Martin Balluch
DER HUND UND SEIN PHILOSOPH
Plädoyer für Autonomie und Tierrechte
ISBN 978-3-85371-xxx-x, br., ca. 220 Seiten, ca. 15,90 Euro
Hintergrund: In den vergangenen acht Jahren ist das Interesse an Tierschutz und Tierrechten richtiggehend explodiert. Umfragen zeigen, dass sich in dieser Zeit die Anzahl vegetarisch lebender Menschen auf gut 10% der Bevölkerung mehr als verdreifacht hat. Gleichzeitig boomt der Zulauf zu Tierschutzorganisationen und die gesellschaftliche Diskussion tierethischer Themen hat an Profil gewonnen. Auch bekannte Philosophen, Wissenschaftler und Linksintellektuelle haben sich in den Diskurs eingeschalten. Human-Animal-Studies, Studienkurse sowie Institute für Mensch-Tier-Beziehungen sprießen wie Pilze aus dem Boden.
Inhalt:
Ausgehend von der engen Beziehung zu (s)einem Hund, entwickelt der Autor über konkrete Beispiele und Erlebnisse eine leicht lesbare Tierrechtsethik, die im zentralen Begriff der Autonomie gipfelt. Dass er dabei am Kant’schen Postulat der ausschließlich dem Menschen zugestandenen Rationalität arbeitet und dieses schlüssig in sein Gegenteil verkehrt, gehört zu den eindrucksvollsten Erkenntnissen dieses Textes.
Das Buch beginnt mit einer Reise von Martin Balluch und dem Hund Kuksi in die skandinavische Wildnis nördlich des Polarkreises. Jahr für Jahr ziehen die beiden, oft mehrere Wochen am Stück, durch menschenleere Gegenden Skandinaviens, der Südkarpaten oder der Alpen. Dabei begegnen sie sich auf Augenhöhe. Der Mensch ist in dieser Beziehung weder das Alphatier noch der Elternteil, der Hund kennt keinen Gehorsam, keine Befehle und keine Leine. Gemeinsam überstehen die beiden zahllose Gefahren, von Lawinen im Winter und Blitzen im Hochgebirge über lange Durststrecken in der Steinwüste des Toten Gebirges bis zu Angriffen von Steinböcken, Auerhähnen oder Bären. Gemeinsam wird entschieden, wann gerastet und wo die Nacht verbracht wird. Durch die tiefe der Beziehung wird ein einmaliges Verständnis füreinander möglich. Beide sind soziale Wesen, die voneinander abhängig sind, aber beide leben auch ihre Autonomie, indem sie sich bewusst für gewisse Dinge entscheiden und ihr Leben so einrichten, wie es für sie am Besten ist.
Es folgt ein Szenenwechsel in die Stadt. Hier wird der Hund vom Menschen abhängig und kann nichts mehr selbst entscheiden. Er muss um sein Essen betteln, die Zeitpunkte für seine Körperausscheidungen dem Menschen anpassen und Leine und Beißkorb tragen. Am Zebrastreifen gilt der Vorrang vor den ankommenden Autos nur für den Menschen, nicht den Hund. Ihn zu überfahren oder sogar beim Freilauf im angrenzenden Feld zu erschießen, ist bestenfalls eine Sachbeschädigung, schlimmstenfalls legal. Im Auto hängt ein Mitfahrer wie selbstverständlich den Sicherheitsgurt des Hundes ab, um sich selbst anzuhängen. Und ein Gast in der Wohnung des Autors schubst den Hund vom Sofa, um sich dorthin zu setzen.
Der Widerspruch zwischen dem autonomen Hund in der Wildnis und dem Hund als minderwertiges Wesen ohne jede Autonomie in der Stadt wird durch eine Erzählung der Beziehung des Autors zu einem Schimpansen ergänzt. Dieser war 1982 im Alter von zehn Monaten im Dschungel von Sierra Leone gefangen und entführt worden, um schließlich in einem österreichischen Tierversuchslabor zu landen. Doch bei seiner Ankunft am Flughafen in Wien wird er beschlagnahmt und wächst in einer Menschenfamilie auf. Zwar gewinnt das Tierversuchslabor den Prozess vor Gericht, doch die Tierschützer geben den Schimpansen nicht mehr zurück. Der Autor richtet ein Gehege im Tierheim ein und spielt mit dem Schimpansen Klavier, schaut TV und malt Bilder. Dann aber geht das Heim bankrott und der Schimpanse droht als Konkursmasse verkauft werden zu müssen. Um dies zu verhindern, zieht der Autor bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, um den Schimpansen – sein Name ist „Hiasl“ – als autonome Person anerkennen zu lassen, die einen menschlichen Sachwalter zugewiesen bekommt, der für ihn die Geldgeschäfte regelt und letztlich das Tierversuchslabor auf Schadensersatz klagen soll. Die Gerichte lehnen dies ab.
In den folgenden zwei Kapiteln rekonstruiert Martin Balluch die Kulturgeschichte der Mensch-Tier Beziehung und die Rolle der Aufklärung für die Abwertung von Tieren. Der Blickwinkel der modernen Naturwissenschaft macht immer deutlicher, wie sehr die Gefühlswelt von Tieren, die Kulturfähigkeit von Tiergemeinschaften und letztlich die Autonomie der Tiere bislang unterschätzt wurden.
Es folgt eine Kritik eines vorgeblich fortschrittlichen Tierschutzes, der utilitaristisch das Leiden der Tiere ins Zentrum stellt und ihre humane Nutzung als notwendiges Übel sieht. Balluch erkennt darin die späte Handschrift Immanuel Kants. Denn Kants Metaphysik der Sitten ist die Grundlage des heutigen Zivilrechts. In seiner Philosophie ist der Mensch ein Zweck an sich und das Tier nur Mittel für menschliche Zwecke, es hat keinen Eigenwert. Das Recht auf Freiheit und Autonomie ist sein Credo. Da aber nur Menschen eine Autonomie hätten, könnten Tiere keine Rechte haben. Der Autor analysiert nun Kants Deduktion und zeigt deutlich jene Stelle auf, an der das Vorurteil einfließt, dass Menschen vollständig rational und Tiere vollständig irrational wären. Für Kant partizipieren nur Menschen im Reich der Zwecke, nur sie können frei Zwecke verfolgen, die gut für sie sind und deshalb als absolut gut anerkannt werden müssen. Doch auch Kuksi der Hund verfolgt frei jene Zwecke, die gut für ihn sind. Zwar kann er seine Zwecke nicht auf demselben Niveau rational reflektieren wie Menschen, aber er hat sich bewusst für sie entschieden und damit seiner subjektiven Wertung Ausdruck verliehen. Letztendlich gilt dasselbe, nicht mehr und nicht weniger, auch für Menschen. Daher muss man, wenn man Kants Definition von Autonomie in dieser Weise neu fasst, auch anerkennen, dass Tiere im Reich der Zwecke partizipieren und daher Zwecke an sich sind, die nicht als Mittel für menschliche Zwecke missbraucht werden dürfen. So ergibt sich aus Kants Philosophie ein Recht auf Autonomie, das auch für Tiere gilt.
Im letzten Kapitel wird dieses Ergebnis nun in die Praxis umgelegt. Rechte sind Anforderungen an das Gewaltmonopol einer Gesellschaft, die die individuelle Gewalt durch eine zentralisierte Gewalt ersetzt. Grundlage dieser Forderung ist der Respekt vor der Autonomie der Individuen. Mit Kants kategorischem Imperativ sind alle Wesen, die ausreichend rational reflektieren können, rational dazu gezwungen, mit der Forderung nach Schutz ihrer Autonomie auch den Schutz der Autonomie aller anderen autonomiefähigen Lebewesen zu verbinden. Dieses Recht schützt vor Ausbeutung und stellt Interessenskonflikte zwischen Menschen und anderen Lebewesen auf eine zivilrechtliche Basis. Dieses Recht schließt aber keinen Konflikt um Ressourcen aus, sondern es ermöglicht lediglich allen Interessensgruppen unabhängig von ihrer Art Gehör zu finden und fair berücksichtigt zu werden.
Der Autor:
Martin Balluch, geboren 1964 in Wien, studierte zunächst Mathematik und Astronomie und arbeitete zwölf Jahre als Universitätsassistent in Wien, Heidelberg und Cambridge, bis sich sein Einsatz für Tierschutz und Tierrechte mit einer akademischen Laufbahn nicht mehr vereinbaren ließ. Seit 1997 ist er beim Verein Gegen Tierfabriken in Österreich engagiert und seit seinem Freispruch in einem 14-monatigen Prozess wegen Bildung einer angeblichen kriminellen Organisation im Tierschutz zu Österreichs bekanntestem Aktivisten avanciert. Im Promedia Verlag sind von ihm bisher erschienen: „Widerstand in der Demokratie. Ziviler Ungehorsam und konfrontative Kampagnen“, Wien 2009, sowie „Tierschützer. Staatsfeind. In den Fängen von Polizei und Justiz“, Wien 2011, (2. Auflage: 2014).
Hallo Martin,
erst heute habe ich von deinem neuen Buch erfahren und zwar über deinen Blog.
Die Inhalte interessieren mich.
Allein deshalb, weil es sich um eine wichtige Alltagsproblematik geht, die wir aber bewusst oder unbewusst verharmlosen, weil wir sie nicht als Bestandteil der moralischen Regeln zwischen Mensch-Tier betrachten.
Das ist das Eine.
Das Andere ist, dass unsere maßlose Selbstüberschätzung als Tiersorte uns den Löwenanteil bei der Verteilung der Rechte zwischen Mensch-Tier erlaubt.
Also, dann warten wir bis zum Oktober.
Bei der Gelegenheit, möchte ich dir auch einen Vorschlag machen, sobald dein neues Buch raus ist. Und zwar:
ich habe das Buch von Steven Best und Nocella „Terrorists or Freedom Fighters“ gekauft, das muss vor einem Jahr gewesen sein.
Gelesen habe ich es aber noch nicht, nicht mal die Hälfte, und das nicht weil es 336 Seiten (ohne Notes und Afterword zu rechnen) sind.
Sondern weil es auf englisch ist, und mein englisch ist nicht gut.
Ich gehe davon aus, dass es viele andere an meiner Stelle sind, und so bleibt dieses Buch so gut wie unbekannt und ungelesen im deutschen Raum.
Willst du es nicht übersetzen? Du wärest am besten geeignet dazu, und nicht nur wegen der Sprache.
Was die Finanzierung betrifft, könnten wir ein Crowdfunding organisieren: d .h : Finanzierung durch stille Beteiligung aller Internetnützer, die an so ein Projekt Interesse hätten und (mit) finanzieren wollen, weil es kein Kapital dafür gibt.
Was hältst du davon?
Amor
So einen Philosophen wünscht sich wohl jeder Hund!
… und ich freu mich auf den neu interpretierten Kant.
Hoffentlich schaffe ich es, ein signiertes Exemplar zu ergattern … spätestens beim Tierrechtskongress im Herbst 2014. 😉
alles liebe …
(s)einem hund -> sehr sympathisch! klingt nach einem wirklich spannenden buch!