Es ist nicht üblich, dass der Verfassungsgerichtshof öffentliche Verhandlungen abhält. Das macht er nur bei Verfahren, „an denen ein breiteres öffentliches Interesse besteht“. Beim Antrag auf Jagdfreistellung ist das offensichtlich der Fall. Ein Kärntner Waldbesitzer hatte die Freistellung seines Grundstückes von der Jagd beantragt, und war damit erwartungsgemäß auf den ersten beiden Ebenen abgeblitzt. Am 1. Juli 2015 brachte er seine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof VfGH ein: https://martinballuch.com/jagdfreistellungsantrag-nun-vor-dem-verfassungsgerichtshof/. Sein Argument: er wolle aus ethischen Gründen keine Jagd auf seinem Grundstück dulden müssen. Dabei berief er sich auf 3 Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte EGMR, bei denen jeweils gegen Frankreich, Luxemburg und Deutschland entschieden wurde, dass diese Länder eine Jagdfreistellung von Grundstücken aus ethischen Gründen im Jagdgesetz vorsehen müssen, weil sonst das Eigentumsrecht der GrundbesitzerInnen verletzt ist. Die Jagd, so stellten die HöchstrichterInnen dabei fest, ist nur ein Privatvergnügen und kein öffentliches Interesse.
Der VfGH hatte dazu nun eine öffentliche Verhandlung für den 27. September 2016 anberaumt. Geladen waren neben dem Antragsteller ein Rechtsvertreter der Kärntner Landesregierung mit 3 ExpertInnen aus der Forst- und der Landwirtschaft, sowie von der Jagd. Zusätzlich war ein Sprecher des Landwirtschaftsministeriums des Bundes dabei und als „Jagdexperte“ Klaus Hackländer, jener von der Jägerschaft bezahlte Mann, der schon im Tierschutzprozess als Gutachter gegen uns Angeklagte ausgesagt hat.
Das Verfahren beginnt
Als die 14 RichterInnen (darunter 5 Frauen) in ihren violetten Roben – der Vorsitzende und seine Stellvertreterin dazu im Hermelinpelzkragen – erschienen, mussten alle Anwesenden aufstehen. Rechts und links der Richterbank befanden sich österreichische Flaggen und hinten an der Wand die ersten beiden Sätze der Bundesverfassung: „Österreich ist eine Demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“ Einer der RichterInnen, in diesem Fall Verfassungsrichter Georg Lienbacher, war als Referent bestimmt worden. Er hatte für die restlichen RichterInnen den Fall bearbeitet und einen Entwurf für ein Erkenntnis zusammengestellt, das den anderen RichterInnen, aber nicht der Öffentlichkeit, zum Zeitpunkt der Verhandlung bereits vorlag. Die Mitarbeiterin des Referenten eröffnete die Verhandlung mit der Aufrufung des Falles, offenbar ein Formalakt. Dann las der Referent-Richter seinen Bericht zum Fall vor. Schließlich begann die Befragung der geladenen Personen. Diese hatten im Vorfeld bereits 7 Fragen übermittelt bekommen, die sie nun in freier Rede, wie der Vorsitzende betonte, zu beantworten hatten. Als erster war der Antragsteller an der Reihe.
Er wollte zunächst mit der ethischen Begründung für seinen Standpunkt einleiten, immerhin bezog sich der EGMR in seinen 3 Urteilen auf die Gewissensfreiheit der WaldbesitzerInnen als wesentlichen Urteilsgrund. Doch der vorsitzende Richter brach ihn ab und ließ ihn nur zu den Fragen Stellung nehmen. Dabei ging es um die folgenden Themen:
- Gibt es einen relevanten Unterschied zwischen Österreich und den drei anderen Ländern im Jagdrecht, bei denen der EGMR bereits im Sinne einer Jagdfreistellung entschieden hat? Hier lag der Schwerpunkt auf der Frage, ob der Wald in Österreich als Bergwald mit dessen Schutzfunktion vor Lawinen und Muren eine besondere Bedeutung habe.
- Gibt es ein öffentliches Interesse daran, dass EigentümerInnen dazu gezwungen werden sollen, gegen ihren Willen eine Bejagung ihres Grundstücks zu dulden? Hier könnten ökologische Gesichtspunkte, wie eine etwaige Waldverwüstung durch überhöhte Wildbestände, wenn sie nicht bejagt werden, genannt werden.
- Wie groß wäre der Aufwand für die GrundbesitzerInnen, ihren Grund durch einen Zaun oder eine Mauer abzugrenzen, damit keine Wildtiere hinein gehen können, die bejagt werden sollen, und, ob zahlreiche Zäune dieser Art nicht ein eigenes ökologisches Problem darstellen würden.
Der Antragsteller
Es sei unmöglich, einen schalenwilddichten Zaun um sein 6,5 ha großes Waldgebiet zu bauen, meinte der Antragsteller, das Gelände sei zu steil und zu unzugänglich, ein Zaun oder eine Mauer zu teuer, die Erhaltung unzumutbar. Abgesehen davon sei eine Umfriedung nicht mit § 33 Bundesforstgesetz vereinbar, der das freie Betretungsrecht jeden Waldes durch die Öffentlichkeit vorsieht. „Ich halte nichts davon, Mauern zu errichten“, sagte der Antragsteller wörtlich. Zäune und Mauern in einem Waldgebiet würden auch seiner ethischen Vorstellung widersprechen.
Sein Grund sei zu klein, als dass eine Jagdfreistellung davon große Auswirkungen auf das umliegende Wild haben würde. Wenn allerdings große Flächen jagdfrei würden, dann würde sich der Bestand selbst regulieren, es würden große Beutegreifer kommen und die Wilddichte wäre viel geringer als heute. Er setze jährlich 100e Bäume in seinem Wald ein und es sei unmöglich, bei dieser Wilddichte Jungbäume durchzubringen. Nur Fichten und Lärchen könnten halbwegs überleben, die Bäume, die in dieser Region aber natürlich vorkommen würden, wie Laubbäume und Tannen, kämen gar nicht auf. Bei der gängigen Jagdpraxis wie heute gebe es keinen Schutz für den Wald, eine Jagdfreistellung würde das aber verbessern. Auch bei großen Jagdfreistellungen seien keine negativen Folgen für den Wald zu erwarten.
Antwort der Landesregierung von Kärnten
Eine Jagdfreistellung würde zu Jagdruhezonen führen, meinte der Anwalt der Kärntner Landesregierung, dadurch die Wildpopulation vergrößern und den Wildschaden am Wald erhöhen, und zwar auch in weiter Umgebung um die jagdfrei gestellten Gebiete herum. Eine generelle Jagdfreistellung ergebe letztlich einen Fleckerlteppich von Grundstücken, in denen nicht gejagt werden darf. Eine großflächige, planmäßige Bejagung sei dann unmöglich. Treibjagden wären grundsätzlich in Frage gestellt.
Ein Zaun koste lediglich € 25/m. Er müsste 2 m hoch sein, wobei die ersten 50 cm hasensicher zu verschließen wären.
Jeder Wald in Kärnten sei Bergwald, dessen Schutz im Sinne der Bevölkerung verpflichtend ist.
Bei einer Jagdfreistellung sei es unter Umständen unmöglich, „Tiere von ihren Leiden zu erlösen“.
Nun wurde der Kärntner Forstdirektor vom Richtersenat gefragt, welche Maßnahmen möglich wären, sollte sich bei einer Jagdfreistellung eine flächenhafte Bewuchsgefährdung ergeben. Er antwortete, man müsste einen Schälschutz auf den Bäume anbringen und die Fütterungen für Rot- und Rehwild entfernen.
Weitere Fragen
Nun wurde der Vertreter des Landwirtschaftsministeriums um eine Stellungnahme gebeten. In Kärnten, so führte er aus, gebe es mehr Rotwild als im österreichischen Durchschnitt. Seit 1913 habe der Rotwildbestand dort um das Zehnfache zugenommen, seit 1990 wiederum um ein Drittel. Dadurch entstehe ein großer Schaden am Waldbewuchs. Dabei würden Wildstandsschätzungen notorisch zu gering ausfallen, bei Stichproben zeigte sich, dass die Wilddichte um das 3-5 fache, zuweilen sogar um das 8fache unterschätzt wurde. Die Waldinventur habe bewiesen, dass bereits jeder 10te Baum geschält worden sei. Die Jagdfreistellung könnte die Reduktion des Wildbestandes weiter erschweren. Abgesehen davon sei bei einem TBC-Befall die Keulung von Rotwild in Tirol notwendig gewesen, was bei Jagdfreistellungen problematisch sein könnte.
Jagdexperte Klaus Hackländer meinte auf die Fragen, Österreich habe eine größere Schalenwilddichte als überall sonst in Europa. Großraubtiere wären aber als Populationskontrolle utopisch, insbesondere weil sie Nutztiere töten und Honig rauben würden. In Österreich sei in jedem Fall ein Wildtiermanagement nötig. Jeder Zaun sei aber ein Lebensraumverlust und würde die Unfallgefahr für Wild erhöhen.
Dazu meinte der Antragsteller, die Fütterung sei Schuld an der hohen Wilddichte, das habe der Forstdirektor von Kärnten zugegeben. Luchse würden keine Nutztiere angreifen und keinen Honig stehlen, aber ihre Nahrung bestünde zu 90 % aus Rehwild. Luchse wären also die Antwort auf eine zu hohe Populationsdichte, nur hätten die JägerInnen die mühsam ausgewilderten Luchse im Nationalpark Kalkalpen wieder ausgerottet und würden nun eine Wiedereinbürgerung verhindern.
Hackländer meinte dazu, es würde Jahrzehnte dauern, bis die Wilddichte in ein ökologisches Gleichgewicht käme. Das ginge nicht schnell. Er gab dann aber zu, dass es keine Studien bisher über den Effekt, den jagdfrei gestellte Grundstücke in Deutschland, Luxemburg oder Frankreich auf den umgebenden Wald hätten, gibt. Zäune mit Jagdruhezonen wären ein sehr großer ökologischer Verlust.
Ein Richter bemerkte zum Vertreter der Kärntner Landesregierung, dass die Alpenkonvention zum Schutz des Bergwaldes auch von Deutschland und Frankreich eingehalten werden müsse und keinen Verfassungsrang habe, warum sie also als Argument vorgebracht worden sei, dass man in Österreich den Jagdzwang nicht aufheben könne. Die Antwort blieb der Sprecher von Kärnten schuldig.
Der Antragsteller wurde nun zu seiner ethischen Überzeugung befragt. Er halte die gängige Jagdpraxis für unethisch, meinte er. Zuerst seien alle Großraubtiere ausgerottet worden, und dann habe man künstlich eine hohe Wilddichte heran gemästet. Da sei es viel besser, der Bestand würde sich durch den Winterengpaß an Nahrung und durch Großraubtiere, wie den Luchs, selbst regulieren. Es dürfe keinesfalls mehr Fütterungen geben, vor allem nicht in seinem Wald. Dort sei nämlich, neben den Jagdständen, auch eine Fütterung gegen seinen Willen errichtet worden. Die dort gemästeten Rehe würden dann gleich seine Jungbäume vernichten.
Der Präsident des VfGH stellte fest, dass der EGMR die Jagd auch in Deutschland als Privatvergnügen bezeichnet habe. Ob das in Österreich anders sei, fragte er die Kärntner Landesregierung. Die Vertreterin der Landesjägerschaft musste zugeben, dass es in Kärnten nur 15 BerufsjägerInnen gibt.
Der Sprecher des Landwirtschaftsministeriums meinte zuletzt noch, dass eine Untersuchung mit Sendern gezeigt habe, dass wenn 2 Jäger mit der Jagd beginnen, das Wild bereits auf große Distanz eine Ausweichbewegung mache. Es würde sich also weiträumig bewegen und rasch lernen, an welchen Stellen es nicht bejagt wird. Jagdfrei gestellte Flächen wären also ein Ort der Sicherheit für diese Tiere, den sie im Fall einer Jagd aufsuchen würden.
Ausblick
Nun haben sich die RichterInnen zur Beratung zurück gezogen. Ist dieser Diskussionsprozess, der sich in komplizierten Fällen auch über mehrere Sitzungen erstrecken kann, beendet, wird über den Fall unter den 14 RichterInnen abgestimmt. Entscheidet sich die Mehrheit für einen Entwurf, wird auf dieser Basis die Entscheidung des VfGH ausgearbeitet. Sobald diese tatsächlich fertiggestellt ist, wird sie den Verfahrensparteien übermittelt und auf der Webseite des VfGH veröffentlicht. Die Verkündung des Erkenntnisses erfolgt entweder schriftlich oder mündlich.
Mein Eindruck von diesem Verhandlungstag ist, dass sich die Jägerschaft hinter dem Jägerlatein der ökologischen Notwendigkeit der Jagd versteckt, aber dabei verheimlicht, dass sie durch die zahlreichen Fütterungen in Wahrheit erst diese Überpopulation verursacht. Das kam bei dieser Verhandlung sehr gut heraus. Nicht heraus kam der Umstand, dass die JägerInnen in Wirklichkeit zahlreiche Tierarten bejagen, die keinesfalls aus ökologischen Gründen bejagt werden dürften. Dazu gehören z.B. die ausgesetzten Zuchttiere wie Fasan, Rebhuhn und Ente, aber auch Auerhähne, Schnepfen und Murmeltiere, oder Fuchs, Dachs und Marder. Soll man als tierethisch motivierter Grundbesitzer wirklich dulden müssen, dass am eigenen Grund jemand anderer aus Spaß an der Freud auf harmlose, ja seltene Tiere ballert? Ich hoffe nein. Objektiv gesehen ist zu erwarten, dass der VfGH die Zwangsbejagung aufheben wird, allein schon wegen der 3 EGMR-Urteile, die unmittelbar auf Kärnten anwendbar sind. Aber ohne diese EGMR-Entscheidungen wären die Chancen für eine solche Entscheidung viel geringer, in einem Österreich, in dem vom VfGH als JagdexpertInnen lauter Personen geladen werden, die persönlich eindeutig auf einer Seite stehen. Und die Tierschutzseite ist das nicht!
Wenn er aber halt partout nix trifft … 🙂
“Aufruf des Falles”:
Ab Aufruf des Falles herrscht ein Fotographie Verbot. Aus diesem Grund muss aufgerufen werden, auch wenn schon alle da sind.
@jo:
Ja, das wäre ein Verstoß gegen das Jagdgesetz.
Angenommen der Besitzer einer – Eigenjagd – der ja das – Jagdrecht – auf seinem Besitz hat, würde sich weigern das Recht selbst zu nutzen und auch nicht weitergeben / verpachten.
Das wär wohl auch ein Verstoß gegen das Jagdgesetz ?