28. März 2024

§ 278a wurde heute im Parlament entschärft – können wir zufrieden sein?

Ich erinnere mich noch daran, als wäre es heute geschehen: Es ist noch dunkel, ich bin von maskierten Männern mit gezogenen Schusswaffen umgeben, stehe nackt in meiner Wohnung. Da tritt eine kleine Frau in Zivil auf mich zu – später erfahre ich, dass sie eine der LeiterInnen einer SOKO gegen den Tierschutz ist – und drückt mir einen Zettel in die Hand. Darauf steht, dass ich verdächtigt werde, nach § 278a Chef einer kriminellen Organisation zu sein. Ich fand das völlig absurd, ja lachhaft, und hätte auch laut heraus gelacht, wären nicht geladene und entsicherte Schusswaffen auf mich gerichtet gewesen. „Wetten wir um € 5000“, brachte ich noch an die Frau gewandt heraus, „dass ich wegen diesem Blödsinn niemals angeklagt werde!“ Diese Wette hätte ich verloren.

Aus meiner ersten schüchternen Begegnung mit § 278a sollte eine lange Hassbeziehung werden. Wie oft habe ich diesen Paragrafen hin und her gewendet und seine Anwendung in meinem Fall zu verstehen versucht, aber es wollte nicht gelingen. 3 geschlagene Jahre später, nach 105 Tagen U-Haft und 14 Monaten Prozess, wusste ich bei meinem Freispruch noch immer nicht, ob man mir jetzt vorwarf, als Chef einer kriminellen Organisation nach § 278a konkrete Personen mit Straftaten beauftragt zu haben, oder ob ich einfach nur zum selben Thema – Tierschutz – organisierend aktiv gewesen bin, zu dem es auch Straftaten Unbekannter gegeben hatte, mit denen ich in keinerlei Kontakt stand und von denen ich nichts wusste. Mein Verdacht ist, dass § 278a absichtlich so vage gehalten ist, damit man ihn rasch zur Anwendung beliebiger Ermittlungsmaßnahmen vorgeben kann. Zur konkreten Anklage ist er eigentlich nicht geeignet. Doch mangels sonstiger Vorwürfe, die sich aus jahrelangen Intensivermittlungen hätten ergeben sollen, blieb nur die Anklage nach § 278a gegen mich. Es kam zu einem Freispruch, aber es hätte genauso ein Schuldspruch sein können.

Nun wurde, nach langem Widerstand der Fraktion der GegnerInnen des Tierschutzes (vor allem in der ÖVP), heute im Parlament doch eine Entschärfung beschlossen, die mir in persönlichen Gesprächen im Justizministerium bereits 2 Mal zugesichert worden war. Doch die Entschärfung ist minimalistisch. Jetzt setzt § 278a zwar nur mehr voraus, dass die „kriminelle Organisation“ eine Bereicherungsabsicht haben muss – NGO-Arbeit ist damit aus dem Schneider – aber die Mitgliedschaft ist noch immer so vage wie eh und je. Es reicht, dass man eine Person in  beliebiger Weise unterstützt (sie bei sich aufs Klo gehen zu lassen oder ihr einen Tee anzubieten genügt), von der man hätte annehmen müssen, dass sie zu einer kriminellen Organisation gehört, und schon ist man selbst Mitglied! Auch gegen echte kriminelle Organisationen will ich eigentlich keine so vagen Anklagen mitverantworten müssen. Gerechtigkeit schaut anders aus.

Abgesehen davon gibt es jetzt noch § 278b, die terroristische Vereinigung. Mitglied wird man dort auf dieselbe vage Weise. Und gegeben ist sie, wenn sich mehr als 2 Personen (ab dem heutigen Parlamentsbeschluss gibt es aber auch 1-Person Terrorismus) auf längere Zeit zusammenschließen, um z.B. eine schwere Nötigung (4 x im Tierschutzprozess-Neu angeklagt!) zu begehen, wenn dadurch eine schwere Schädigung des Wirtschaftslebens herbeigeführt wird und die Tat mit dem Vorsatz begangen wurde, die wirtschaftlichen Grundstrukturen eines Staates ernsthaft zu erschüttern. Trifft das auf den Tierschutz zu? Wer jetzt ungläubig den Kopf schüttelt sollte lieber vorher Staatsanwalt Wolfgang Handler und die beiden OLG-Richterinnen Ingrid Jelinek und Christine Schwab fragen. Ich fürchte die würden das anders sehen! Und besonders erfreulich für Raiffeisen und Co: wer nach § 278b verurteilt wird, bleibt gleich 1 – 10 Jahre im Gefängnis.

Die Entschärfung von § 278a heute war ein gutes Zeichen, dass die Politik die Gefahr realisiert, mit der die kritische Zivilgesellschaft von gewissen Wirtschaftskreisen bedroht ist. Doch das kann nur der Anfang einer Reform des Strafgesetzbuchs gewesen sein, in deren Verlauf konsequent alle Bedrohungsszenarien gegen normale, demokratiepolitisch legitime Protestkampagnen eliminiert werden müssen. Wir dürfen in Zeiten potenziell tiefgreifender Krisen des Kapitalismus nicht zulassen, dass unsere Demokratie zur Wirtschaftsdiktatur verkommt.

2 Gedanken zu “§ 278a wurde heute im Parlament entschärft – können wir zufrieden sein?

  1. “Aus meiner ersten schüchternen Begegnung mit § 278a sollte eine lange Hassbeziehung werden. Wie oft habe ich diesen Paragrafen hin und her gewendet und seine Anwendung in meinem Fall zu verstehen versucht, aber es wollte nicht gelingen.”

    Ich kenne weder dich noch die anderen die angeklagt wurden, ich kenne überhaupt keine Tierschützer, niemanden vom Gericht und auch niemanden von der Polizei. Alles was ich über diesen Fall weiß habe ich im Internet, oder den Zeitungen gefunden. Mir bleibt also nur die reine Logik um zu beurteilen was da abgelaufen ist und die lautet:

    1) Entweder die Vorwürfe, dass Leute die einander zum Teil angeblich nicht kannten und die zum Teil sogar verfeindet waren, hätten sich zusammen geschlossen um gemeinsam Terror auszuüben trifft zu,

    oder aber

    2) die Vorwürfe stimmen nicht, die Leute kannten einander nicht und hatten daher auch nichts miteinander zu tun.

    Trifft 2) zu gibt es wieder nur zwei Möglichkeiten:

    A) Entweder die Polizei war nicht fähig trotz jahrelanger Observierung, Bespitzelung, usw. herauszufinden dass die Betroffenen nichts miteinander zu tun hatten,

    oder aber

    B) die Polizei war sehr gut darüber informiert.

    Das zieht den Schluß nach sich:

    Trifft A zu, wären die zuständigen Beamten und Innen total unfähig und man sollte sie alle kündigen und die Gerichtskosten zahlen lassen.

    Trifft B zu, würde es sich um eine Verschwörung, mit dem Ziel Unschuldige zu verfolgen, handeln. Dann müsste man sie alle anklagen.

    Das Gericht hat erklärt, dass 1) nicht zutrifft. Dagegen wurde auch nicht berufen. Bleibt also nur Möglichkeit 2.

    Oder kennt jemand noch eine dritte Möglichkeit? Mir fällt im Moment keine ein.

  2. “Wir dürfen in Zeiten potenziell tiefgreifender Krisen des Kapitalismus nicht zulassen, dass unsere Demokratie zur Wirtschaftsdiktatur verkommt.” Sehr richtig! So mancher Streik ist im Grunde eine “schwere Schädigung des Wirtschaftslebens” und die Ablehnung genmanipulierter Lebensmittel ebenso. Demokratie sieht anders aus. Bevor das jetzt aber untergeht: DANKE Martin für deinen langen Atem und dass du dich nicht hast unterkriegen lassen!

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