„Alles was Recht ist“ heißt die niederösterreichische Landesausstellung heuer in Pöggstall und handelt von der Geschichte der Rechtssprechung in Österreich und ihren Problemen. Ich kann den Besuch nur empfehlen, sie ist zweifellos gelungen.
Nur eine Sache ist mir sehr negativ aufgestoßen. In einem der letzten Räume wird der Fall „Daschner“ mit Vorlage von Originalakten beleuchtet. Im Jahr 2002 entführte ein Student einen ihm persönlich bekannten Buben in Deutschland, brachte ihn noch am gleichen Tag um und forderte dennoch Lösegeld von dessen Eltern. 2 Tage später bezahlten diese 1 Million Euro und der Täter wurde ab der Übergabe von der Polizei beschattet. Als er nach 1 Tag noch immer nicht zum Entführungsopfer gegangen war, wurde er festgenommen. Im Verhör gab er nicht nur nicht an, dass sein Opfer bereits tot war, sondern verweigerte jede Auskunft über den Aufenthaltsort der Leiche. In dieser Situation beschloss der stellvertretende Leiter der Polizei in Frankfurt, Wolfgang Daschner, den Täter zu foltern, um den Aufenthaltsort zu erfahren. In der Ausstellung sind dazu zahlreiche Dokumente zu sehen. Daschner bestellt einen Arzt und gibt intern die Anweisung, dass der Täter sehr starken Schmerzen ausgesetzt werden muss, dass es aber „weiße Folter“ sein soll, also eine, die keine Spuren hinterlässt, und dass ein Arzt anwesend sein soll, der sicherstellt, dass keine bleibenden Schäden entstehen. Aus den Dokumenten ist klar, dass Daschner tatsächlich foltern wollte, und nicht nur eine Folter androhen.
Im konkreten Fall wurde der Beschuldigte von der anstehenden Folter informiert und gab daraufhin aus Angst den Ort seines getöteten Opfers an. Daraufhin wurde die Folter abgesagt. Der Beschuldigte wurde wegen Mordes zu lebenslänglicher Haft verurteilt, erhielt aber vom Gericht nach langem Prozess € 3000 Schmerzensgeld für die Folterdrohung. Daschner und ein von ihm angestifteter Kollege erhielten eine Geldstrafe auf Bewährung, obwohl ihre Straftat eine Mindeststrafe von 6 Monaten Haft vorsieht. Daschner wurde dann befördert und ging 2008 in Pension. Er und sein Mittäter mussten ihre Geldstrafen nie bezahlen, sie haben nicht einmal eine Vorstrafe. So weit die Fakten.
Eine Führerin in der Ausstellung in NÖ schilderte ihrer Gruppe diesen Fall in schillernden Farben, behauptete dann, der Mörder wäre wegen der Folterandrohung fast nicht zu verurteilen gewesen und der arme Folterpolizist habe ins Gefängnis gehen müssen. Das wurde so einseitig gebracht, dass man den Eindruck gewinnen musste, das Gesetz gegen Folter sei verfehlt. Als eine Besucherin daraufhin sagte, Folter sei zurecht verboten, kam Bewegung in die Besuchergruppe und einige Personen meinten lautstark, wenn das Entführungsopfer das Kind der Frau, die sich gerade gegen Folter ausgesprochen hatte, gewesen wäre, dann würde sie anders reden. Diese Reaktion ist zweifellos von der Führerin absichtlich provoziert worden. Und darüber hinaus enthält der Katalog zur Ausstellung einen Artikel zu diesem Fall, nach dem diese Folter als „Rettungsfolter“ gerechtfertigt sei. Der Staat dürfe zwar nicht foltern, so der Tenor dieses Artikels, um ein Geständnis zu erpressen, aber er dürfe foltern, um andere Menschenleben zu retten. Das sei nur „Folter“ und nicht Folter, also unter Anführungszeichen. Der Katalog enthält zwar auch einen Artikel für ein absolutes Folterverbot von der Tierrechts-Universitätsprofessorin Eva-Maria Maier vom Wiener Juridicum, aber dennoch bleibt ein fahler Beigeschmack.
Das Staat darf auf gar keinen Fall foltern. Das ist das wichtigste aller Menschenrechte. Das Argument vom eigenen Kind kennen wir schon von der Rechtfertigung von Tierversuchen zur Genüge. Man kann es auch umdrehen: würden Sie zuschauen, wenn Ihr Kind einer Entführung verdächtigt und dann hochoffiziell gefoltert wird? Fänden Sie das gut? Aber weder das eine noch das andere ist hier anzuwenden: ein Grundprinzip der Rechtssprechung ist, dass Richter bzw. Ermittler und Opfer der Straftat verschiedene Personen sein müssen, sonst ist man befangen und nicht objektiv. Also was die Angehörigen von TäterInnen oder Opfer wollen, muss egal sein.
Aber abgesehen davon bin ich immer wieder baff, wie wenig Menschen in der Lage sind, sich in andere Situationen hinein zu versetzen. Wenn lauthals härtere Strafen oder brutalere Ermittlungsmaßnahmen bis zur Folter gefordert werden, kommen die Leute nicht im Traum auf die Idee, dass es auch sie treffen könnte. Dabei ist das doch ganz einfach. Sagen wir ein guter Zeuge behauptet, Herr Daschner plant einen Bombenanschlag am Frankfurter Hauptbahnhof und hat dort bereits eine Bombe platziert. Auf die Frage wo, sagt Daschner natürlich, er habe das gar nicht getan. Welcher Täter ist schon geständig? Also, her mit der Rettungsfolter, es sind ja immerhin Menschenleben in Gefahr, oder? Wie würde Herr Daschner dieses Vorgehen empfinden? Fair und gerecht? Erwartet er so einen Rechtsstaat? Wahrscheinlich würde er sagen, nein, nur weil ein Zeuge etwas behauptet, könne man das nicht ernst nehmen, da müsse schon mehr als Beweis vorgelegt werden. Aha, nur, wer bewertet das? Ein unabhängiges Gericht ja wohl nicht, oder gar eine Berufungsinstanz, weil dafür ist ja die Zeit zu knapp. Morgen schon soll die Bombe hochgehen! In seinem Fall hat er ja auch kein Gericht angerufen. Also muss ein Ermittler persönlich entscheiden, einfach so. Und ich kenne diese ErmittlerInnen, wie z.B. von der SOKO Tierschutz im Verfahren gegen mich. Die werden so rasch betriebsblind, für die ist es ja ein Beweis, dass jemand ein Verbrecher ist, wenn er seinen Computer verschlüsselt. Und wenn man einen Tierschützer monatelang beschattet und er nichts strafrechtlich Relevantes tut, dann ist er umso verdächtiger, weil er ganz perfide und professionell seine Malversationen verschleiert. Nein, ErmittlerInnen kann man in diesen Dingen überhaupt nicht vertrauen!
Mit einem Ende des Folterverbots, natürlich nur für „Folter“ oder „Rettungsfolter“, öffnen wir die Büchse der Pandora. Im Handumdrehen würden Menschen aus politischen Gründen gefoltert und misshandelt. Oder Unschuldige. Aber natürlich sind auch Schuldige nicht zu foltern. Unter keinen Umständen. Die dunkle Zeit der staatlichen Gewaltausübung gegen hilflose Opfer muss ein für alle Mal überwunden sein. Punkt und aus.
Meinem Rechtsempfinden nach hätten Herr Daschner und sein Mittäter auf jeden Fall ins Gefängnis gehen müssen. Es darf nicht geduldet werden, dass sich ein hoher Polizeifunktionär mir nichts dir nichts über das wichtigste Verbot der Menschenrechtsdeklaration einfach hinwegsetzt.
PS: Die Vorstellung, dass irgendwelche Perversen – und andere würden diesen Job nicht übernehmen – im Namen der Gesellschaft, und damit auch in meinem, auf hilflose Gefangene losgelassen werden, um ihre dumpfen Gelüste an diesen auszuleben und sie zu foltern, dreht mir den Magen um. Ich möchte nicht mit ScharfrichterInnen in einer Gesellschaft leben, und noch weniger mit professionellen, staatlich sanktionierten Folterern, vielen Dank. Solche Menschen gehören in die psychiatrische Anstalt, sie brauchen Hilfe, und die Gesellschaft einen Schutz vor ihnen!
Werde ich mir bestimmt auch ansehen. Danke für die tolle Beschreibung.
“Meinem Rechtsempfinden nach hätten Herr Daschner und sein Mittäter auf jeden Fall ins Gefängnis gehen müssen.“ – Mit diesem Rechtsempfinden sind Sie in guter Gesellschaft. “Die Folgen (für Daschner) müssten ganz anders aussehen. Der Polizist, der sich für die Folter entscheidet, muss hart bestraft werden. Keine Verwarnung mit Strafvorbehalt wie bei Daschner, sondern eine mehrjährige Gefängnisstrafe, Entlassung aus dem Dienst, Streichung der Pension. Es wiegt schwer, wenn der Staat selbst und seine Diener gegen die Gesetze verstoßen.“, schreibt Ferdinand von Schirach in “Die Würde ist antastbar“, 2014, S. 113. Schirach ist mit seinem Schreiben über Recht und Unrecht so erfolgreich, dass er jetzt statt Rechtsanwalt Bestsellerautor ist. Irgendwie auch schade, er hat Menschen wie Sie, die man irrer Weise eingesperrt hat, freibekommen – aber das haben Sie ja allein auch erreicht. Trotzdem fand ich es beruhigend, dass es einen Rechtsanwalt mit so sicherem Rechtsempfinden und der Gabe, dies in so knappe und treffsichere Worte zu fassen, gibt.
Umso unverständlicher ist im Nachhinein das beschämend geringe Strafmaß, wenn Daschner wirklich so konkrete Foltervorkehrungen abgesprochen hatte, wie Sie es beschreiben (das kann ich fast ni nicht glauben). Das wurde dann in der Presse absolut verharmlosend dargestellt, als hätte man die Unverhältnismäßigkeit von Un-Recht und “Strafe“ öffentlich gezielt verschleiern wollen.
Sehr richtig!