22. November 2024

Bemerkungen zum Utilitarismus: Leid ist nicht Leid

Wollen wir keine willkürlichen Werte definieren, und keine willkürlichen metaphysischen Annahmen voraussetzen, dann ist der unmittelbarste Zugang zu ethisch gut oder schlecht die Bewertung der Gefühle von Leiden und Glück. Leid fühlt sich definitionsgemäß schlecht an, Glück gut, also ist Leid universal schlecht und Leidvermeidung gut, ebenso wie umgekehrt die Behinderung von Glücksgefühlen schlecht und ihre Vermehrung gut ist. Das beschreibt, in aller Kürze, die scheinbar eingängliche Begründung des Utilitarismus.

Doch wie stehts z.B. – ich denke an meine Wanderungen – mit dem Leid durch einen Blitzschlag. Das Gewitter hat niemand absichtlich ausgelöst. Gewitter ist Teil der Gefahren, die man in Kauf nehmen muss, wenn man in die Wildnis geht. Wenn ich jetzt von dieser Gefahr weiß, sie bewusst in Kauf nehme, dann vom Blitz getroffen werde und (nicht sterbe sondern) leide, in welchem Sinn ist das von ethischer Bedeutung? Leid ist meiner Ansicht nach nicht universal schlecht. Mein Leid durch einen Blitzschlag – oder durch Kälte etc. – ist nicht an sich schlecht, sondern ethisch neutral. So ist es einfach, das ist Teil des Risikos eines freien und selbstbestimmten Lebens. Ich würde es, im Gegenteil, als total unethisch empfinden, wenn jemand technische Mittel entwickelt, um Blitzschläge grundsätzlich zu verhindern, weil er meint, so Leid zu verringern. Ich möchte nicht in einer Wildnis mit Plexiglasdecke gehen, in der keine Blitze mehr vorkommen können. Ja, ich empfände es als befremdlich, wäre irgendjemand der Ansicht, ethisch verpflichtet zu sein, mein Leid in diesem Fall zu verhindern.

Ähnliches gilt für ein Leid, für das ich mich freiwillig entscheide. Das kann eine große Anstrengung sein, oder auch mir selbst zugefügtes Leid aus psychischem Schmerz, oder auch Leid, das ich für andere auf mich nehme, weil mir das in diesem Moment leichter fällt, oder auch mit Lust verbundenes Leid. Ich empfinde zwar dieses Leid als negativ, aber es ist nicht die Aufgabe von EthikerInnen, mich von diesem Leid abzuhalten. Dieses Leid dürfte also ebenfalls nicht in das Kalkül der Leidensminimierung einberechnet werden.

Wie steht es damit, dass mich bei meiner Wildniswanderung ein Bär überfallen könnte? Natürlich wäre das ein Leid, natürlich empfinde ich es als negativ, und tatsächlich wird es mir von einem intentional handelnden Lebewesen bewusst zugefügt. Sollten also utilitaristische EthikerInnen mich davon abhalten müssen, in Bärengebieten zu wandern? Das würde ich jedenfalls ablehnen. Aber darüber hinaus empfinde ich auch dieses Leid als ethisch irrelevant. Vielleicht hängt das ein bisschen von den Umständen ab, aber wenn es sich um eine Bärin handelt, die ihr Kind bedroht sieht, oder um eine Angstreaktion oder um großen Hunger, dann hat dieser Bär doch in gewissem Sinn recht, so zu handeln. Ähnlich würde ich das bei einer Begegnung mit indigenen IndianerInnen im brasilianischen Urwald sehen.

Noch extremer dazu vielleicht das Beispiel von Notwehr. UtilitaristInnen sind bzgl. des Grundes von empfundenem Leid blind. Leid, das durch Notwehr gegen eine brutale Angreiferin entsteht, ist genauso und in gleichem Maße schlecht, wie Leid, das einem unschuldigen und hilflosen Opfer angetan wird. Es gibt keine Qualifizierung von Leid in den Augen der UtilitaristInnen, sondern ausschließlich nach seinem Ausmaß.

Ähnlich die Situation umgekehrt, bei Glücksgefühlen. Auch hier fehlt bei UtilitaristInnen die Qualifikation nach dem Grund. Die Freude, die ein rassistischer Gewalttäter am Leid seines Opfers empfindet, ist in den Augen der UtilitaristInnen jedenfalls gut und sollte gefördert werden. Das Leid des Opfers muss man zwar davon abziehen, aber der Grundsatz bleibt, dass auch ein so offensichtlich ungerechter Glückszustand an sich als gut gesehen wird und gefördert werden sollte und in der Glücksmaximierung eine gleiche Rolle, wie Glücksgefühle nach altruistischer Hilfe für andere, spielt.

Ein Fehler des Utilitarismus ist also, nicht zwischen Leid und Leid zu differenzieren. Es gibt Leid, das ethisch neutral ist, es gibt vielleicht sogar Leid, das positiv gesehen werden muss und es gibt jedenfalls Glücksgefühle, die durch und durch ethisch schlecht sind und verhindert werden sollten. Zur ethischen Bewertung von Leid und Glück gehören eben neben vielem Anderem auch die Motivationslagen der Betroffenen und die Umstände des Vorfalls. Wenn mich beim Klettern ein Fels verletzt, so ist das nicht ethisch schlecht und niemand sollte sich berufen fühlen, das genauso zu verhindern, wie dasselbe Leid durch Hunger aufgrund einer gesellschaftlichen Ungerechtigkeit. Ersteres Leid – auch wenn gleich schlimm – ist ethisch neutral, zweiteres überhaupt nicht.

4 Gedanken zu “Bemerkungen zum Utilitarismus: Leid ist nicht Leid

  1. Zwei Gedanken dazu:
    1) Die Konsequenzen einer Handlung sind unendlich. Ob sie in der Summe also eher gut oder schlecht sind, lediglich für einen einzigen Punkt innerhalb der unendlichen Konsequenzenkette zu berechnen. Die “Ausrede” wäre: a) ich kann nur die Konsequenzen bewerten, die ich kenne und muss eben versuchen möglichst weit und umfangreich “in die Zukunft zu sehen”.
    Oder b) Ich bewerte nur die erste, also unmittelbare Konsequenz.
    Erstes scheint mir willkürlich, überfordernd und zweites ungenügend.

    2) Was ist damit: Ohne süß kein sauer, bzw. ohne Leid keine Freude …
    Anders: Würde man ein anderes Prinzip erfinden dürfen, wie solle das aussehen? Eine Welt ohne Leid? Ist es nicht so, dass Leid auch ein wichtiger Bestandteil ist, den wir brauchen, der uns weiterbringt, hilft, uns vieles ermöglicht?

    Andererseits wollen wir natürlich Leid verhindern, und natürlich will niemand leiden.

  2. “Die Freude, die ein rassistischer Gewalttäter am Leid seines Opfers empfindet, ist in den Augen der UtilitaristInnen jedenfalls gut und sollte gefördert werden.”

    Ist das jetzt ernst gemeint? Falls ja – das ist pervers. Jemand der absichtlich und ohne jedwede Notwendigkeit jemandem Leid zufügt (egal welche Motive er hat) hat eigentlich dabei keine Glücksgefühle im üblichen Sinn, sondern er empfindet Lust. Man sagt nicht umsonst “Lustmörder!” Das geht in Richtung Sexualität und/oder Dominanz und ist ein krankhaftes Verhalten. Wer das gut findet ist selbst krank.

    Ethik ist eine Erfindung der Menschen und genauso “irrational” wie religiöses Verhalten. Es gibt weder “Rechte” noch “Pflichten”. Weder solche die von einem Gott gegeben wurden, noch solche durch die Natur erschaffene. Aber es gibt “Mit-Gefühl”! Das hat man entweder, oder man hat es nicht. Soziopathen haben es nicht. Deshalb tun sie so als ob und deshalb brauchen sie vorgegebene Normen. Religiöse oder philosophische. Damit sie wissen was von ihnen erwartet wird. Wenn jemand nicht zwischen notwendigem Leid (Abwehr z. B. oder einer Anstrengung) unterscheiden kann, verhält sich verdächtig ähnlich einem Soziopathen.

  3. Sorry, ich kann kein Deutsch. Ich benutze einen Übersetzer.

    Utilitarismus ist eine Art von Konsequentialismus. Consequentialism lehnt den Mord durch Unterlassen. Deontologism (schlecht gestellt ist) übernehmen die Ermordung durch Unterlassen.

    A priori sollte das Interesse nicht vereitelt werden (für Genuss ist Explanada), das ist die grundlegende ethische Prinzip. Um das Leiden der anderen zu genießen, ist per Definition ethisch falsch. Eine ethische Welt wäre eine Welt ohne Frustration sein. Wenn jemand will, die Möglichkeit, sich von einem Blitz getroffen zu sehen dann muss es die Möglichkeit, sein. Wenn jemand vom Blitz getroffen werden will, dann muss er von einem Blitz gemocht zu werden. Wenn jemand nicht will, von einem Blitz getroffen werden, dann sollten Sie nicht vom Blitz gemocht zu werden. Wenn jemand will, um sick sick mit Ebola Ebola sein, aber wenn es hat schlimme Folgen für diejenigen, die nicht wollen, krank zu werden, dann Ebola Ebola ist nicht krank.

    Ich hoffe, dass der Übersetzer auch diese kurze Sätze übersetzt.

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