18. Dezember 2024

Aus Sicht der Tiere

Beim VEREIN GEGEN TIERFABRIKEN (VGT) begegnete Stefan S. der Fleischproduktion in Österreich aus völlig anderer Perspektive:

Ich esse gerne Fleisch. In unserer Familie kam es mehrmals täglich auf den Tisch, ohne, dass über die moralischen Implikationen gesprochen worden wäre. Meine Eltern waren sehr tierlieb und dennoch sah mein Vater auch darin keinen Widerspruch, mich schon früh zum Angeln mitzunehmen. Als junger Erwachsener machte ich schließlich die 3 jährige Ausbildung zum Fischwirt und wurde Fischereiaufsichtsorgan in Salzburg. Der Umgang mit den Fischen, vor allem beim Catch and Release Angeln, brachte mich zunehmend in Rechtfertigungsnotstand. Doch mit der konventionellen Fleischproduktion schien das wenig zu tun zu haben. Und so sah ich mich nie veranlasst, weiter nachzufragen.

Dann traf ich auf einen Informationstisch des VGT in Salzburg. Nette Menschen reichten mir ein Flugblatt über die Haltung von Schweinen in Österreich. Als ich mein Fleischessen rechtfertigen wollte, wurde mir gesagt, ich sollte diese Frage einmal aus den Augen der Tiere betrachten.

Tiere sind Sachen nach der österreichischen Rechtslage. Zwar hat man mit § 285a im Jahr 1989 den Satz, dass Tiere keine Sachen sind, ins österreichische Zivilrecht geschrieben, doch der zweite Satz dieses Paragraphen stellt fest, dass bis auf weiteres das Sachenrecht auf Tiere anzuwenden ist. Sachen haben keine eigene Sicht der Dinge, keine Interessen. Tierschutz gilt daher offiziell nicht als Interessensvertretung der Tiere, ähnlich einer Gewerkschaft, sondern als öffentliches Interesse. Tierschutzombudspersonen vertreten laut Tierschutzgesetz die Interessen „des Tierschutzes“, nicht der Tiere. Der Blickwinkel der Schweine wird also in der Diskussion über die gesetzlichen Mindestbedingungen bei ihrer Haltung völlig ausgeklammert.

Die für mich neue Herangehensweise, die Fleischproduktion mit den Augen der betroffenen Tiere zu sehen, machte mich nachdenklich und letztlich beschloss ich, die Herausforderung anzunehmen. Zuerst, so sagten mir die Leute vom VGT, sollte ich Schweine persönlich kennenlernen.

Bei meiner Ankunft im Tierparadies Schabenreith werde ich von einer Meute bellender Hunde empfangen. Nachdem ich an den lauten Gesellen vorbei manövriert worden bin, stehe ich in einem Stallgebäude. Es duftet nach frischem Stroh. Doch die tief eingestreuten Buchten sind alle leer. Draußen blendet die Sonne. Bis da hinunter auf die Wiesen können die Schweine gehen, deutet mir Harald vom Tierparadies, wenn ich sie sehen will, muss ich sie suchen.

Meine Aufgabe ist, den Tag mit den Schweinen zu verbringen, also gehe ich hinunter ins hohe Gras. Dort treffe ich ein großes Tier, das gerade zu grasen scheint und dabei heftig schmatzt. Vor der schieren Kraft dieses Wesens habe ich Respekt und lasse mich in einigen Meter Entfernung zu Boden fallen. Das Schwein toleriert mich und durchwühlt weiter den Boden. Über den Tag hinweg sehe ich, wie sich die Tiere begegnen, wie sie gemeinsam in der Sonne baden, wie sie den Großteil der Zeit im Boden graben, sich aber auch genüsslich im feuchten Erdreich wälzen oder über die Wiese galoppieren. Am Ende des Schweinetages wandern sie hinauf in ihre Buchten und kuscheln sich zusammen in die tiefe Stroheinstreu. Sie haben sich jetzt schon so an mich gewöhnt, dass ich mich ganz dicht zu ihnen setzen kann. Erst jetzt, wenn ich sie berühre, fällt mir auf, wie borstig ihre Haare sind, wie sehr ihre Haut der von uns Menschen ähnelt, und wie weich ihre Schnauze ist. Wie seltsam, dass ich so viele Schweine gegessen, nie aber eines gestreichelt habe.

Szenenwechsel. Ich bin von einer kleinen Gruppe von Tierschützer:innen in einen Schweinebetrieb mitgenommen worden. Ich betrete einen Raum mit einigen Schweinebuchten. Ein überwältigender Gestank nach Exkrementen umfängt mich. Bucht bedeutet hier ein Vollspaltenboden aus Beton, Wände aus Metall, ein Trog mit undefinierbarer, kotähnlicher Substanz und – kein Platz. Zwischen den vielen Schweinen ist der Boden kaum auszumachen, so dicht stehen sie. Ich steige über die Buchtenwand. Sofort werde ich neugierig von Schweinen umkreist, die Forschesten unter ihnen beginnen an meinem Hosenbein zu zupfen.

Ich setze mich auf den Boden, mitten unter die Tiere. Er ist steinhart, keine Einstreu, kein Geruch von Stroh. Da erst, im Halbdunkel, sehe ich, dass überall kleine Käfer und Kakerlaken herum krabbeln und alles mit Fliegen übersät ist. Zwischen den Spalten kann ich mit dem Finger einen flüssigen Kotsee berühren. Wie ich den Finger heraus ziehe, erschrecke ich. Fünf weiße Güllewürmer hängen daran, die, als ich sie abschüttle, über den Boden auf den nächsten Schweinekörper kriechen.

Der Gestank ist kaum zu ertragen, das Atmen kratzt im Rachen. Neben mir husten die Schweine und ich huste mit. In der großen Enge stößt ständig ein Körper an mir an. Nach kürzester Zeit bin ich voller Kot. Da beißt mich ein Schwein in den Fuß. Ich springe auf, rücke weg, versuche das Tier mit dem Fuß auf Distanz zu halten. Da erst sehe ich, dass jedes Tier neben mir Biss- und Kratzwunden hat. Ich bin also nicht der einzige, der hier gebissen wird.

Warum ist hier die Luft so schlecht, frage ich mich. Zwar dröhnt an der Decke ein Ventilationssystem, dessen Rohre, wie ich gerade merke, völlig mit Staub und Spinnweben überzogen sind, doch mit den Ausscheidungen der vielen Tiere hier kann das nicht mithalten. Und Fenster? Fehlanzeige. Es gibt zwar zwei, doch die sind ebenfalls mit einer dicken Staubschicht bedeckt und durch Karton abgedunkelt. Keine frische Luft, kein Blick auf eine Welt außerhalb dieser Spaltenböden und Metallwände.

Wie fühlt sich ein Schwein hier, tagaus tagein? Was macht es den ganzen Tag? In der Bucht gegenüber liegt ein aufgedunsener, unbeweglicher Körper. Ein Schwein, das es schon hinter sich hat. Nach nur einer Stunde in dieser Bucht schmerzen meine Gelenke. Ich weiß nicht mehr, wie ich sitzen soll, ohne dass meine Beine taub werden. An Schlaf ist sowieso nicht zu denken, allein schon, weil mich ständig Schweine zu beißen versuchen.

Doch im Gegensatz zu den Schweinen darf ich wieder in die Außenwelt zurück. Die Eindrücke sind für mich Grund genug, mit dem Fleischessen aufzuhören. Aus Sicht der Tiere ist das eine klare Entscheidung. Und diese Sicht der Betroffenen scheint mir in diesem Zusammenhang die relevanteste zu sein.

Ein Gedanke zu “Aus Sicht der Tiere

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