5. November 2024

False memories – wie das Gehirn sich täuschen kann!

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Elisabeth Loftus erforscht suggestive Erinnerungsveränderung

Erst vor 2 Wochen sprach ich mit dem Opfer eines Raubüberfalls. Die Polizei hatte einen Mann gefasst und es sollte zur Gegenüberstellung kommen. Kurz davor gab ein Polizeibeamter der Frau ein Foto des Mannes, den sie festgenommen hatten. War es der Richtige? Bei der Gegenüberstellung erkannte die Frau den Mann vom Foto und war sich sicher, er müsse der Täter sein. Doch genau diese Art der Suggestion kann zur Täuschung des Gehirns führen, das die Erinnerung einfach auswechselt und mit der neuen Information ersetzt.

Folgen wir Elisabeth Loftus‘ Forschungsergebnissen, so ist dieser Zweifel berechtigt. Das Gehirn merkt sich Ereignisse offenbar in einer Form, die sehr anfällig für Suggestion ist. In einer Reihe von Versuchen konnte sie nachweisen, dass man Menschen sowohl Erinnerungen suggerieren als auch in ihnen Assoziationen wecken kann, die sich unbewusst auf ihre Entscheidungen auswirken. Im ersten Fall zeigte man den ProbandInnen einen Text, der angeblich von ihren Verwandten über einen Vorfall in ihrer Kindheit verfasst wurde. Ein hoher Prozentsatz von bis zu 50% konnte sich danach an diesen Vorfall „erinnern“. Im zweiten Fall erzählte man den ProbandInnen davon, wie ihnen früher einmal auf eine gewisse Speise hin sehr übel geworden war, und tatsächlich vermieden die meisten einige Zeit später diese Speise, wenn sie in einer Auswahl offeriert wurde.

Elisabeth Loftus hat diese Art von Forschung Anfang der 1990er Jahre begonnen. Damals gab es einen feministischen Hype. Sehr viele Mädchen, so die neue These, seien als Kleinkinder von ihren Vätern sexuell missbraucht worden und hätten die Erinnerung daran verdrängt, weil sie so furchtbar gewesen sei. Überall gab es damals dann plötzlich psychotherapeutische Workshops, in denen mit genau dieser Suggestionsmethode zahlreichen Frauen eingeredet wurde, sie seien Missbrauchsopfer. Die Folge waren viele Gerichtsprozesse und innerfamiliäre Zerwürfnisse. Auch in der Tierschutzgruppe in Cambridge in England, in der ich damals aktiv war, gab es einen solchen Fall.

Zweifellos gibt es Kindesmissbrauch dieser Art und manche trauen sich erst als Erwachsene diese Vorfälle anzuzeigen. Doch hier ging es um die Behauptung, die Frauen würden sich gar nicht an den Missbrauch erinnern und bräuchten einen solchen Workshop, um die Erinnerung wieder zu wecken. Elisabeth Loftus hat dem ihre Forschungsergebnisse entgegen gesetzt und in einigen Prozessen unschuldige Opfer vor der Verurteilung gerettet. Dafür wurde sie mehrmals von verschiedenen Frauengruppen und Einzelpersonen, die sich diffamiert gefühlt hatten, geklagt. Sie meint, dass es solche verdrängten Erinnerungen, wie sie hier behauptet werden, gar nicht gibt, sie seien immer suggeriert: It is possible not to think about something for a long time, even something unpleasant that happened to you. But what’s been claimed in these repressed-memory cases is something, by definition, that’s too extreme to be explained by ordinary forgetting and remembering. They’re saying that in order to go on in life, you had to wall off this memory, because it would be too painful to live with. Then finally you go into therapy and crack through the repression barrier and out comes this pristine memory. But there really is no credible scientific support for that notion. [zitiert nach New Scientist vom 24. August 2013, Seite 28; siehe: “The Myth of Repressed Memory: False Memories and Allegations of Sexual Abuse” (1994)] Auch im Fall der englischen Tierschutzaktivistin stellte sich alles als Suggestion heraus, ihr Vater hatte sie nie missbraucht, erklärte sie mir. Loftus sagt, dass so eine falsche Erinnerung im Hirnscan von einer richtigen nicht zu unterscheiden ist. Die beiden werden offenbar auf gleiche Wesie im Gehirn abgespeichert. Die Person selbst „erinnert sich“ also tatsächlich.

Diese Möglichkeit der Suggestion kann absichtlich erfolgen. Loftus schreibt von „planting false memories“ bei SoldatInnen in der US-Armee. Aber auch die Kultur und die soziale Umgebung können Erinnerungen an Ereignisse suggerieren, die nie stattgefunden haben. Vielleicht lässt sich so der Erfolg von Astrologie erklären. Jedenfalls ist es offenbar ratsam, hier auf der Hut zu sein, und sich vor Suggestion dieser Art zu wappnen.

Anfang der 1990er Jahre schlug mir einmal ein Jäger, den ich mit einer Gruppe von TierschützerInnen bei der Hetzjagd auf Füchse in England zu behindern versuchte, mit der Faust ins Gesicht. Beim Schreiben der Anzeige gegen ihn, die letztlich versandete, gab ich an, dass er eine Mütze getragen habe. Auf Fotos erkannte ich später, dass ich mich da geirrt hatte. Dabei war ich mir so sicher gewesen. Diese falsche Erinnerung muss ich mir selbst suggeriert haben: als ich mich an seine Kopfbedeckung erinnern wollte, dachte ich an die vielen JägerInnen in England, die immer diese typischen Mützen tragen, und verpflanzte diese Überzeugung in meine Erinnerung vom Ereignis.

6 Gedanken zu “False memories – wie das Gehirn sich täuschen kann!

  1. Eine noch viel häufigere art der suggestion oder manipulation ist das verknüpfen von an sich wertfreien begriffen mit negativen, in dem sie kurz hintereinander genannt werden. Das geschieht häufig in den medien.

  2. Das sind aber zwei verschiedene Sachen. Man weiss schon lange dass Zeugenaussagen mit Vorsicht zu genießen sind. Das Gehirn füllt Erinnerungslücken mit Fantasie. Zudem sind ja nicht alle Menschen gleich. Es gibt Menschen mit einem fotografischen Gedächtnis – und solche die sich Gesichter nicht merken können (so wie ich z.B.) Manche Menschen können ruhig bleiben auch wenn es aufregend wird, andere werden hysterisch und schauen gar nicht richtig hin. Es gibt Menschen mit lebhafter Fantasie die vielleicht nicht zwischen dem was sie sehen, oder erleben und dem was sich in ihrer Fantasie abspielt, unterscheiden können.

    Wenn 50% glaubten sich an etwas erinnern zu können was nicht passiert ist, kann man 50% auf diese Weise nicht beeinflussen. Auch wenn böse Zungen behaupten, Erinnerung sei immer falsch und das wäre auch ganz richtig so. Es ist eine Frage der Bewusstheit eines Menschen und auch eine Frage der Veranlagung. Mensch ist nicht gleich Mensch.

    Was aber die angeblichen Erinnerungen an Missbrauch in der Kindheit angeht, wurden diese Frauen hypnotisiert, oder in einen der Hypnose ähnlichen Zustand versetzt. Das kann man mit der Beobachtung eines Zeugen nicht vergleichen.

    Was das mit Astrologie zu tun hat ist mir absolut nicht klar.

  3. Wissenschaftlich gesehen weiss ich davon nicht viel. Aber ich habe z.B. einen Mord erlebt (und viele Unfälle) und habe meine Erinnerung mit der vieler anderer Menschen vom selben Ereignis verglichen und das war ganz erschütternd unterschiedlich. Meine Erklärung dafür war, dass man emotional sehr aufwühlende Ereignisse oder Traumen sehr subjektiv erlebt und keinen objektiven Überblick zusammenbringt. Das, was einen selbst betrifft, ist zeitlich und räumlich total aufgebläht in der Erinnerung (oder Wahrnehmung) und alles andere verblasst oder wird sogar völlig ignoriert. D.h. an das tatsächliche Ereignis erinnere ich mich nur in Teilen. Aber dass ich ein solches Ereignis völlig vergessen würde, kann ich nicht bestätigen.

  4. Bei Gewalteinwirkung funktioniert das Gehirn anders. Es gibt Menschen, die blutüberströmt vom Ort des Autounfalls weglaufen, aber keine Erinnerung daran haben oder nur Teile erinnern. Das Gehirn sortiert in extremen Situationen auch nicht nach Zeit oder Ort. Das hat aber wenig mit falschen Erinnerungen zu tun.

    „Es verblüfft immer wieder, mit welcher Leichtigkeit sich auch (angehende) Psychologen in Sachen “Gedächtnis” ins Bockshorn jagen lassen. Es ist ja für den Psychologie-Historiker kein Geheimnis, warum in den Medien (vor allem den amerikanischen) immer wieder groteske Behauptungen über die angebliche Fehlbarkeit des Gedächtnisses lanciert werden. Es geht um dieses kleine schmutzige Familiengeheimnis. Lügt die Tochter? Oder hat Vati wirklich …?“
    http://www.stangl-taller.at/ARBEITSBLAETTER/GEDAECHTNIS/VergessenForschung.shtml

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