Der Lainzer Tiergarten war einmal ein Jagdgatter, wenn auch ein sehr großes, ein kaiserliches, mit 2400 ha Grundfläche. Bis zur bürgerlichen Revolution 1848 hatte nur der Adel in Österreich das Jagdrecht, egal wem der Wald gehörte und wer darauf lebte. Der Adel hatte eben die Macht im Land. Und wie es nun einmal so ist, wenn Menschen eine absolute Macht haben, konnte der Adel nicht genug bekommen, von seinen infantilen Belustigungen. Man hatte ja sonst nichts zu tun, also tötete man Tiere. So viele wie möglich. Und da ja die Landwirt_innen die zu bejagenden Tiere unter Androhung hoher Strafen nicht von ihren Feldern vertreiben durften, zäunten die netten Adeligen ihre Jagdgründe ein, wenn sie dort hohe Tierpopulationen züchteten. Ein Maximilian Mayr-Melnhof verteidigt sein Jagdgatter heute ähnlich: wenn er nun einmal 600 Wildschweine im Jahr schießen will, dann ist es doch nett, dass er das in einem eingezäunten Wald tut. Man stelle sich vor, was passiert, wenn diese Wildschweinhorden über die angrenzenden Äcker und Wiesen herfallen. Aber wenn dieselben Wildschweinhorden über die Wiesen und Wälder innerhalb des Jagdgatters herfallen und damit die Natur zerstören, dann juckt das die Adeligen offenbar nicht. Wer nur ans Konsumieren und an hedonistische Freuden denkt, dem sind Natur und Tiere egal.
Das alte kaiserliche Jagdgatter Lainzer Tiergarten wurde zwar nach dem Ersten Weltkrieg Besitz der Stadt Wien, doch nun jagte eben die politische und wirtschaftliche Elite. Ich erinnere mich noch, wie ich vor wenigen Jahren zu einer Treibjagd im Lainzer Tiergarten war und ca. 50 Autos auf einem Parkplatz sah. In jedem saß ein Fahrer. Ich fragte einen, warum er hier herum sitzt, während dort drüben gejagt wird. Er meinte, er sei Chauffeur von Generaldirektor XY, der dort auf einem Jagdstand thront, und er müsse warten. Dasselbe galt für die 50 anderen Chauffeure in den Autos. Unfassbar. Man schoss 1500 Wildschweine pro Jahr und mehr.
Seit Dezember 2015 gibt es nun eine Übereinkunft zur Auflösung des Jagdgatters Lainzer Tiergarten. Die Stadt Wien ist jetzt bereit, Ökologie und Tierschutz den Vorrang zu geben. Seither wird die Anzahl jener Tiere gezielt reduziert, die für die Jagd hochgezüchtet wurden, und es werden die Fütterungen eingestellt. Letztlich soll sich die Wildtierpopulation im Lainzer Tiergarten von der Natur ernähren können – und sich über Grünbrücken mit der Außenwelt austauschen. Neben Reduktionsabschüssen von Damhirschen, Mufflons und Wildschweinen gibt es keine Jagd mehr, also weder auf sogenannte “Raub”tiere wie Füchse, Marder, Dachse und Wiesel, noch auf irgendwelche Vögel.
Im Frühjahr 2018 wurden nun die letzten Fütterungen für Wiederkäuer eingestellt. Sie wurden alle abgebaut. Von den ursprünglich 15 Wildschweinfütterungen gibt es nur noch 6. Im nächsten Frühjahr werden weitere 3 abgebaut, und 1 Jahr darauf werden die letzten 3 verschwinden. Die Auflösung des Jagdgatters soll bis 2021 abgeschlossen sein.
Ich durfte kürzlich an einer Führung durch den Tiergarten teilnehmen, um die Fortschritte mit eigenen Augen zu sehen. Bisher war von Naturverjüngung wenig zu merken. Die Wildschweine entfernten sämtliche Samen, bevor sie wachsen konnten, und die wenigen Jungbäume, die dieses große Fressen überlebten, wurden von den Wiederkäuern – vor allem Damhirschen und Mufflons – geschält und zerbissen. Aufforstungen konnten nur im umzäunten Gelände erfolgen. Auf dem Foto rechts sieht man den Unterschied nach 6 Jahren Einzäunung. Nur so konnten Eichen und Kirschbäume aufkommen.
Doch nach nur 2 ½ Jahren seit dem Auflösungsbeschluss des Jagdgatters sind bereits zahlreiche Jungbäume am Waldboden zu sehen. Wir zählten bis zu 7 verschiedene Arten auf einem einzigen m²! Da gibt es Traubeneichen, Zerreichen, Rotbuchen, Hainbuchen, Birken, Eschen, Elsbeeren, Vogelbeeren und Speierlinge, aber auch Spitzahorn, Feldahorn, Bergahorn, Wildkirsche und Tannen. Die Natur atmet sichtbar auf.
Die Population der Zauneidechsen ist deutlich angestiegen, weil ihre Gelege nicht mehr von Wildschweinen ausgeräumt werden. Ebenso gibt es mehr Hasen und Mäuse, da deren Jungtiere bisher ebenfalls Wildschweinen zum Opfer gefallen sind. Durch die erhöhte Mäusepopulation kann sich der seltene Habichtskauz, die zweitgrößte Eulenart Europas, als Brutvogel halten. Büsche wachsen wieder, von den offenen Wiesen in den Wald hinein, sodass generell sämtliche Brutvögel ein besseres Habitat vorfinden. Eine entsprechende Kartierung wird gerade durchgeführt. Die aufgelassenen Futterstellen werden renaturiert und mit Speierling und Tanne bepflanzt. Der Lainzer Tiergarten ist nun ein wahres Natura 2000 Schutzgebiet!