21. November 2024

Die Demokratieunreife der österreichischen Regierungspolitik

Demokratie ist eine historisch junge Errungenschaft, und sie bedarf nicht nur einer Reife des partizipierenden Volkes, sondern auch seiner Regierung. Gerade in repräsentativen Demokratien ist das Potenzial für Missbrauch sehr hoch. Leider ist man hier in Österreich noch immer nicht wirklich bereit, das Volk mitsprechen zu lassen. Zum Beispiel das Wissenschaftsministerium. Nur mit massivem öffentlichen Druck konnte etwas so harmloses und vernünftiges wie ein Kriterienkatalog für eine ethische Abwägung zwischen Schaden und Nutzen durchgesetzt werden, aber der Wissenschafts- und Wirtschaftsminister Mitterlehner zerstört das Projekt eiskalt, und das, obwohl die Bevölkerung sehr tierversuchskritisch ist und eindeutig eine strenge Schaden-Nutzen Abwägung fordert. Dieser Wunsch der großen Mehrheit ist Mitterlehner aber völlig egal. Er lässt das Tierversuchsgesetz genau so schreiben, wie es Pharmaindustrie und Universitäten wollen, Punkt aus. Keine Mitsprache, kein Mitbestimmen, kein Mehrheitsentscheid.

Im Tierschutz gibt es noch viele andere solcher Beispiele. Schauen wir auf das Tierschutzministerium. Umfragen zeigen klar, dass die Mehrheit eine drastische Verbesserung der Haltungsbedingungen von Mastputen wünscht, ein Verbot des Schnabelkupierens, geringere Besatzdichten, Auslauf ins Freie, keine Kothaufen, kein Scheinwerferlicht in der Nacht usw. Was macht das Ministerium aber? Es versucht zunächst, die Besatzdichten in den Mastputenfabriken zu erhöhen und erst nach großem öffentlichen Druck kann es davon abgebracht werden. Dafür schreibt man jetzt einfach ein Betretungsverbot von Schweinefabriken in ein neues Gesetz, kaschiert das als „Schweinegesundheitsmaßnahme“ und ignoriert einmal mehr total die Bevölkerung. Die Einflüsterungen der Tierindustrie sind viel gewichtiger, als was das Volk in dieser Sache fordert oder was die Zivilgesellschaft an Argumenten einbringt. Man könnte noch viele Beispiele nennen, wie Jagdgatter. Wer, bitte schön, außer einer kleinen Gruppe von GroßgrundbesitzerInnen und Altadeligen, will diesen perversen Zeitvertreib? Die Mehrheit ist klar dagegen, sogar innerhalb der Jägerschaft, aber niemals käme es den politisch Verantwortlichen in den Sinn, von sich aus auf die Mehrheit zu hören und ein Verbot einzuführen. Im Tierschutz gibt es überhaupt nie einen gesetzlichen Fortschritt, außer wir zwingen die politisch Verantwortlichen mit riesigen, aufwendigen Kampagnen und großem öffentlichen Druck über Monate hinweg endlich Schritte zu setzen! Warum fühlt sich die Regierungspolitik in Österreich so überhaupt nicht an den Mehrheitswillen gebunden? Warum spielt Ethik keinerlei Rolle im Vergleich zu den Privatwünschen einer reichen Minderheit? Das Staatsschutzgesetz oder TTIP wären andere Beispiele.

Die ersten Demokraten Österreichs hat man in den Jakobinerprozessen ab 1796 verfolgt, gehängt und in Kerker gesteckt. Auch die Revolution 1848 führte letztlich nur zum Neoabsolutismus, bis ab 1867 der Regierung zunehmend mehr demokratische Konzessionen abgerungen werden konnten. Doch erst das Ende des ersten Weltkriegs eröffnete den Weg zu freien Wahlen, aber niemand war reif für die Demokratie. Schon 1934 wurde sie vom ÖVP-Vorgänger, den Christlichsozialen, durch den Austrofaschismus ersetzt.

Nach dem zweiten Weltkrieg kam es zwar nicht mehr zu vergleichbaren Gewaltakten, aber statt Demokratie gab es Proporz und die sogenannte Sozialpartnerschaft. Von Partizipation einer Zivilgesellschaft war immer noch keine Rede. Erst als sich diese Ende der 1970er Jahre in der Anti-AKW-Bewegung und 1984 durch die Besetzung der Hainburger Au unüberhörbar zu Wort meldete, musste man reagieren. Kreisky bezeichnete die AktivistInnen bei Zwentendorf noch als „Terroristen“ (später in der Pension nannte er seinen diesbezüglichen Standpunkt seinen größten Fehler) und sein Nachfolger Sinowatz ließ das Bundesheer und die Gewerkschaften aufmarschieren, um den Protest in Hainburg zu beenden. Von einer Bereitschaft, Initiativen aus der Bevölkerung mitgestalten zu lassen, war noch immer nichts zu bemerken.

Seit den 1990er Jahren gibt es Tierschutzkampagnen, um eine Mitsprache zu erzwingen. Mit der Repression und einer Generalkriminalisierung zeigte man wieder, welche Art von Politik man sich in Österreich wünscht. Als das scheiterte, ging man dazu über, die KritikerInnen in staatliche Kommissionen einzubinden. So gibt es jetzt einen Tierschutzrat, in dem wir einen Sitz haben, zunehmend werden Arbeitskreise mit Tierschutzbeteiligung vom Tierschutzministerium organisiert, und ich selbst vertrete die Tierschutzanliegen in der Bundestierversuchskommission. Sind wir damit nicht in der Demokratie angekommen? Nein. Diese Kommissionen sind lediglich ein weiterer Versuch, unseren Forderungen ihre Wucht zu nehmen. Es wird viel geredet, man kann Anträge stellen, man soll das Gefühl bekommen, Teil des Gesetzgebungsprozesses zu sein. Doch in Wahrheit ist das überhaupt nicht der Fall.

In der Bundestierversuchskommission wurden zahlreiche Argumente von uns vorgebracht, ExpertInnen gehört, Eingaben vorgelegt und dann entschied das Ministerium letztlich doch genau so, wie es die Tierversuchsindustrie wünschte. Der Tierschutzrat konnte so oft er wollte gegen die Besatzdichtenerhöhung bei Mastgeflügel stimmen, das Tierschutzministerium hätte sie dennoch eingeführt. Die Inhalte der Arbeitsgruppen landen direkt im Mistkübel, und die Ministerien entscheiden überall und immer gegen den Tierschutz und im Interesse der LobbyistInnen, ganz egal was die Bevölkerung denkt.

Faktum ist, dass jeder einzelne Fortschritt im Tierschutz durch massive Kampagnen und öffentlichen Druck erkämpft werden musste. Lässt man das Thema dann ruhen und versucht in anderen Tierschutzbereichen Fortschritte zu erzielen, dann wird von den politisch Verantwortlichen langsam und unmerklich alles wieder erodiert. Die Regierungen handeln nur für den Tierschutz, wenn unter absolutem Zugzwang. Überlässt man sie sich selbst, nivellieren sie ehebaldigst alles, was auch nur irgendwie die Totalausbeutung der Tiere beschränkt. Das ist leider die alltägliche Praxis in Österreich und sie zeigt eine verbreitete Demokratieunreife der Regierungsverantwortlichen, die leider seit 1796 nicht viel besser geworden ist.

Ein Gedanke zu “Die Demokratieunreife der österreichischen Regierungspolitik

  1. Das ist leider treffend auf den Punkt gebracht. Es gibt auch weit und breit keine Hoffnung auf Leute, die verantwortungsvoller Politik betreiben würden. Es sieht ganz so aus als müssten wir die Spielregeln radikal ändern und die BerufspolitikerInnen durch echte partizipative Strukturen ersetzen. Die aktuelle Technik gibt uns neue Möglichkeiten solche Prozesse zu beginnen. Sie stecken in den Anfängen und müssen noch weiterentwickelt werden, aber es ist an der Zeit zu ersetzen, was schon so lange nicht funktioniert. Ein Beispiel einer Alternative: Systemisches Konsensieren: https://business.konsensieren.eu/de/

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert