22. November 2024

Ökologischer Footprint Teil 2: Kritik an einem anthropozentrischen Konzept

Die Berechnung des Ökologischen Footprints an sich ist eine naturwissenschaftliche Aufgabe, die keine Werthaltung voraussetzt. Es wird im Wesentlichen festgestellt, wieviel Land man verbraucht und die Einschränkung dieses Verbrauchs entsteht hauptsächlich durch die große Anzahl von Menschen, die heute auf der Erde leben. Der Ökologische Footprint sagt noch nichts darüber aus, ob die Rechte von Lebewesen missachtet werden, oder auch, ob ein Verbrauch besonders umweltbelastend ist. Würde man einige Menschen als SklavInnen halten, könnte man den eigenen Footprint senken, weil in die Footprintberechnung eines Produkts auch der für die ArbeiterInnen geleistete Aufwand einfließt. Genauso ist der Footprint bei einem Turbolegehuhn, das innerhalb von 1 Jahr so viele Eier legt, dass es dann zusammenbricht und stirbt, geringer, als bei einem Biofreilandhuhn einer alten Rasse mit geringerer Legeleistung. Und Holz hat einen hohen Footprint, weil Bäume viel Platz brauchen und langsam wachsen, auch wenn Holz an sich ein nachhaltiger und umweltverträglicher Rohstoff wäre. In der Geschichte der Menschheit haben Jäger-Sammler-Gemeinschaften ihre Umwelt relativ wenig belastet, aber viel Land für ihren Lebensstil gebraucht. Sie haben also einen viel höheren Footprint, als die Menschen nach der neolithischen Revolution mit Ackerbau und Viehzucht, was sich auch an der Bevölkerungsexplosion nach dieser Revolution ablesen lässt. Dieser Lebensstil schädigt zwar die Umwelt mehr, kann aber aus derselben Grundfläche viel mehr Ressourcen entnehmen und daher viel mehr Menschen ernähren. Das zeigt uns schon die Grenzen des Konzepts des Ökologischen Fußabdrucks auf.

Aber mit der Umsetzung der Idee geht auch ein starker Glaube an das Positive am technologischen Fortschritt einher. Ein Ökodorf mit Selbstversorgung hat einen viel zu großen Landverbrauch, um ein gesellschaftsweites Lebensmodell zu sein, wenn wir 8 Milliarden Menschen auf der Erde sind. Und Urwald ist sehr unproduktiv. Ideal für einen kleinen Footprint wären effiziente Maschinen, urbane Gesellschaften, bei denen jedes Haus per U-Bahn erreichbar ist, Gentechnik, Atomkraftwerke und sogar Elektrofahrräder statt normale, weil diese energieeffizienter als der menschliche Körper sind. Aber grassiert in den Städten mit Technologie statt Urwald nicht die Depression, weil die Menschen der Natur so entfremdet werden? Bei Männern bis 30 ist in unseren Breiten der Selbstmord die Todesursache Nummer 1 und die WHO spricht von der Depression als der weltweit größten Gefahr für die menschliche Gesundheit. Liegt das nicht an Technologie und Fortschrittsglauben?

Es ist schon richtig, solange wir so viele Menschen sind, muss man den vorhandenen Boden effizient nutzen. Aber meine Schlussfolgerung wäre, unbedingt die Anzahl der Menschen zu reduzieren. Mir scheint allerdings, die Anwendung des Konzepts Ökologischer Fußabdruck sieht das nicht vor. Zwar wird davon ausgegangen, dass sich die Gesamtzahl der Menschen so bei 10 Milliarden einpendeln wird, aber z.B. „Strafen“ für kinderreiche Familien, indem diese nur denselben Fußabdruck nutzen dürfen, wie kinderarme, sollen nicht sein. Im Gegenteil, kinderreiche Familien reduzieren ihren Footprint pro Kopf drastisch, weil sie ja ihren Wohnraum und ihr Fahrzeug etc. viel besser auslasten. Im Gegensatz dazu werden Menschen mit Haustieren bestraft. Für einen Menschen mit Kind schlagen sich alle Anschaffungen in seinem Footprint nur zu 50 % nieder. Ein Mensch mit Hund dagegen muss alle Ressourcen, die der Hund verbraucht, in den eigenen Footprint einkalkulieren. Hunde bekommen keinen Anteil am weltweiten Fußabdruck, sie gelten als Accessoire des Menschen, als Luxusartikel, wie der Porsche vor der Türe. Diese Umsetzung des Konzepts ist also äußerst anthropozentrisch. Im Wesentlichen werden die Menschen als die BewohnerInnen der Erde gesehen, die Tiere dagegen eher als deren Ausstattung, als Ressource. Wenn ein Landwirt 600 Schweine hat, um sie zu schlachten, dann werden diese von anderen Menschen genutzt und daher „zahlen“ diese Menschen mit ihrem Footprint für deren Ressourcenverbrauch. Ein Hund dagegen, der nicht genutzt wird, ist in diesem Bild eine reine Verschwendung und muss als Luxus vom Footprint seiner menschlichen MitbewohnerInnen mitfinanziert werden.

Die Menschen werden als große Familie gesehen, die gemeinsam in ihrem Haus, der Erde, lebt, und alles gerecht untereinander aufteilen sollte. Das funktioniert natürlich nur, wenn bei dieser gerechten Aufteilung alle Menschen genug zum Leben bekommen können. Sollte es passieren, dass die Gesamtzahl der Menschen so groß wird, dass sie nicht mehr alle von der Erde ernährt werden können, oder sollte der Klimawandel die nutzbare Bodenfläche der Erde so stark reduzieren, dass das passiert, dann würde es einen Konflikt um die Ressourcen geben. Die Anwendungsphilosophie des Ökologischen Fußabdrucks scheint mir dieses „Rettungsbootszenario“ aus ideologischen Gründen ausschließen zu wollen. Nur bei den Tieren kann es solche Ressourcenkämpfe geben, Menschen seien etwas grundsätzlich Anderes, ein jeder für das Wohlergehen aller anderen gleich mitverantwortlich. Schön, wenn dieses Konzept funktioniert, aber ob das in der Realität immer der Fall sein muss, bleibt offen.

Für mich ist also klar, dass der Ökologische Fußabdruck ein sehr instruktives Maß für den Landverbrauch ist. Aber er zeigt nur einen, wenn auch sehr wichtigen Aspekt unserer Auswirkung auf unsere Umgebung auf. Wir brauchen zusätzlich vom Footprint völlig unabhängige Werte, wie Menschen- und Tierrechte, um ein umfassend gerechtes und faires, ja befriedigendes Lebenskonzept zu entwickeln.

2 Gedanken zu “Ökologischer Footprint Teil 2: Kritik an einem anthropozentrischen Konzept

  1. “Aber grassiert in den Städten mit Technologie statt Urwald nicht die Depression, weil die Menschen der Natur so entfremdet werden? Bei Männern bis 30 ist in unseren Breiten der Selbstmord die Todesursache Nummer 1 und die WHO spricht von der Depression als der weltweit größten Gefahr für die menschliche Gesundheit.”
    Das seh ich auch als Riesenproblem.. Wir brauchen diese Eindrücke der von sich aus wachsenden Umgebung die nicht vom Mensch gemacht in der rechteckigen Geometrie der rein menschlichen Gedanken versinkt. Ohne Inspiration durch das Nichtmenschliche, die nichtmenschlichen Aspekte der Natur, verkommen wir, verkümmern wir!
    Die Ehrfurcht vor der Tiefe des Lebens bewahrt uns vor gefährlichen starren Denkstrukturen und Empathielosigkeit.

  2. Ich hab grad mal ein Interview mit Marc Bekoff gelesen, wo er einen “Compassion Footprint” vorschlägt. Ich glaube zwar nicht, dass er das in Hinblick auf den anthropozentrischen ökologischen Fußabdruck getan hat, aber die Idee finde ich interessant.

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