Seit David Hume stimmen wir überein, dass aus dem (natürlichen) Sein nicht geschlossen werden kann, was sein soll, weil es sich dabei um den sogenannten naturalistischen Fehlschluss handelt. Nur, weil Steinzeitmenschen Fleisch gegessen haben, ist es für uns heute nicht zwingend ethisch ok, das ebenso zu tun. Und dennoch ist es auch ethisch nicht ganz unwichtig, was unsere VorfahrInnen gegessen haben, denn höchstwahrscheinlich ist unser Körper daran evolutionär adaptiert und man sollte vermutlich niemanden zwingen, etwas nicht zu essen, was er unbedingt zum Überleben braucht. Abgesehen davon ist es immer eine lustige Diskussion, wenn FleischesserInnen sich auf die Steinzeit – und die Löwen! – rauszureden versuchen.
Dass die Urmenschen sehr viel Fleisch gegessen hätten, sonst könne ja angeblich das Gehirn nicht wachsen, weil es doch so viel Energie brauche, ist vielerorts Folklore. Doch vielleicht ist das darauf zurück zu führen, dass sich Knochen von gegessenen Tieren archäologisch viel eher erhalten, als die Überreste von Pflanzen.
Nun, im New Scientist vom 10. Dezember 2016 sowie vom 11. März 2017 wird von neuen Forschungsergebnissen berichtet, die zeigen, dass Homo erectus vor 780.000 Jahren zumindest in Gesher Benot Ya’aqov in Nordisrael hauptsächlich Pflanzen gegessen haben. Bereits in der Urzeit wurde dieses menschliche Wohngebiet überschwemmt und mit Sedimenten umschlossen, sodass Spuren der Nahrung bis heute erhalten geblieben sind. Dabei zeigte sich, dass diese Homo erectus Menschen insgesamt 55 Arten von Pflanzen, von Nüssen und Früchten über Samen und Knollen bis zu Gemüse, zur Ernährung gesammelt haben. Die heutige Nahrung sei im Vergleich dazu sehr stark limitiert, meinen die ForscherInnen. Amanda Henry vom Max Planck Institut für Anthropologie in Leipzig argumentiert deshalb, dass die homininen Frühmenschen hauptsächlich vegetarisch gelebt haben müssen: „We need plant-derived nutrients to survive – vitamin C and fibre, for example. Hominins were probably predominantly vegetarians.“
Ergänzt wird dieses Ergebnis durch eine weitere Studie, bei der die DNA von organischen Spuren im Zahnbelag von 3 Neandertalerkiefern in El Sidron in Nordspanien analysiert wurde, die in 2 Fällen 48.000 und einmal 39.000 Jahre alt sind. Diese Urmenschen aßen dementsprechend Moos, Rinde und Schwammerl, aber kein Fleisch. Ironischer Weise wurden am selben Fundort Menschenknochen identifiziert, von denen das Fleisch heruntergeschabt worden war. Diese Neandertaler dürften also nur Pflanzen und andere Menschen gegessen haben, kein Tierfleisch, so die WissenschaftlerInnen. Darüber hinaus fand man bei diesen Urmenschen auch penicillinhaltige Schwämme, wie sie auch von Schimpansen gegen gewisse Infektionen als Medizin eingenommen werden. Offenbar war das auch den Neandertalern bekannt.
Wie man es dreht und wendet, eines ist klar: Zumindest viele steinzeitliche Menschen haben zumindest über lange Perioden hinweg mehr oder weniger vegan gelebt, ohne deswegen an irgendwelchen Mangelerscheinungen zugrunde gegangen zu sein. Diese Schlussfolgerung reicht mir für das ethische Argument. Wenn es gesund möglich ist, vegan zu leben, und wenn gleichzeitig unnötige Gewalt gegen leidensfähige Lebewesen abzulehnen ist, dann folgt logisch der vegane Imperativ.
Aus Tatsachen (“dem natürlichen Sein”) können keine Normen abgeleitet werden (es handelt sich dabei aber nicht um einen möglichen “naturalistischen Fehlschluss”, sondern um einen “Sein-Sollen-Fehlschluss”; der “naturalistische Fehlschluss” geht auf Moore zurück).
Deshalb kann man auch nicht aus der Tatsache, dass einige Lebewesen Bewusstsein und Leidensfähigkeit haben, folgern, dass man diese Lebewesen nicht quälen soll.
Für einen Humeaner gilt: Sollen setzt Wollen voraus. Nur wenn ich keine Lebewesen quälen will, habe ich einen moralischen Grund dafür.
Der “vegane Imperativ“ hat sich in den letzten Jahrzehnten so verbreitet, wie man es davor nicht hätte hoffen dürfen. Danke für Ihre Hilfe dabei, über so viele Jahre!
Vielleicht wird es noch deutlich später einen “fruktanen Imperativ“ o.ä. geben?
Z.B. P. Wohlleben: “Die moderne Wissenschaft gesteht anderen Arten immer nur so viel zu, wie aufgrund der Forschung als Mindestmaß angenommen werden muss. Mitgeschöpfe, die sich zärtlich um ihren Nachwuchs kümmern, sich artikulieren können und ihre Umwelt in all ihren Facetten wahrnehmen, sind, sobald wir sie als Nutztiere verwenden möchten, unbequem. Wenn wir akzeptieren würden, dass Bäume ebenfalls Schmerzen empfinden können, müssten wir unseren Umgang mit ihnen überdenken. Hecken, Holzplantagen und veredelte Obstbäume, all dies müsste eigentlich als Baumquälerei eingestuft werden…. So aber leiden Buchen, Eichen oder Fichten stumm in der Kulisse, die wir als Natur bezeichnen.“ (P. Wohlleben: Der Wald. S.58f.)
Wo würde dieser Prozess dann enden? Mit der Lichtnahrung? Mit dem Wissen, dass wir alle hier auf der Erde (oder darüber hinaus) miteinander verwandt sind?
“Wo würde dieser Prozess dann enden?” Es ist wohl nötig zu klären wie sich leidende Pflanzen evolutionär hätten durchsetzen können. Das Leiden ist ja keine Garnitur, sondern bringt uns dazu lebensbedrohliche Situationen zu überwinden oder zu vermeiden. Leidfähigkeit kann also nur Lebensformen einen evolutionären Vorteil bringen die auch eine Chance haben auf dieses Leid zu reagieren. Ein Baum, der still vor sich hin leidet, würde gegenüber einem Baum, der nichts empfinden kann, nur Nachteile haben. Ein Tier, dass Leid empfindet, kann aber den Kampf aufnehmen oder flüchten und würde seine Fortpflanzung daher eher erreichen als ein Tier, dass seinem eigenen Tod gegenüber gleichgültig ist.
Wer meint, dass Pflanzen wie Tiere empfinden können, muss erst erklären wie eine solche Leidensfähigkeit evolutionär funktionieren würde bzw. eine überzeugende Alternative für die Evolutionstheorie anbieten.
Der Vorteil, den Wesen, die nicht mobil durch Flucht reagieren können, evolutionär durch Schmerzempfinden haben, ist z.B. bei Bäumen: Wunden durch Harzverbände verschließen, antibiotische Stoffe einlagern, Giftstoffe zur Insekten- oder Knabbertierabwehr produzieren, aber auch ihr Schmerzempfinden anderen kommunizieren, damit die Verwandten sich schützend vorbereiten können. Übrigens gibt es sehr interessante Versuche, die über die Evolutionstheorie hinausdeuten.
Ich altmodischer Mensch zitiere leider bisher nur aus Büchern, aber ich will mich bessern und zu verlinken lernen. Man findet Ergebnisse in Oecologica, August 2014, Volume 175, Issue 4, pp 1275-1266; Columbia University Division of Planet Science (Todesangst bei Pflanzen); Schweizer Chemie Konzern Ciber-Geigy
Ein sehr lesenswerter Artikel, danke!
EInige meiner omnioren Freunde haben mich leicht ironisch darauf hingewiesen, als vor einer Weile der in Berlin lebende Österreicher Hermann Parzinger groß herauskam mit der Behauptung, die Urmenschen hätten vor allem dem Fleischkonsum ihre “Höherentwicklung” zu verdanken – wo doch Paläoanthropologen (was der Herr Parzinger ja nur hobbymäßig ist, er sollte sich eigentlich hauptamtlich um Museen kümmern) schon länger die These vertreten, dass es allenfalls die Verwendung des Feuers und damit das Kochen ist, das dem Menschen einen Vorteil vor anderen Primaten verschafft hatte, weil er sich so neue Nahrungsmittel erschließen konnte, die ungegart ungenießbar waren, und andere besser haltbar und verwertbar machen konnte. Während Schimpansen, Bonobos und Gorillas in Gegenden lebten, in denen es auch ohne dies genug Nahrung gab, sei der frühe Mensch in Gegenden gewesen, in denen er durch das Kochen einem drohenden Nahrungsmangel entgehen konnte.
Eine lustige Vorstellung, wenn in der nächsten Diskussion mit dem Löwen und dem Steinzeitmenschen dann eine breite Vielfalt veganer Nahrungsmittel und ein bisschen Kannibalimus als Vorbild entgegengehalten werden kann. Also ich wüsste ja, welchem Teil dieses Ideals ich mich lieber anschließen würde – wenn das Ideal des Steinzeitmenschen überhaupt Sinn machte.
Der “vegane Imperativ” hingegen ist alternativlos, so oder anders. Danke für diese schöne Formulierung!