehirns
    ist durch den vorhergehenden in hohem Maße
    determiniert. Falls zwei Folgezustände gleich wahrscheinlich sind, kann dann auch einmal thermisches Rauschen den einen oder anderen begünstigen. ”

    dann meint er damit wohl den Verstand? Unsere Entscheidungen treffen wir aber nicht nur mit dem Verstand. Der Verstand ist ein Hilfsmittel und der versucht alles zu begreifen und die für uns beste Lösung zu finden. Was er nur kann wenn er genügend richtige Informationen hat.

    An anderer Stelle (andere Webseite) spricht er davon, dass der Zuckergehalt im Gehirn uns beeinflusst. Das stimmt auch. Auch die Hormone beeinflussen uns und vieles andere auch noch.

    “WS: Ich tue mich halt schwer mit diesem „ein bisschen“. Ein bisschen frei. Was soll das sein? Wieso ist das, was wir mit Argumenten verhandeln ein bisschen freier, als das, was wir auf der gefühlsmäßigen unbewussten Ebene verhandeln? Es sind nachweisbar die gleichen neuronalen Prozesse, und diese sind gleichermaßen determiniert. ”

    Wenn er sagt “die gleichen neuronalen Prozesse” sind determiniert, meint er wohl etwas anderes als den Verstand der eine Lösung sucht. Er meint das Sichbare im Gehirn. Jetzt kann man es sichtbar machen. Das kommt mir vor als würde jemand sagen, wenn er das Radio aufdreht laufen immer die gleichen elektrischen Prozesse ab und man kann vorhersagen welche Radiowellen aufgefangen werden wenn man am Knopf dreht. Das stimmt ja auch, trotzdem hört man immer andere Sendungen.

    “WS: Warum? Ich kann den Auswahlprozess doch auch als einen neuronalen Prozess verstehen. Und genauso natürlich kann ich sagen: Wenn ich alle entscheidungsrelevanten
    Variablen kenne, kann ich vorhersagen, wie ein Gehirn entscheidet. Sie wollen immer darauf hinaus zu sagen: „Ein bissl frei sind wir doch.“ Das geht nicht. Entweder sind Entscheidungen die Folge neuronaler Wechselwirkungen oder sie kommen auf naturwissenschaftlich nicht
    nachvollziehbare Weise zustande. Da müssen Sie sich schon entscheiden. ”

    Ich glaube dass er auch nicht so ganz versteht dass es Unterschiede zwischen logischem Denken und anderen Denkprozessen gibt. Jedenfalls klingt das für mich so. Nicht umsonst sagt man “Liebe macht blind” (eigentlich meint man blöd) – es wird hier ein Beispiel mit einem Mann gebracht der seine Frau betrügt. Wenn die Hormone sich bemerkbar machen kann man vielleicht nicht mehr logisch denken. Auswählen kann man schon – man trifft ständig Entscheidungen – aber sie werden, was die Gründe betrifft, nicht sehr bewusst ausfallen. Natürlich könnte er vorhersagen wie die neuronalen Prozesse ablaufen werden und auch wie ein Mensch entscheiden wird wenn er alle Voraussetzungen kennen würde. Weil jede Entscheidung auf bereits getroffenen Entscheidungen und auf gegenwärtigen Zuständen und Wünschen für die Zukunft aufbaut. Demnach müsste man dann fragen wo die erste Entscheidung zu finden ist die man getroffen hat und ob diese eine freie Entscheidung war, wenn man wissen will ob man frei entscheidet, weil alles Folgende eigentlich nicht freier Wille ist. Da ich an Wiedergeburt glaube suche ich diese Entscheidung vor diesem Leben. Vor der Existenz von Leben. Mit dem Verstand kann ich sie aber nicht finden. Er kann nur meine Argumente beurteilen. Bin ich in dieser Welt weil ich mich irgendwann frei entschieden habe hier zu sein, oder wurde ich in sie hinein geworfen, gegen meinen Willen?

    Was seine Experimente betrifft müsste man genau wissen wie sie ablaufen.

  4. Mohoma, die Materie mag (und soll) uns Subjekt Bewusstsein wie eine Substanz erscheinen, herkömmliche Deutungen erklären nicht z.B. die Verschränkung zweier Teilchen uvm.

    Zur rückwirkenden Kausalität
    es gibt ein interessantes Photonen- Linsen-Experiment,
    es funktioniert im Kleinen wie auch im Großen.

    Eine Galaxie kann als Linse fungieren, Photonen müssen im Schwerefeld eines massiven Körpers den durch ihn hervorgerufenen Krümmungen der Raumzeit folgen.
    (Machen sich viele ergiebige Gedanken über das Wesen der raum_zeit, oder wird dieses in allen Argumenten vergessen?)

    Ein Photon von einem Stern Lichtjahre hinter der Galaxie, nimmt seinen Weg entweder links an der Galxie vorbei, oder rechts an der Galaxie vorbei. Wenn das Photon auf unserer Erde wahrgenommen werden kann, hat es seinen Weg bereits lange vorher `entschieden´. Nichts daran ist zu ändern, so besagt es das herkömmliche Weltbild.

    Messtechnische Fehler sind im folgenden Experiment ausgeschlossen, das wurde betont, das Resulat verlangt ein völlig neues Verständnis von Raum, Zeit und damit verwoben selbstverständlich von Bewusstsein.
    Wann kommt das? Folgendes Experiment erfolgte vor Jahrzehnten.

    Die Messapparate, die im Experiment das Photon registrierten, wurden so angeordnet (fragt mich bitte nicht wie genau, das wüsste selbst gerne!), als ob das Photon seinen Weg links an der Galaxie vorbeigenommen habe. Das Resultat bestätigte diesen Weg.
    Die Messapparate wurden aber auch so angeordnet, als ob das Photon seinen Weg rechts an der Galaxie vorbeigenommen habe. Und das Resultat bestätigte diesen Weg.
    Das auf Erden angekommene Photon, das seinen Weg herkömmlich gedeutet längst hinter sich hatte, zeigte jeweils einen anderen Weg je nach Anordnung der Messapparate.

  5. ad paradox:
    möchte an dieser stelle die newcombsche paradoxie einbringen. sie schlägt in die selbe kerbe, bringt das problem aber vielleicht besser zum ausdruck.
    stellen wir uns ein wesen vor, dass in der vergangenheit fast ausschließlich richtige vorhersagen über unser verhalten und über das verhalten anderer gemacht hat. dieses wesen zeigt uns nun 2 verschlossene kästchen und erklärt, dass in kästchen 1 auf jeden fall 1000$ liegen, in kästchen 2 jedoch entweder nichts oder aber eine million $ liegen. wir können nun entweder beide kästchen öffnen und nehmen das darin vorgefundene geld oder wir öffnen nur kästchen 2 und nehmen das geld darin. nun teilt uns das wesen aber mit, dass es folgende maßnahmen getroffen hat: wenn wir beide kästchen öffnen, hat das wesen (das diese entscheidung natürlich richtig vorraussah) das zweite kästchen leer gelassen und wir gewinnen nur 1000$. wenn wir uns nur für kästchen 2 entscheiden, hat es (in vorrauswissen unserer entscheidung) die million dort hineingelegt. was sollen wir also tun?

    nun im wesentlichen gibt es 3 ansätze:
    1) manche werden argumentieren, dass das wesen scheine entscheidung ja schon zuvor getroffen hat und es keine rückwirkende kausalität geben kann. wie auch immer wir uns entscheiden ändert nichts daran, dass das geld schon in der kiste ist. wir müssten daher beide öffnen und würden so in jedem fall 1000$ mehr gewinnen. (freier wille)
    2) andere werden aber sagen, dass das wesen eben diese entscheidung schon vorhergesehen habe und daher wir daher nur 1000$ gewinnen können, wenn wir beide öffnen. entscheiden wir uns jedoch nur kästchen 2 zu öffnen, wird das wesen das vorhergesehen haben und die million darin gelassen haben. (kein freier wille= fatalismus – nicht zu verwechseln mit determinismus!)
    3) wir werfen eine münze 😉

    das paradoxe dabei ist, dass ich, wenn ich behaupte einen freien willen zu haben, die realität als streng strukturiert und kausal betrachte, wenn ich jedoch vom gegenteil ausgehe, für meine entscheidung einen freien willen benötige. 🙂

    nichtsdestotrotz: was würdet ihr tun?

    im übrigen gibt es viele interessante konzeptionen von einem freien willen, die vollkommen unabhängig von determinismus funktionieren. sehr sympathisch ist mir zum beispiel die von harry g. frankfurt.

    lg. michi

    ps. vielleicht können wir daraus ja das thema der nächsten diskussionsrunde machen. den vorschlag gibt es ja schon 🙂

  6. “Das physikalische Weltbild sagt klar nein, es gibt keinen freien Willen …”

    so? wo sagt es das? hat es dazu ein buch geschrieben oder einen bahnbrechenden aufsatz? vielleicht irgendwelche bibliographischen angaben? oder ist das naturwissenschaft für den hausgebrauch?

    das physikalische weltbild und die ganze physik hat zur frage nach dem freien willen gar nix zu sagen. und zwar einfach weil es nicht in ihr gebiet fällt.

    “Das Bewusstsein, so der Schluss, entscheidet gar nichts. Es erlebt nur mit, was über seinen Kopf hinweg von anderswo ausgelöst bereits passiert. Lustig, irgendwie, dass die Geisteswissenschaft diesen faktischen Erkenntnissen so wenig Bedeutung beimisst.”

    mal abgesehen davon dass ich mir den kopf des bewusstseins komisch vorstelle (ist das der abgebildete?), welchen ‘faktischen Erkenntnissen’ sollte welche geisteswissenschaft da irgendwelche bedeutungsschwere zulegen? spricht diese ereignisfolge in irgendeiner weise für (oder gegen) einen freien willen, oder was sollte irgendeine geisteswissenschaft daraus machen? da wedelt wohl mal wieder der schwanz ganz kräftig mit den hund!

    letzten endes macht nur der allerletzte absatz des textes wirklich sinn und lohnt die lektüre: die physik und die mathematik weiß dazu nix. leider sind physiker und mathematiker nur allzu selten ehrlich und realistisch genug ihre grenzen zu (er)kennen und neigen zur selbstüberschätzung. ein paar erstsemesterkurse philosophie würden hier und da wohl nicht schaden und eine eine etwas realistischere selbstsicht und -einschätzung mancher mathematiker und physiker erlauben.

  7. @Martin
    Ein neues Gedankenexperiment: Ich analysiere ob mein Computer demnächst beept oder nicht. Ich schreibe ein Programm, das mein Analyseergebnis entgegennimmt und abhängig von der Eingabe das Beepen unterdrückt bzw. auslöst. Das Programm kann so implementiert werden, dass es immer das Gegenteil tut von dem was meine Analyse ergeben hat.

    Hat der Computer einen freien Willen?

    Ich denke dass das Paradoxon nichts mit freiem Willen zu tun hat. Es ist allerdings eine klassische selbstzerstörende Prophezeiung.

    @Lilly
    “Ich vermisse bei Neurobiologen zur Ergänzung die gründliche Erörterung der immerwährenden Gegenwart, da mit dem Zusatz Materie ist Energie bzw. Materie ist (immaterielle) Information.”
    Materie ist eine Substanz und Energie eine Eigenschaft, die Behauptung “Materie = Energie” ist also ein Kategorienfehler. Materie *hat* Energie und Masse und diese sind äquivalent.

  8. Lustig ist das Foto. Originell 🙂

    das Gegenteil davon ist bei diesem gewichtigen Thema, das niemals für sich alleine steht, sondern alle Schicksale mitbestimmt, wenn nicht sogar fehlleitet, wenn keine anderen Fakten miteinbezogen werden, nach dem Motto, den ganzen Tisch kann das Subjekt nicht sehen, wenn es nur eine Ecke betrachtet.

    Auch wenn die Bewusstwerdung kurz nach neuronaler Tätigkeit erfolgt, wobei nicht erwiesen ist, dass das Neurale DER Ursprung ist, tut die (Geistes) Wissenschaft gut daran
    sich nicht nur auf diese eine Erkenntnis zu stützen, denn damit
    blieben viele andere reale _Phänomene_ aussen vor
    und das Subjekt degradierte zum geistlosen Roboter, was es nicht ist.

    Ich vermisse bei Neurobiologen zur Ergänzung die gründliche Erörterung der immerwährenden Gegenwart, da mit dem Zusatz Materie ist Energie bzw. Materie ist (immaterielle) Information.

    Mich interessiert die Frage, quer durch alle Everett-Welten, freier Wille über sehr große Zeitspannen hinweg, oder etwa nicht??! Eine Antowrt darauf müsste auch bei der Ergründung vom Wesen der Zeit (1-0-1) ansetzen.

  9. @Momoha:
    Ein geschickter Wolf Singer sollte in der Lage sein, das mitzuberechnen. D.h. er soll mir sagen, inklusive allem, was mein Hirn bis zum Zeitpunkt X an Sinneseindrücken mitverarbeitet, ob ich dann den Kugelschreiber aufheben werde oder nicht. Und ich mach immer das Gegenteil von dem, was er sagt. Dem Paradoxon ist mit Aufrechterhaltung der Behauptung, dass es keinen freien Willen gibt, meines Erachtens nur beizukommen, wenn es irgendeinen prinzipiellen Grund gibt, warum das niemals und unter keinen Umständen vorausberechenbar ist. Das Prinzip müsste so etwas besagen wie, das physikalische System Gehirn mit einem Bewusstsein ist grundsätzlich nicht berechenbar. Aber allein das würde schon das bisherige physikalische Weltbild (und Wolf Singers Ansicht) umstossen. Für Singer ist das Gehirn dasselbe wie ein Computer. Und der ist vorausberechenbar.

  10. Vielleicht ist die Messung in den Libet-Experimenten unvollständig. Vielleicht wird der Entscheidungsprozess des Bewusstseins früher in Gang gesetzt, als wir es schließlich realisieren. Vielleicht leitet das Gehirn die Bewegung ein, nachdem ein dezenter Teil des Bewusstseins dies veranlasst hat. Der Moment der abgeschlossenen Realisation unserer Entscheidung ist erst viel später. Und unsere Äußerung darüber natürlich noch viel später, abhängig vom individuellen Reaktionsvermögen.

    Mögliches Analogon etwa: Ich bin mit meinem Job unzufrieden. Ich realisiere langsam, dass ich mit meinem Job unzufrieden bin. Im Laufe dieses Prozesses beginne ich bereits damit, die Ohren nach anderen Jobs offen zu halten. In dem Moment, in dem mir absolut klar ist, dass ich meinen Job nicht mag, kündige ich.

    Libet-Experiment würde auswerten: Hat sich bereits nach anderen Jobs umgesehen, bevor er gekündigt hat. -> Der Körper hat die Entscheidung getroffen und das Bewusstsein später.

    Aber nur unser “Körper” hat sich nicht nach anderen Jobs umgesehen. Wir haben uns halb bewusst – halb unbewusst nach anderen Jobs umgesehen, ohne uns frühzeitig festlegen zu wollen. Messbar ist, dass wir uns zum Zeitpunkt unserer Kündigung entschieden haben, dass uns der Job nicht gefällt. In Wirklichkeit hat diese Entscheidung jedoch mehrere Monate lang gedauert.

    Kann man das nachvollziehen?

  11. Zu dem Paradox: Durch die Mitteilung des Ergebnisses verändert sich der Zustand des Gehirns und du willst plötzlich etwas anderes, es ist ein neues Motiv hinzugekommen, das in der Berechnung berücksichtigt werden muss.
    Der Wille ist schlicht determiniert durch die Mitteilung des Ergebnisses und weiterhin unfrei.

    Der freie Wille scheitert nicht an der Physik, sondern an seiner Definition:
    “Daher bleibt die Frage: ist der Wille selbst frei? – Hier war nun also der Begriff der Freiheit, den man bis dahin nur in Bezug auf das Können gedacht hatte, in Beziehung auf das Wollen gesetzt worden und das Problem entstanden, ob denn das Wollen selbst frei wäre. Aber diese Verbindung mit dem Wollen einzugehn, zeigt, bei näherer Betrachtung, der ursprüngliche, rein empirische und daher populäre Begriff von Freiheit sich unfähig. Denn nach diesem bedeutet „frei“ – „dem eigenen Willen gemäß“: frägt man nun, ob der Wille selbst frey sey; so frägt man, ob der Wille sich selbst gemäß sey: was sich zwar von selbst versteht, womit aber auch nichts gesagt ist. Dem empirischen Begriff der Freiheit zufolge heißt es: „frei bin ich, wenn ich thun kann, was ich will“: und durch das, „was ich will“ ist schon die Freiheit entschieden. Jetzt aber, da wir nach der Freiheit des Wollens selbst fragen, würde demgemäß diese Frage sich so stellen: „kannst du auch wollen was du willst?” — welches herauskommt, als ob das Wollen noch von einem andern, hinter ihm liegenden Wollen abhänge. Und gesetzt, diese Frage würde bejaht; so entstände alsbald die zweite: „kannst du auch wollen, was du wollen willst?“ und so würde es ins Unendliche hinausgeschoben werden, indem wir immer ein Wollen von einem früheren oder tiefer liegenden abhängig dächten und vergeblich strebten, auf diesem Wege zuletzt eines zu erreichen, welches wir als von gar nichts abhängig denken und annehmen müßten. ”
    (Arthur Schopenhauer: Ueber die Freiheit des menschlichen Willens. In Die beiden Grundprobleme der Ethik, behandelt in zwei akademischen Preisschriften. 2. Aufl. Brockhaus 1860, S. 6f.;)

    Ein wirklich unbedingt freier Wille, ist ein völlig unmotivierter Wille, gänzlich abgekoppelt von der wollenden Person und sicher nicht wünschenswert!

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