25. November 2024

Die tierschutzrechtliche Verbandsklage: ein Blick ins Nachbarland

Am Anfang stand das Vollzugsdefizit im Tierschutz. Tiere gelten vor dem Gesetz nun einmal als Sachen, und der Vollzug von Gesetzen zum Schutz von Sachen geht niemanden außer den Eigentümer der Sachen und den Staat etwas an. So, jedenfalls, ist unsere Rechtslage. Die Folge ist, dass niemand etwas unternehmen kann, wenn die Behörden nicht bereit sind, das Eigentum Tier gegenüber seinem Eigentümer zu schützen. Aber nicht nur das, viele Paragraphen im Tierschutzgesetz sind wunderschön formuliert, doch mit unbestimmten Rechtsbegriffen und unzähligen Einschränkungen und Ausnahmen. Laut der Landestierschutzbeauftragten für Hessen in Deutschland nehmen dort 95 % der Tierhaltungsbetriebe tierschutzwidrige Ausnahmen in Anspruch. In Österreich haben wir deshalb schon früh eine Tieranwaltschaft gefordert, die dann 2005 als Tierschutzombudsschaften der Länder umgesetzt wurde. In Deutschland beschritt man den Weg der Verbandsklage.

Bremen führte 2007 als erstes Bundesland die Verbandsklage ein. 2013 folgten Hamburg, Nordrhein-Westphalen und das Saarland, 2014 Rheinland-Pfalz, 2015 Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg und 2016 schließlich Niedersachsen. D.h. 8 von 16 Bundesländern haben sie. Die Verbandsklage ist die gesetzliche Möglichkeit für akkreditierte Tierschutzvereine bei sämtlichen Aktivitäten in Bezug auf Tierschutz durch die Behörde auf der Verwaltungsebene Akteneinsicht zu nehmen, eine Stellungnahme abzugeben und gerichtlich zu klagen.

In Nordrhein-Westphalen z.B. wurden 9 Tierschutzvereine bisher dafür akkreditiert. 5 Anträge wurden abgelehnt, z.B. einer des Landesjagdverbands, der sich als Tierschutzverein deklarieren wollte. Die Tierschutzvereine haben ein Landesbüro für das Verbandsklagerecht mit Sitz in Düsseldorf gegründet. Sie haben obligatorisch ein Recht auf Akteneinsicht und Stellungnahme vor jedem Erlass von tierschutzrechtlichen Genehmigungen, außer bei Genehmigungen von Schächtschlachtungen, Verstümmelungen von Tieren, Tierversuchsgenehmigungen und Baugenehmigungen von Kleinställen. In den letzteren Fällen wird die Akteneinsicht nur auf Verlangen ermöglicht. Wenn die Tierschutzorganisationen in ihren Stellungnahmen rechtliche Widersprüche bemängelt haben, aber diese von der Behörde nicht beachtet wurden, können sie ein Gericht anrufen. Allerdings gilt die Präklusion: nur bereits vor dem Behördenentscheid eingebrachte Argumente können vor Gericht geltend gemacht werden.

Im Jahr 2015 gab es in Nordrhein-Westphalen 37 Informationsanträge, 2 Einsichtnahmen in Akten, 6 Klagen gegen Genehmigungen und 1 Klage gegen einen Stallbau. Aufgrund dieser Aktivitäten wurden 2 Stallgenehmigungen abgeändert und 2 Kastenstandhaltungen von Mutterschweinen zu Gruppenhaltungen umgebaut. Doch die wichtigste Wirkung, so der zuständige Staatssekretär dieses Bundeslandes, sei präventiv, d.h. die Behörde überlege sich viel gründlicher, welche Verwaltungsakte sie setzt. In jedem Fall würden die Tierschutzorganisationen dadurch wesentlich besser in den Vollzug der Tierschutzbestimmungen eingebunden und Probleme im Vorfeld entschärft.

Die Verbandsklage bringt einen Abbau des Vollzugsdefizits im Tierschutz, auch präventiv, und gleicht das rechtliche Übergewicht für die TierhalterInnen aus. Sie ermöglicht aber auch die höchstgerichtliche Klärung von tierschutzrechtlichen Grundsatzfragen, wie z.B. ob ein Vollspaltenboden nicht den Bestimmungen im Tierschutzgesetz widerspricht. Sie eröffnet erst den Diskurs auf allen Ebenen und bringt so auch eine Bewusstseinsänderung in der Bevölkerung. Erst durch das Drohmittel einer Verbandsklage werden die politisch Verantwortlichen nicht mehr so einfach, wie in Österreich typisch, die Argumente von Tierschutzorganisationen beiseite schieben können, sondern zuhören müssen und ihre Entscheidungen entsprechend adaptieren. Die politische Diskussion zwischen Tierschutz, Tiernutz und Politik rückt damit mehr in Augenhöhe.

Bei einer Konferenz am 24. Juni 2016 in Berlin wurde von Behördenseite klar kommuniziert, dass man mit der Einführung der Verbandsklage nur sehr positive Erfahrungen gemacht hat. Das neue Jagdgesetz in Wien, das gerade in Begutachtung ist, sieht eine Umweltschutz-Verbandsklage in jagdrechtlichen Fragen vor, z.B. bzgl. Abschussplänen oder Zwangsabschüssen. Es wird nun auch in Österreich Zeit, den Tierschutz politisch ernst zu nehmen und eine eigene Verbandsklage einzuführen.

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