Als ich das Buch mit der Post geschickt bekam, habe ich es kaum heben können, so schwer ist es: 620 Seiten, 480 Farbfotos, fester Einband. “…denn sie fühlen wie du den Schmerz. Band 1. Die frühen Jahre” nennt Tom Putzgruber den ersten Teil seiner Autobiografie, der davon erzählt, wie er in den Tieraktivismus hinein schlittert. Wir erleben ihn als Kind im ländlichen Niederösterreich, wie er mit zahlreichen geretteten Tieren aufwuchs. Oder wie er als 6-Jähriger eine Tierquälerei erleben muss und daraufhin konsequent Sachbeschädigungen an Gemeindegut begeht, in der festen Überzeugung, dass das die ihm unbekannten Täter:innen zum Umdenken bewegen werde. Schließlich übernimmt er in Salzburg den kurz zuvor gegründeten Tierschutzverein RespekTiere, den er zusammen mit seiner damaligen Partnerin aufbaut und zu einer vergleichsweise kleinen, aber schlagkräftigen Organisation entwickelt. Doch die vielen vielen Menschen, die mit ihm zusammen bei den auf den 620 Seiten beschriebenen Aktivitäten durch dick und dünn gehen, sind Legion.
Als ich zu lesen begann, fraß mich der Neid. Unglaublich, wieviel Energie Tom in den letzten Jahrzehnten in Tierschutz gesteckt hat. Aber nicht nur, wie ich mehrheitlich, in den Konflikt mit den Tierausbeuter:innen, sondern eben vor allem auch in die direkte Hilfe von Tieren. Scheinbar täglich rettet er irgendwo Tiere, befreit sie, versorgt sie, vermittelt sie, oder dokumentiert ihr unendliches Leid. Dieser direkte Bezug, dieser Blick in die Tieraugen, der ist in meiner Arbeit leider nicht vorrangig. Ich habe mich der Veränderung der Gesellschaft verschrieben. Diese positiven Erlebnisse mit geretteten Tieren, die in diesem Buch ständig präsent sind, durfte ich leider nur viel zu selten erfahren.
Das Buch liest sich sehr flüssig. Man spürt Toms Herzblut in allen Aktivitäten. Es mag an der Auswahl der beschriebenen Aktionen liegen, weil natürlich hauptsächlich das erzählt wird, was besonders kurios verlief, aber Tom und seine Begleiter:innen schlittern häufig durch ungeplantes und unprofessionelles Vorgehen in unfassbare Probleme hinein. Wie eine böse kriminelle Organisation wirkt das Ganze daher nicht, obwohl ja der Staatsanwalt in der Tierschutzcausa auch RespekTiere einer solchen verdächtigt hat, auch wenn man sagen muss, dass in dem Buch einige sehr wohl strafrechtlich relevante Aktionen beschrieben werden, die durchaus in die Kategorie damals anklagbarer Straftaten fallen.
Tom Putzgruber ist grundehrlich in seiner Erzählung. Ehrlich berichtet er von den vielen Fehlern, von seinen Emotionen und auch von seinen Motivationen. Man mag ihm Vieles nachsagen, aber dass er durch echtes, selbstloses Mitgefühl getrieben ist, dass er nur das Beste für die Tiere will und dabei der Tierausbeutungsseite möglichst wenig schadet, ist unbestreitbar.
Unglaublich ist auch sein schon fast absurd wirkendes Mitgefühl mit der Gegenseite. Der Zirkus Belly-Wien und dessen Zirkusdirektor Zinnecker attackierten ihn bei zwei völlig friedlichen und behördlich angemeldeten Kundgebungen schwer. Er endet im Spital. Dort sitzt im Warteraum neben ihm eine der Täterinnen mit einer Verletzung an der Hand, die sie sich dadurch zugefügt hat, dass sie zusammen mit den anderen Zirkusleuten so heftig auf Tierschützer:innen eingeprügelt hatte. Dabei wurden Letzteren sowohl sämtlich Gegenstände wie Videokameras zerstört, als auch schwerste Körperverletzungen zugefügt, wie sogar Knochenbrüche. Tom ist selbst verletzt, bekam Schläge mit der Faust ins Gesicht – aber er hat Mitleid mit dieser Gewalttäterin, die da neben ihm sitzt und ihn verhöhnt, indem sie ihm den Stinkefinger zeit. So ist er einfach, sagt er dazu nur. Mitgefühl ist unteilbar. Ein schöner Charakterzug, von dem sich die Tierquäler:innen einiges abschauen könnten.
Einen alten Mitstreiter, wie mich, packen beim Lesen heftige nostalgische Gefühle, auch wenn ich selbst im Buch nur am Rande erwähnt werde. In meiner Erinnerung war ich zwar viel öfter dabei, aber Vorkommnisse, die derartig lange her sind, bekommen zwangsweise eine sehr subjektive Färbung durch den Erzähler. Ein bisschen traurig stimmt, wie viele Menschen sich über die Jahrzehnte engagiert haben, die schon lange nicht mehr aktivistisch beteiligt sind. Wenn sich nur alle diese Personen weiterhin für Tiere eingesetzt hätten, dann wären wir heute viel weiter.
Das Buch ist lustig und unterhaltsam, weil viele kurzweilige Anekdoten erzählt werden, die kurios und spannend sind. Das Buch ist aber auch lehrreich, weil es Außenstehenden einen Einblick ermöglicht, wie es kommt, dass sich Menschen so intensiv – manche würden sagen: radikal – für Tiere einsetzen. Und natürlich lernt man auch viel über den grausamen Umgang mit Tieren in unserer Gesellschaft. Das Buch sollte aber auch Staatsanwält:innen und potenzielle Gegner:innen überzeugen, dass hier niemand am Werk ist, der jemandem Böses will, oder der kriminell motiviert ist. Es ist die Verzweiflung, die Menschen wie Tom Putzgruber treibt, Verzweiflung angesichts des schier endlosen Tierleids, verursacht von uns Menschen. Viele Leute versuchen dieses Tierleid auszublenden, weil es so schmerzt. Manche berührt es vielleicht auch tatsächlich nicht. Aber diejenigen, die mitleiden und nicht wegschauen können, wie der Autor, denen bleibt kaum eine andere Option, als das zu tun, was in dem Buch beschrieben wird.
Jahrzehnte an der Frontlinie des Tierschutzaktivismus. Das ist Tom Putzgrubers Lebensinhalt. Beschrieben im ersten Band seiner Erinnerungen. Wir dürfen uns auf die nächsten Bände freuen.
Ich habe den Autor im Tierrechts-Podcast zu seinem Buch interviewt: https://vgt.at/projekte/tierrechtsradio/sendungen.php?i=502394#sendung