5. November 2024

3 Tage im Schnee

Wintereinbruch Anfang April! Grund genug, für 3 Tage in den Wald zu gehen. Hier auf über 1000 m Seehöhe lag vor einer Woche noch 75 cm Altschnee, jetzt ist ein guter Meter Pulverschnee dazu gekommen. Und es sollte die nächsten Tage praktisch durch schneien. Wie im Hochwinter.

P1030719kleinMeine Schi sinken tief in den weichen Schnee ein, ich gehe wie auf Watte. Ich spüre meinen Herzschlag, vielleicht 110 Mal pro Minute. Ich fühle mich pudelwohl, stark, federleicht. So könnte ich ewig weitergehen. Ich atme tief die kalte Luft ein, sie erfrischt mich, wie eine kühle Dusche an einem heißen Sommertag. Kuksi geht dicht hinter mir, nutzt meine Spur, um nicht zu tief einzusinken. Vor uns queren zwei Rehe eine Lichtung. Auch für sie ist es nicht leicht hier schnell vorwärts zu kommen. Ich warte kurz, um sie nicht zu erschrecken. Kuksi bleibt völlig ruhig. Als wir dann ihre Fährte kreuzen, schnüffelt er nur daran und schließt sich mir wieder an.

Der dichte Wald umgibt uns, schottet uns von der hektischen Welt der Menschen ab. Hier gelten andere Gesetze. Es schneit dicht, manchmal sieht man nicht weit, manchmal kommt die Sonne durch und taucht die Umgebung in ein mystisches Licht. Wir ziehen einen Graben entlang. Im Sommer fließt hier ein Bach, jetzt ist selbst das dichte Buschwerk unter dem Schnee. Als wir einen Jagdzaun queren wird mir erst bewusst, wie hoch wir über dem Boden schweben. Ich kann den 2,5 m hohen Zaun mit meinen Schiern übersteigen!

P1030725kleinAm Abend machen wir uns ein Lagerfeuer neben dem Zelt. Ich schlage einen Baum mit der Axt. Er ist schon mindestens 3 Jahre tot, sonst würde er gar nicht brennen. Bald kocht die Gemüsesuppe über den Flammen. Später kuschel ich mich in den warmen Schlafsack und stecke meinen Kopf unter der Zeltplane hervor. Es ist alles still, nur oben über der Baumgrenze rauscht der Wind. Leicht und zart fallen mir die Schneeflocken ins Gesicht, ich schließe die Augen. Ich fühle mich hier so geborgen, so zu Hause. Wie wunderschön ist doch die Welt! Die Gedanken an Tierfabriken habe ich zurückgelassen, hier durchströmt mich ein Glücksgefühl, dem ich mich nicht entziehen kann. Ist es nicht ein richtiges Wunder, dass in dieser Welt so viel Mitgefühl existiert, dass so viele Menschen bereit sind, ihren Egoismus zurück zu stellen, und aus Rücksichtnahme anderen Wesen gegenüber sich nur vegetarisch oder vegan zu ernähren? Ich denke an den Eisbären, der eine ertrinkende Krähe rettet, den Gorilla, der einem flugunfähigen Singvogel hilft oder den großen, starken Elefantenbullen, der ein hilfloses Nashornkind aus dem Morast zieht. Wie wunderschön, wenn Starke den Schwächeren helfen, obwohl sie niemals dafür einen Vorteil erwarten können! Ich bin mit einer unendlichen Liebe zu allen Wesen erfüllt.

Neben mir atmet Kuksi tief und gleichmäßig. Seine Gegenwart beruhigt mich, überschwemmt meinen Körper mit Oxytocin. Bald schlafe ich ein.

P1030727kleinIn der Früh schneit es wieder. Mit leichtem Gebäck ziehen wir den steilen Wald hinauf. Der Schnee ist sehr gefährlich, ich löse ein Schneebrett nach dem anderen aus. Es ist klar, heute müssen wir im Wald bleiben, um nicht in eine Lawine zu geraten. Oben wird es lichter, hier stehen alte Buchen und Tannen. Die Buchen werden in dieser Höhe 240 Jahre alt, bevor sie zusammenbrechen, ich habe die Jahresringe von einer, die umgefallen ist, gezählt. 240 Jahre! Ende des 18. Jahrhunderts haben diese Bäume zu wachsen begonnen, als hier noch überall ein Urwald stand und die Zivilisation keine Spuren hinterlassen hatte. Und doch stehen sie noch heute. Ich fühle mich als Teil einer langen Geschichte. Hat einer meiner Vorfahren vor 240 Jahren dieselben Bäume vielleicht gesehen?

P1030729kleinJetzt nehme ich die Felle von den Laufflächen meiner Schi. Durch den tiefen Pulverschnee geht es den steilen Wald hinab. Eine leichte Gewichtsverlagerung und der weiche Schnee spült in der Kurve über meine Schultern hinweg. Rechts, links, rechts, links, geht es in engen Schwüngen immer weiter hinunter. Ich kann gar nicht aufhören, was für ein unglaubliches Gefühl, als würde ich schweben. Der Schnee umfängt mich weich und zart, nichts kann mir passieren.

Viel zu schnell sind die 3 Tage wieder vorbei. Ich komme vom tiefen Winter in die sommerliche Stadt. Meine Gedanken aber, die sind dort geblieben, an diesem Ort, dessen Ruhe und erhabene Schönheit mein Herz noch immer mit einem Brennen erfüllt, das mir das Leben hier unendlich leichter macht.

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