Gary Steiner war gerade in Wien zu Besuch und hat an der Uni einen Vortrag gehalten, der letztlich in ein Plädoyer für Veganismus mündete. Ein Interview mit ihm, sowohl schriftlich als auch im O-Ton, findet sich auf FM4: http://fm4.orf.at/stories/1695998/
Die Diskussion darüber, ob es einen Sinn hat, vegan zu leben, dreht sich bei derartigen Vorträgen praktisch ausschließlich um die Frage, ob Tiere Rechte haben oder nicht. Haben sie Rechte, bzw. anerkennt man sie als RechtträgerInnen, dann wird Veganismus als unausweichliche Konsequenz gesehen. Darüber müsse man dann gar nicht mehr weiter diskutieren.
So eingänglich diese Sicht ist, so sehr greift sie bei vielen Menschen zu kurz, insbesondere bei Personen, deren größtes politisches Anliegen der Kampf gegen den Kapitalismus ist. Diese AktivistInnen meinen nämlich, dass Veganismus als Boykottversuch tierlicher Produkte überhaupt keinen Effekt hat. Das Problem sei der Kapitalismus und dieser würde sich nicht nach Angebot und Nachfrage richten, sondern selbst die Nachfrage schaffen. Wir seien alle im System gefangen und darin hilflose Spielbälle, unsere Kaufentscheidung habe keinerlei Einfluss.
Wenn man sich die Subventionspraxis ansieht, hat diese Position einiges für sich. Gäbe es genügend Nachfrage nach Tierprodukten, bräuchten sie nicht mit 80% der 2,5 Milliarden Landwirtschaftssubventionen pro Jahr allein in Österreich gefördert zu werden. Man bekommt den Eindruck, dass die Tierproduktion einfach unbeeinflusst durch Kaufentscheidungen abläuft, wenn die Produkte hierzulande nicht abzusetzen sind, werden sie eben mit Exportsubventionen in die Entwicklungsländer verschifft.
Ganz so ist es allerdings auch nicht. Als aufgrund der Vogelgrippe plötzlich der Markt für Hühnerfleisch um 30% zurückging, brach im Produktionsbereich Panik aus. Zwar übernahm der Staat die Ausfälle, aber ausschließlich in der (wie wir heute wissen: berechtigten) Hoffnung, es handle sich nur um ein vorübergehendes Phänomen. Wäre der Umsatzrückgang permanent geblieben, hätte das möglicherweise eine Änderung im Produktionsvolumen erfordert – oder hätte man einfach die Exportquoten mittels Subvention erhöht?
Wie auch immer, selbst wenn man anerkennt, dass die Boykottwirkung von Veganismus vernachlässigbar ist, gibt es in meinen Augen sehr gute Gründe, trotzdem vegan zu leben:
1) Aufbau einer veganen Alternative
Wenn auch die Wirkung, keine Tierprodukte zu kaufen, gering ist (alle 80.000 Menschen, die jährlich in Österreich sterben, kaufen auch keine Tierprodukte mehr – und das sind pro Jahr doppelt so viele Menschen als es VeganerInnen gibt), so ist die Wirkung, vegane Alternativen zu kaufen, deutlich zu spüren. Wer vegane Sommerfeste oder jetzt die Veggie-Messen (am 24./25. März in Salzburg: https://vgt.at/hinweise/20120306Veggie/index.php) besucht, wird rasch merken, wie sehr sich diese vegane Infrastruktur entwickelt. Und wie sollten TierrechtlerInnen auf ihre Revolution hinarbeiten, ohne eine konkrete, machbare Alternative vor Augen? Aus der politischen Praxis weiß ich, dass gesellschaftsweit keine Änderung einer Verhaltensweise möglich ist, ohne dass vorher die Alternative entwickelt und in der Realität erprobt wurde. Das bezieht sich auch auf vegane Schwangerschaften, Säuglingszeit und ein von Geburt an veganes Leben. Ist das ohne Schwierigkeiten möglich, ja vielleicht sogar gesünder als omnivor? Auch um diese Frage zu entscheiden braucht es genügend Menschen, die das versuchen.
2) Die politische Botschaft
Vegan zu leben ist eine politische Botschaft. Überall, wo vegane Menschen auftreten, wird diese Botschaft gehört und führt zu Diskussionen. So kann man sich selbst noch im Gefängnis, wenn man um eine vegane Alternative kämpft, politisch engagieren. Bei jedem gemeinsamen Essen mit Nicht-VeganerInnen wird automatisch Veganismus zum Thema. Man fordert zwangsläufig Firmen und gastronomische Betriebe heraus, auch die ArbeitgeberInnen müssen in gewissem Rahmen darauf Rücksicht nehmen, z.B. die Uni bei wissenschaftlichen Konferenzen. Und nicht zuletzt schafft die vegane Lebensweise eine Bewegungsidentität in der Tierrechtsszene. Veganismus ist eine Gemeinsamkeit, die über das konkrete politische Engagement hinausgeht und eine soziale Brücke bildet. Als tierschutzpolitisch aktiver Mensch fühlt man sich durch alle veganen Personen direkt unterstützt und gefördert, und bekommt dadurch mehr Kraft sich weiter für Tierschutz einzusetzen.
3) Ethik und Psychohygiene
Unter systemkritischen Linken findet man oft eine starke Aversion gegen moralische Argumente. Die Moral sei ein Ausdruck kleinbürgerlicher Kleingeistigkeit, offenbar wird dabei hauptsächlich an so etwas wie Tischsitten oder Kleiderordnungen gedacht. Aber natürlich spielt die Ethik im eigenen Leben eine verdient wichtige Rolle. Und vom Tierrechtsstandpunkt aus ist sicherlich ein nichtveganes Leben unethisch. Durch den Konsum von Tierprodukten wird man direkt für das Leid und den Tod von Tieren verantwortlich. Kinderpornografie, Snuff-Movies von echter Folter und Mord und oft auch konsensuale Pornografie mit Erwachsenen sind insbesondere in politisch-progressiven Kreisen nicht nur verpönt, die ethische Ablehnung geht so weit, dass man den Konsum derartiger Produkte auch bei anderen Personen zu verhindern versucht. Wer das akzeptiert und gleichzeitig auch Tieren Grundrechte zuerkennt, wird es schwer haben zu argumentieren, warum der Konsum von Tierprodukten ethisch kein Problem sein soll. Wie wäre das, ließe sich Menschenfleisch legal importieren? Ist einmal anerkannt, dass Tierprodukte ein ethisches Problem darstellen, dann ist deren Vermeidung allein schon aus psychohygienischen Gründen geboten. Kaum etwas wirkt sich negativer auf die Psyche aus, als eine direkt erlebte, schrille Diskrepanz zwischen praktischem Handeln und ethischer Haltung, wie uns Melanie Joy bei ihrem Vortrag kürzlich an der Uni in Wien anschaulich erläutert hat. Dazu gehört auch die Kultivierung einer echten Abscheu vor Tierprodukten, die letztlich wieder ein starkes politisches Signal initiieren kann.
Für mich gibt es also einige gute Gründe vegan zu leben, selbst wenn man durch den Boykott tierlicher Produkte allein noch keine Gesellschaft verändern kann.
@Lauri:
Allerdings gilt auch bei Umweltschutz und Nahrungsengpass das Argument, dass sich das persönliche Konsumverhalten aufgrund von Subventionen überhaupt nicht auswirkt und daher irrelevant ist. Anders ist das bei der eigenen Gesundheit, allerdings zieht dieses Argument in der antikapitalistischen Linken offenbar nicht sehr.
Aus rein ehtischer Sicht völlig korrekt, dennoch fehlen meiner Meinung rund ums Thema Veganismus/Vegetarismus noch Aspekte, die potentiell noch mehr Leute ansprechen, nämlich:
– Gesundheit (sowohl durch Aufnahme nahrhafterer Nahrungsmittel als auch durch Vermeidung von durch Keime oder Antibiotika belastete tierischen Produkten)
– Umweltschutz (z.B. CO2-Austoß durch Massentierhaltung)
– Weltweiter Nahrungsmittelengpass durch ressourcenaufwändige Weiterverarbeitung von pflanzlichen Nahrungsmitteln
Ich sehe das sehr ähnlich. Veganismus mag vielleicht nicht DER Weg sein, um die Gesellschaft umzukrempeln, aber es ist EIN Weg. Im Leben des Einzelnen zählt nun mal jeder Schritt, den man setzen kann – das ist immer die Ausgangsposition die man hat. Selbst wenn man nicht die ganze Welt von heute auf morgen ändern kann, kann man sich selbst und sein Leben ändern. Der Rest ergibt sich aus den Wellen, die die jeweiligen Entscheidungen schlagen.
Generell tu ich mir mit Aussagen wie „Hat das einen Sinn?“ und „Man kann eh nix ändern“ sehr schwer und halte sie für ausgesprochen problematisch. Vor allem weil man sie immer nur dann zu hören bekommt, wenn man sich für etwas „Besseres“ einsetzt (z. B. Tierrechte). Würde ich anmerken, dass eh alles keinen Sinn macht und meine Handlungen ohnehin keine Konsequenzen hätten und ich deshalb jetzt ab und ein menschliches Wesen ermorden werden, wenn mir gerad danach ist, würde wohl kaum wer sagen „Ja, stimmt ändert eh nix“. Wenn es wirklich so wäre und unsere Handlungen keine Wirkungen hätten, können wir alle ab morgen ungehemmt Sextourismus betreiben, oder? Ab nach Thailand! Ist eh egal! Wenn es im Positiven so ist, warum nicht auch im Negativen? Interessanterweise stößt man da sehr wohl an moralische und ethische Grenzen. Eigentlich ist die Diskussion um Ausbeutung und Ermordung von Tieren total haltlos. Selbst wenn man jemandem alle ethischen Bedenken aufgezählt hat, warum er keine Tiere essen sollte und das Gegenüber alles bestätigt, kommt oftmals die Aussage „Ich will aber trotzdem mein Schnitzel essen.“ Gut, ich will auch vieles, aber meine Freiheit endet nun mal dort, wo die des anderen aufhört. Hier zeigt sich halt deutlich, sobald es an die Bequemlichkeit und die Genusssucht des Menschen geht, wird es schwierig. Würden die Leute ihre Schweine selbst ermorden müssen und ihre Pelzmäntel selbst herstellen, sähe das anders aus. So macht halt wer andere die „Drecksarbeit“ für sie.
Ein anderer Punkt ist natürlich das eigene Gewissen und die eigene ethische Empfindung. Als normal fühlender Mensch – in der Lage Mitgefühl für andere Geschöpfe zu empfinden – kann nur Veganismus die einzig wahre Konsequenz sein, wenn man sich mit den Grausamkeiten der Tierausbeutung auseinandersetzt. Alles andere ist Verdrängung.
> alle 80.000 Menschen, die jährlich in Österreich sterben,
> kaufen auch keine Tierprodukte mehr
Save the planet, kill yourself! 🙂