Im Februar 2010 kam es zu einer großen Solidaritätsaktion im Tierschutz: 220 Personen zeigten sich selbst bei der Staatsanwaltschaft Wien wegen §278a an. Wenn die Beschuldigten angeklagt werden, so der Tenor der SelbstanzeigerInnen, dann müssten auch sie auf die Anklagebank, da sie sich genau dasselbe haben „zu Schulden kommen lassen“! Konkret wurde folgendes angezeigt:
- Ich habe in der Vergangenheit an Kampagnen teilgenommen, deren Ziel es war, erheblichen Einfluss auf Politik oder Wirtschaft zu nehmen.
- Vor Beginn derartiger Kampagnen wurde den KampagnengegnerInnen die Kampagne angedroht, sollten sie nicht freiwillig einlenken.
- Im Rahmen derartiger Kampagnen ist es auch zu Aktionen des Zivilen Ungehorsams gekommen, bei denen u.U. zivil- oder verwaltungs-rechtliche Normen übertreten wurden
- Für die Ermittlung der faktischen Grundlage derartiger Kampagnen wurden u. U. zivilrechtliche Normen übertreten.
- Der Ablauf derartiger Kampagnen setzt ein gewisses konspiratives Element voraus, weil weder Aktionen des Zivilen Ungehorsams noch verdeckte Recherchen nach Vorankündigung stattfinden könnten.
- Unbekannte Personen haben für dasselbe Kampagnenziel irgendwann, irgendwo auch strafrechtlich relevante Aktionen durchgeführt, was mir durchaus bewusst war.
Die Staatsanwaltschaft Wien, an die diese Anzeigen geschickt worden sind, sagte dazu in einer langen Erklärung, sie werde kein Ermittlungsverfahren einleiten. Selbst wenn jemand in einer Gruppe politisch aktiv sei und jemand aus dieser Gruppe eine Straftat begehe, ist §278a nicht anzuwenden.
So weise so gut. Doch die Staatsanwaltschaft Wr. Neustadt musste das ja offenbar anders sehen, sonst hätte es ja nicht zu einem Tierschutzprozess kommen können. So wurden wieder 80 identische Selbstanzeigen wie oben gesammelt und diese nun der Staatsanwaltschaft Wr. Neustadt geschickt. Aber auch diese legte das Verfahren nieder. Diesmal mit einer kurzen Erklärung: es gebe keinen Anlass Ermittlungsverfahren einzuleiten.
Also gingen zwei der Personen, die bereits Selbstanzeige erstattet hatten, einen Schritt weiter. Sie nahmen den Strafantrag im Tierschutzprozess her und verglichen die Vorwürfe gegen die einzelnen Angeklagten mit ihren eigenen Aktivitäten. Und tatsächlich gab es für jede der beiden Personen einen Angeklagten, dem genau solche Aktivitäten vorgeworfen wurden, die sie selbst begangen hatten. In den zwei neuen Selbstanzeigen orientierten sich die beiden TierschützerInnen also genau 1:1 an den Anklagepunkten im Strafantrag gegen zwei Angeklagte. Im Detail kann man diese Selbstanzeigen im Vergleich zu den Strafanträgen hier einsehen:
Fassen wir also zusammen. Die Staatsanwaltschaft wirft zwei Personen jeweils einige Aktivitäten vor und erhebt auf Basis dieses Vorwurfs Anklage wegen §278a. Jetzt kommen zwei andere Personen und erklären derselben Staatsanwaltschaft, dass sie die gleichen Aktivitäten, die die Staatsanwaltschaft den Angeklagten als Basis der Anklage vorwirft, ebenfalls „verbrochen“ haben. Wenn die Staatsanwaltschaft jetzt nicht gegen diese beiden anderen Personen Anklage erhebt, dann beweist sie damit zweifelsfrei, dass man mittels §278a für ein und dieselbe Aktivität entweder angeklagt werden kann oder nicht, je nachdem wie sich die Staatsanwaltschaft gerade fühlt. Damit wird aber dem Staat ein Machtmittel in die Hand gegeben, mit dem es jedeN politisch aktiveN BürgerIn drangsalieren kann. Die Folge ist Angst und Repression. Man versucht nicht aufzufallen und sich möglichst zu fügen.
Rechtsstaat bedeutet, dass ganz klar sein muss, was ein Rechtsbruch ist und was nicht. Rechtsstaat heißt, ich darf mich bei gewissen Aktivitäten ganz sicher fühlen, dass ich dafür nicht strafrechtlich verfolgt werden kann. Aber bei §278a ist genau das nicht mehr der Fall. Wenn es von der Willkür und der Laune der Behörden abhängt, ob ich angeklagt werde, dann kann ich mich nicht mehr sicher fühlen. Und das heißt, wir haben die Grenze des Rechtsstaates erreicht.
Ich wüsste wirklich zu gerne, wie sich die VerfechterInnen von §278a hier herausreden wollen.
Es ist zu befürchten, dass sich die Staatsorgane auch hier wieder der üblichen Methode des schweigenden Aussitzens bedienen. In Österreich passiert leider viel zu oft nichts obwohl die Rechtslage völlig eindeutig ist.