Entwicklungen und Perspektiven im 21. Jahrhundert, herausgegeben von Margot Michel, Daniela Kühne und Julia Hänni, Dike Berliner Wissenschaftsverlag 2012
Ein 630 Seiten starkes Buch über Tierschutzrecht! Erfreulich, dass sich jetzt auch im Bereich der juristischen Literatur so viel zu Tierschutz tut, obwohl dieses Buch die Rechtslage in Österreich eher stiefmütterlich behandelt, auch was die Auswahl der AutorInnen betrifft, von denen nur zwei in Österreich forschen, und einer in seinem Beitrag erst wieder die Schweiz behandelt. Die andere, Univ.-Prof. Eva-Maria Maier, sieht einen Paradigmenwechsel im Tierschutz sich anbahnen. Und diese Einsicht teilt sie mit den meisten AutorInnen des Buches: gefordert wird der Schritt von Tierschutz zu Tierrechten, ein Personenstatus von nichtmenschlichen Tieren, der ihnen subjektive Rechte verleiht.
Solche Tierrechte, so führt David Favre in seinem Artikel aus, müssten nicht zwangsweise bedeuten, dass Menschen Tiere nicht mehr besitzen können. Die subjektiven Rechte der Tiere könnten z.B. die Forderung umfassen, von ihren BesitzerInnen in einer Weise behandelt zu werden, dass ihre physische und geistige Gesundheit erhalten bleibt und sie artgerecht leben können. Saskia Stucki erarbeitet die Vision einer „tierlichen Person“ mit eigener Rechtsstellung zwischen menschlichen Personen und Sachen. Andere AutorInnen wiederum sehen im Personenstatus das Ende der Nutzung der Tiere durch den Menschen und das als einzige Option des konsequent zu Ende geführten Tierschutzgedankens.
Doch kann man durch Gesetzesreformen eine echte Befreiung der Tiere oder wenigstens substanzielle Verbesserungen im realen Leben der sogenannten Nutztiere überhaupt erreichen, fragt Herausgeberin Margot Michel in ihrem Beitrag. Und zu Recht, wenn man die bisherige Entwicklung betrachtet. Trotz vieler Tierschutzgesetzesreformen und dem Schutz der Würde der Tiere in der Schweizer Verfassung, und dem Schutz des Lebens und Wohlbefindens der Tiere in den Tierschutzgesetzen in Österreich und Deutschland, gibt es überall ungebrochen weiterhin Tierfabriken. Gesetzesreformen sind in der Praxis nur möglich, wenn sie im Wesentlichen alles beim Alten lassen, wenn der Wechsel allen Menschen möglich ist oder wenn er nicht viele betrifft. Nach einem gesellschaftlichen Paradigmenwechsel im Tierschutz klingt das jedenfalls nicht.
Als Praktiker im Tierschutzrecht, d.h. als Person, die in die Entstehungsgeschichte neuer Tierschutznormen intensiv involviert ist und die parlamentarische Diskussion darüber verfolgt, wirken die theoretisch-juristischen Ausführungen des Buches etwas realitätsfremd, nach Elfenbeinturm. Wie die konkreten Formulierungen der Tierschutzgesetze zuletzt aussehen ist Ergebnis eines langen politischen Hick-Hacks, das zu einem oft seltsamen Kompromiss führt, der jedenfalls nicht durchdacht ist, sondern von den Wünschen aller Beteiligten Teile beinhaltet. Die akademische Diskussion der Gesetze muss dann einen Sinn finden, wo eigentlich keiner besteht. Das Resultat sind dann z.B. lange Aufsätze über die Bedeutung der Erklärung im Bürgerlichen Gesetzbuch, z.B. § 285a ABGB in Österreich, dass Tiere keine Sachen sind, aber in der juristischen Praxis hatte das absolut keine Auswirkung. Der Paragraph wurde letztlich nur als Beschwichtigungsformel von der Politik eingeführt. Würde man ihn Ernst nehmen, wäre der Großteil der Nutztierhaltungspraxis nicht mehr möglich, also wird er de facto komplett ignoriert.
Rechtsphilosophische und tierschutzrechtliche wissenschaftliche Arbeiten, wie in diesem Buch vielfältig zusammengestellt, haben die wichtige Rolle, Bewusstseinsarbeit zu leisten und den Boden für einen Paradigmenwechsel zu bereiten. Doch durch theoretische Schriften allein wird es zu diesem Wechsel nicht kommen. Schon Frederick Douglass, Aktivist für Sklavenbefreiung im 19. Jahrhundert, meinte, es könne keine große gesellschaftliche Umwälzung ohne einen gesellschaftsweiten Konflikt geben. Und dieser Konflikt, als sozialer Konflikt zwischen Tiernutzung und Tierschutz, muss von jenen Menschen ausgetragen werden, die sich selbstlos für Tiere engagieren, und die ihr eigenes Leben umstellen, und damit den Paradigmenwechsel sozusagen bei sich selbst vollziehen. Erst wenn eine kritische Masse solcher „RevoluzzerInnen“ erreicht wird, kann es zu einschneidenden Verbesserungen für die Lebensqualität der Tiere in unserer Gesellschaft kommen!
“Erst wenn eine kritische Masse solcher ‘RevoluzzerInnen’ erreicht wird, kann es zu einschneidenden Verbesserungen für die Lebensqualität der Tiere in unserer Gesellschaft kommen!”
Und des Pudels Kern ist… Veganismus, nicht wahr? Es scheint Ihnen jedoch nicht wichtig zu sein, Veganismus – moralische Basis angesichts der Abschaffung jeglicher Tierausbeutung – auch nur mit einem Wort zu erwähnen. Warum, Herr Balluch?