In Diskussionen mit der Jägerschaft werde ich immer stutzig, was man dort unter Tierschutz versteht. So wird in Vorträgen zumeist beiläufig gesagt, man habe diese oder jene Jagd natürlich nach Tierschutzkritierien abgehalten. Damit gemeint ist, dass man keine Jungtiere und keine schwangeren Tiere geschossen hat. Das wars dann schon, mit dem Tierschutz. Umgekehrt, wenn ich z.B. argumentiere, dass die Jagd auf Füchse grausam ist, weil diese Tiere in Familienverbänden leben und daher die gesamte Familie trauert, wenn eines ihrer Mitglieder stirbt, dann ernte ich nur Erstaunen. Das ist ein Argument, das typische Jäger_innen beim besten Willen nicht nachvollziehen können. Warum eigentlich?
Tiere sind Sachen. So stehts in unserem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch seit 1811. Eigentlich wurde das 1989 adaptiert. Seither steht im § 285a, dass Tiere keine Sachen sind, aber bis auf Weiteres wie Sachen behandelt werden sollen. Also keine Änderung, ein Nullgesetz. Daher ist in unserem Rechtssystem kein Platz für Interessen von Tieren. Die kommen nicht vor. Die Tierschutzombudspersonen vertreten z.B. laut Gesetz die Interessen des Tierschutzes, aber nicht der Tiere. Auch die Tierschutzsprecher_innen der Parteien vertreten den Tierschutz, aber nicht die Tiere. Sonst würden sie ja Tiersprecher_innen heißen. Und die Tierschutzombudspersonen Tierombudspersonen.
Doch die meisten Menschen, so würde man glauben, widersprechen der Ansicht, dass Tiere Sachen sind. Natürlich haben Tiere Interessen. Wie kann unser Rechtssystem dieses offensichtliche Faktum ignorieren?
Ein weiteres Beispiel fällt mir ein. Klaus Hackländer hat ein Buch über den Wolf herausgegeben, in dem alle Interessen, die von dem Thema berührt werden, vertreten sein sollen, sagt er im Vorwort. Es gibt Kapitel von der Landwirtschaft, von der Jägerschaft, vom Tourismus und sogar vom Umwelt- und Artenschutz. Aber der Tierschutz ist nicht vertreten. Hackländer würde vermutlich dazu sagen, dass es beim Tierschutz nur um die Frage geht, wie der Wolf getötet wird, nicht ob. Aber das ist doch absurd. Der Wolf ist ein Tier mit eigenen Interessen, darunter das Vorrangigste, am Leben zu bleiben. Warum wird dieses Interesse in dem Buch nicht ebenfalls vertreten?
Ich könnte viele weitere Beispiele bringen. Bei einem Gespräch im Tierschutzministerium vor einigen Wochen – bevor der Grüne Minister eingezogen ist – ging es um Tiertransporte. Tierschutz bedeutet auch hier, diese Transporte möglichst human zu machen, sie aber nicht einzuschränken oder gar zu beenden. Sie müssen möglich sein, so das Credo der Beamt_innen. Die Tierschutzorganisationen dürfen beraten, wie das möglichst tierfreundlich ginge.
Dasselbe Bild bei Tierversuchen. Alle müssen stattfinden dürfen, nur möglichst human sollen sie sein. Und in der Tierindustrie dasselbe. Es fehlt hinten und vorne der Standpunkt der betroffenen Tiere.
Bei den Diskussionen über Tierschutz vor der Nationalratswahl 2019, an denen ich teilgenommen habe, traten “Tierschutzsprecher_innen” mit demselben Ansatz auf. Bei den Grünen war das z.B. Irmtraud Salzer, die gleichzeitig Landwirtschaftssprecherin war. Ein Widerspruch? Erstaunlicherweise in den Augen dieser Personen überhaupt nicht. Dabei geht es hier doch darum, dass eine Personengruppe, nämlich die Landwirt_innen, durch Nutzung einer anderen, der Tiere, Profit machen will. Die Tierinteressen sind doch ganz offensichtlich, möglichst nicht genutzt zu werden. Die Interessen der Landwirt_innen und jene der Tiere sind definitiv nicht gleichen. Das Verhältnis hier ist ähnlich wie zwischen Arbeitgeber_innen und Arbeitnehmer_innen. Man kann doch keinen Arbeitnehmervertreter_innen sagen, sie werden nicht gebraucht, weil ihre Interessen ja sowieso durch die Arbeitgebervertreter_innen vertreten würden. Das ist doch absurd!
Nein, Tierinteressen werden politisch systematisch ignoriert, als würden sie nicht existieren. Das liegt vermutlich daran, dass man sie praktisch nur ausblenden kann, weil sie so diametral gebrochen werden.
Ich plädiere dafür, dass die Tierschutzseite in Hinkunft viel deutlicher betont, dass sie eine Interessensvertretung ist. Die Tiere bilden eine in unserer Gesellschaft völlig ausgegrenzte “Minderheit”, eine Outgroup, wie das auf englisch heißt. Ihre Interessen werden total ignoriert. Dabei haben sie zu den meisten politischen Themen in unserer Gesellschaft eine Ansicht, weil ihre Interessen davon berührt werden. Ich denke an den Verkehr, an die Stadtplanung, an sämtliche Tierschutzthemen, an den Umgang mit Hunden, den Klimawandel, den Energieverbrauch, aber auch an die bürgerlichen Freiheiten zu protestieren und die eigene Meinung frei zu äußern, an Pressefreiheit, an Datenschutz usw. Die verschiedenen Antworten auf alle diese Fragen haben direkt Konsequenzen für Tiere, die in unserer Gesellschaft leben. Warum also werden ihre Interessen nicht berücksichtigt? Warum gibt es nicht wenigstens eine Institution, die sie vertritt, und die gehört werden muss?
Wir haben noch einen weiten Weg vor uns!
Die Beiträge von Hundefreunden, die sich auch Tierfreunde nennen, sind oft skurril. So werden Situationen total vermenschlicht, ein stray dog der eines seiner Welpen immer wieder angreift, wird als boshaft dargestellt, nur weil der Hund ein krankes Tier auslesen will. Es verwundert nicht, wenn diese. “Tierschützer” zukünftig fordern, im Winter im Wald die Wildtiere einzufangen und Rehe, Wölfe, Hasen usw mit warmen Wollshirts auszustatten!
Ob ein Schwein oder ein Rind bio getötet wird, ändert nichts daran, dass der Tod ein gewaltsamer und frühzeitiger ist. Ich finde, Martin Balluch hat völlig recht. Die Bezeichnung Tierschutz verdient diesen Namen nicht, denn es wird nur darum diskutiert, wie viel Leid den Tieren zumutbar ist. Im Bereich der Jagd ist Tierschutz ein Euphemismus und vor allem ein Begriff, den die Jägerschaft aufgegriffen hat, um ihr Tun zu legitimieren und solchen Menschen – Werner würde sie möglicherweise als militante ChaotInnen bezeichnen – den Wind aus den Segeln zu nehmen, die bei dem Gedanken daran, dass Tiere täglich zu Tausenden getötet werden, fast verzweifeln. Verzweifeln auch deshalb, weil es nur sehr mühsam gelingt, die gewachsenen, dichten Strukturen (z.B. Landwirtschaft, Jagd, Forschung) zu durchdringen und diese furchtbaren Bedingungen aufzudecken. Man braucht nur einmal auf einen Veranstaltungsabend von “Kammer kommt in die Region” zu besuchen und hat danach quasi schwarz auf weiß, um was es geht. Nämlich, dass unterm Strich die Kohle stimmt. Tiere sind in diesem Fall nur “biologisches Material”, eine “Ware”. Ihre Interessen, ja sogar ihre Empfindungsfähigkeit, ihr Leiden, ihr Schmerz, all das wird missachtet und billigend in Kauf genommen. Aber es stört halt die gesellschaftliche Ordnung, wenn man keine Tiere essen möchte. Es ist offenbar so viel einfacher, dann auch diese Menschen als “militant” oder “radikal” zu bezeichnen und sie damit ebenfalls herabzusetzen.
Solange wir Tiere ausbeuten, werden wir sie in in Nutztiere oder Schädlinge einteilen. So wie Schwarze früher Nutzmenschen waren in den USA. Das Ausbeute-System weiß, dass sobald das Eigeninteresse der Tiere anerkannt wird, egal ob in der Landwirtschaft oder sonst wo, das ganze System bröckeln würde.
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Erst wenn menschliche Eigeninteressen durch die Ausbeutung in Bedrohung kommen, wird sich was ändern. Aber sogar da wollen wir uns mit aller Kraft gegen die Realität wären und das Status Quo beibehalten. Deswegen die vielen Klimaleugner. Deswegen reagiert auch die Masse und die Medien nicht sonderlich darauf, dass wir mitten in einer Mass Extinction leben.
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In nur 30 Jahren sind 75% der Insekten und 50% der Vögel verschwunden. Nur 4% der Säugetiere leben in der Wildnis. Besser nicht darüber nachdenken, was das bedeutet.