Nach meinem Erlebnis bei der Besetzung der Hainburger Au im Dezember 1984 begann ich mich für Tierversuche zu interessieren. Aber nur theoretisch, nur aus Büchern und was man aus wissenschaftlichen Publikationen so herauslesen kann.
Im Jahr 1991 hatte ich dann die Gelegenheit, mit einem Tierschützer in ein Tierversuchslabor mitzugehen. Ich war zwar an die Stimmung in wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen gewöhnt, doch die Atmosphäre dort, am Imperial College in London, empfand ich als sehr bedrückend. Eine Aktivistin hatte sich mit einem honorigen Professor angefreundet, der sie und seine Freunde – einer davon war dann ich – zu einem Besuch einlud. Er war einverstanden damit, dass wir seinen Tierversuch mitfilmten. Er war sogar stolz drauf.
Als wir sein Büro betraten, wurden wir äußerst freundlich empfangen. Der Tierschützerin gegenüber war der Mann galanter Kavalier. Zuerst erzählte er uns, was für ein Experiment geplant war. Er war gerade, so erzählte der Professor, mit der Messung verschiedener Blutwerte bei Kaninchen im Rahmen eines anderen Tierversuchs beschäftigt gewesen, als ihm die Schreibtischlampe umstürzte und dem am Tisch festgebundenen Tier den Bauch verbrannte. Gewisse Messwerte schossen daraufhin in die Höhe. So würden die bahnbrechendsten Entdeckungen gemacht, flötete der Professor, durch reinen Zufall. Man müsse Neuem und Unkonventionellem gegenüber aufgeschlossen sein. Und schon hatte er eine Tierversuchsreihe beantragt, bei dem einigen Kaninchen mit einer Schreibtischlampe der Bauch verbrannt wurde, während sie bei vollem Bewusstsein bewegungslos angefesselt an einem Tisch lagen. Dabei sollten wieder Blutwerte gemessen werden.
Nach dieser jovialen Einführung brachte er uns ins Labor. Mir wurde mulmig, als ich dort tatsächlich ein Kaninchen am Rücken angefesselt sah, den Bauch rasiert, Arme und Beine grotesk in alle Richtungen weg gespannt. Das arme Tier fiepte vor Angst, konnte aber nicht davon laufen oder sich überhaupt bewegen. Der Professor begann nun eine Schreibtischlampe an den Bauch des Kaninchens zu halten, bis es dampfte und nach verbranntem Fleisch roch. Ich konnte nicht fassen, was ich da sah. Mein Kollege filmte alles mit.
Mit Puten wiederum hatte ich in meinem Leben zunächst sehr wenig zu tun. In Österreich gab es früher keine Putenhaltung und ich selbst habe nie vom Putenfleisch gekostet. Hierzulande sind Puten die vergessenen Nutztiere. Vermutlich deswegen sah die Geflügelmastindustrie die größte Chance bei Puten, die Haltungsbedingungen zu verschlechtern, um mehr Profite zu machen. Das konnten wir zum Glück verhindern. Dabei hatte ich Gelegenheit, diese Tiere einmal näher kennen zu lernen, oder vielmehr jene grotesk verzüchteten Turboputen, die so schnell wachsen, dass sie kaum mehr gehen können und im Alter von einem Jahr regelrecht zerplatzen. Ich saß in dieser Masthalle, auf dem warmen Kot. 20 cm tief und voller Parasiten, der einzige Lebensraum unserer Mastputen. Und ständig grelles Licht, 24 Stunden am Tag, die ganze Nacht hindurch. Die Tiere stehen so dicht, dass sie unaufhörlich aneinander stoßen und sich weiter schubsen. Immer wieder brechen Kämpfe aus.
Die Veterinärmedizinische Universität, so würde man meinen, steht auf der Seite der Tiere. Dort lernt man, wie Tieren geholfen werden kann. Gehören Puten und Versuchstiere da auch dazu? Die Praxis ist eine andere. Mitarbeiter der Vet Uni halten Vorträge bei Mastputenkongressen, wie man die Profite auf Kosten der Tiere steigern kann. Und sie machen dazu auch Tierversuche.
Als ich versuchte herauszufinden, welche Tierversuche in Österreich im Jahr 2014 stattgefunden haben, stieß ich auf eine Versuchsserie an Puten. Mastputen, um genau zu sein. Die Turbovariante. An der Geflügelklinik der Vet Uni wurden 150 Puten mit einer sehr schweren Krankheit infiziert, nämlich mit der Schwarzkopfkrankheit. Die befallenen Tiere leiden furchtbar, doch der Versuchsleiter hatte nicht einmal vor, sie zu heilen zu versuchen. Dafür gäbe es sowieso bereits Medikamente, das ist nicht das Problem. Doch wenn Puten in den Mastfabriken erkranken, dann muss man TierärztInnen holen, um sie zu behandeln. Und diejenigen Tiere, die diese Medikamente bekommen haben, dürfen nicht mehr von Menschen gegessen werden. Die Versuchsreihe an der Vet Uni Wien zielt nun darauf ab, eine Möglichkeit zu finden, prophylaktisch etwas unter das Futter zu mischen, das den Profitverlust durch Ausbruch der Schwarzkopfkrankheit verhindert, d.h. keine Tierarztrechnung nötig macht und sicherstellt, dass die behandelten Tiere trotzdem geschlachtet werden können. Ein nobles Unterfangen. Das schwere Leid von 150 Puten wert. Oder nicht?
Nicht nur ich finde diese Versuchsreihe entsetzlich. Eine anonyme Person an der Vet Uni hat mir Fotos von den Tierversuchen geschickt. Sie zeigen Tiere in engen Plastikboxen, an denen nur eine Seite mit Glas versehen ist, in ihrem Kot sitzend. Grauenhaft. Und das, während sie die furchtbaren Symptome dieser Krankheit durchmachen müssen.
Ich schrieb der Rektorin der Vet Uni. Sie antwortete mir nicht. Stattdessen, so hörte ich später, ließ sie viele MitarbeiterInnen zu sich rufen, um sie zu befragen. Die Schuldigen, die diese Fotos an mich weitergaben, sollten gefunden werden. Wie so oft, wenn Missstände auffliegen. Die Verantwortlichen wollen in erster Linie die Sicherheitslücke schließen, anstatt sich um Verbesserungen oder Änderungen Gedanken zu machen. Und die Puten leiden unterdessen weiter. Ohne absehbares Ende.