Sehr geehrter Herr Wissenschaftsminister,
das unten angeführte Email haben Sie auf die Frage einer besorgten Bürgerin, ob der kommende Kriterienkatalog für die Schaden-Nutzen Abwägung bei Tierversuchen über das „3-R-Prinzip“ hinausgehen wird, als Antwort geschickt. Es wurde mir weitergeleitet und löst in mir große Besorgnis aus. Die EU-Richtlinie und das Tierversuchsgesetz jedenfalls erfordern von diesem Kriterienkatalog, deutlich darüber hinaus zu gehen. Das „3-R-Prinzip“ wägt, wie sie richtig anführen, nicht ab, ob der Zweck eines Tierversuchs für die Lebensqualität von Mensch und Tier so viel Nutzen bringt, dass dieser den durch den Tierversuch angerichteten Schaden überwiegt. Aber genau das muss laut EU-Richtlinie und Tierversuchsgesetz dieser Kriterienkatalog leisten. Können Sie uns garantieren, dass er das auch wird? Sie schreiben, dass manche Tierversuche leider für Medikamente und Therapien notwendig seien. Schön, aber was ist mit Tierversuchen, die z.B. dazu dienen, die Legeleistung von Hühnern zu erhöhen? Sind diese leider notwendig und müssen dafür leider 24 Hühner schweres Leid ertragen?
In den nichttechnischen Projektzusammenfassungen des Jahres 2014 auf Ihrer Homepage, 3. Quartal, Seite 53, findet sich die Beschreibung eines solchen Tierversuchs. Er hat also offenbar stattgefunden und wurde von Ihrem Ministerium genehmigt. In den nichttechnischen Projektzusammenfassungen des Jahres 2014 finden sich 36 Tierversuche dieser Art, die ausschließlich der Effizienzsteigerung der Tierindustrie dienen.
Können Sie mir bitte in klaren Worten erklären, wieso bei diesen Tierversuchen, und speziell beim Tierversuch an 24 Hühnern zur Steigerung der Legeleistung, der Nutzen für die Lebensqualität von Mensch und Tier den Schaden an den Versuchstieren überwiegt? Es geht hier immerhin um schweres Leid! Das ist meine einzige Frage, für die ich um Aufklärung bitte. Damit es sich um einen zulässigen Tierversuch handelt, muss das der Fall sein. Ihr Ministerium hat diesen Versuch genehmigt, also müssen Sie dieser Ansicht sein. Mir erscheint das völlig undenkbar, daher bitte ich Sie um eine klare Antwort. Laut EU-Richtlinie und Tierversuchsgesetz muss der Genehmigungsprozess „transparent“ sein. Ich fordere jetzt diese Transparenz ein, Herr Minister: Warum wurde dieser Tierversuch genehmigt, d.h. auf welche Weise überwiegt hier der Nutzen den Schaden?
Rechtsstaat bedeutet, dass wir alle uns an die gesetzlichen Regeln halten. Auch Minister und auch mächtige Universitäten und die pharmazeutische Industrie. Wozu wird vom Parlament ein Gesetz beschlossen, das dann völlig ignoriert wird? Wieso verwirft man in dieser Frage die berechtigten Zweifel der Öffentlichkeit? Warum werden von Ihnen und von anderen ApologetInnen der Tierversuche ständig Therapien für Menschen als Rechtfertigung ins Spiel gebracht, wo es doch bei Tierversuchen sehr häufig um etwas ganz anderes geht, in diesem Fall ausschließlich um die Profitsteigerung in der Nutztierindustrie, die im Übrigen die Lebensqualität aller Menschen und Tiere in diesem Land drastisch verschlechtert? Finden Sie nicht, dass die Menschen da für dumm verkauft werden? Es werden uns ganz andere Zwecke für Tierversuche vorgegaukelt, als tatsächlich vorliegen. Ist das die gesetzlich verankerte Transparenz?
Ich und mit mir alle tierschutzbewegten Bürger und Bürgerinnen dieses Landes würden uns über eine klare Antwort zu meiner einzigen Frage sehr freuen: Wie sieht die gesetzlich vorgeschriebene Schaden-Nutzen Abwägung für den genannten Tierversuch an 24 Hühnern zur Steigerung ihrer Legeleistung aus? Ich bitte sehr dringlich um eine Antwort.
Hochachtungsvoll,
Martin Balluch
PS: Ihr Email
Sehr geehrte Frau Maga. XXX!
Für Ihr E-Mail vom 5. Mai 2015 betreffend „Tierversuche-Kriterienkatalog“ bedanke ich mich und darf dazu folgendes feststellen:
Das Tierversuchsgesetz 2012 (TVG 2012) sieht bereits vor, dass bis 31. Dezember 2015 vom Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft ein auf wissenschaftlichen Kriterien beruhenden Katalog zur Objektivierung der Schaden-Nutzen-Analyse zu veröffentlichen ist, welcher 6 Monate ab der Veröffentlichung beim Genehmigungsverfahren von Tierversuchen zu berücksichtigen ist.
Das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft hat das Messerli-Forschungsinstitut der Veterinärmedizinischen Universität Wien mit der Entwicklung eines Modells für einen solchen Kriterienkatalog beauftragt. Entsprechend den im Projekt festgelegten Arbeitsplan des Messerli-Forschungsinstituts ist zunächst eine Erprobung und Evaluierung des Entwurfs für den Kriterienkatalog und bis 30. Juni 2015 die Übergabe des evaluierten Kriterienkatalogs an das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft vorgesehen. Das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft wird gemäß TVG 2012 bis 31. Dezember 2015 einen Kriterienkatalog veröffentlichen.
Für den Kriterienkatalog gilt, wie ganz allgemein für Tierversuche, das „3R“-Prinzip (Replace, Reduce, Refine – vermeiden, vermindern, verbessern), das heißt: Tierversuche sind durch Ersatzmethoden zu ersetzen, wo immer dies möglich ist (Replace); wo dies nicht möglich ist, ist die Anzahl der Versuchstiere auf ein Minimum zu beschränken (Reduce) und die Belastung für die Versuchstiere so gering wie möglich zu halten (Refine). Tierversuche sind immer noch ein notwendiger Teil der Forschung, deren Ergebnisse in Form von sicheren und wirksamen Medikamenten, Therapien etc. vielen von uns zugutekommen. Es ist mir ein jedoch großes Anliegen, dabei eine vernünftige Balance zwischen den Anliegen des Schutzes der Tiere einerseits und den notwendigen Rahmenbedingungen für die Forschung und damit auch den heimischen Forschungsstandort andererseits zu finden.
Für allfällige weitere Rückfragen steht das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft selbstverständlich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Reinhold Mitterlehner