19. März 2024

Helfen oder hindern social media demokratiepolitische Prozesse?

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Sind physische Demos ein Ding der Vergangenheit und wird in Zukunft nur mehr auf facebook protestiert?

Zunächst war ich wirklich begeistert von den Möglichkeiten von facebook, Twitter und Co. Mit einem kostenlosen Klick sind tausende Menschen informiert, können sich engagieren, bei Aktionen und Demos teilnehmen, oder auch Protestemails abschicken und Petitionen unterschreiben. Zweifellos spielt aber der Funfaktor bei social media eine große Rolle, wenn man die Postings und die gefällt-mir Statistiken betrachtet. Kann politisches Engagement durch „Fun“ auch wirklich wirksam sein?

In einem Artikel im New Scientist vom 4. Mai 2013 auf Seite 24 wird die Frage gestellt, ob der sogenannte „Slacktivismus“ (Aktivismus auf social media) tatsächliche politische Partizipation nicht sogar verringert. Das Argument, durch eine Reihe von dort angeführten Studien untermauert, geht so: Viel mehr Menschen lesen zwar von dem politischen Anliegen und klicken dann „gefällt mir“, vielleicht übernehmen sie auch Bilder wie kürzlich das rote „=“ als Symbol für die Unterstützung von homosexuellen Ehen, aber damit haben sie subjektiv den Eindruck sich bereits eingesetzt zu haben und spenden weniger an NGOs und nehmen weniger physisch an Demos und Aktionen teil. Die demokratische Partizipation würde sich auf virtuellen Aktivismus beschränken und das reale Engagement darunter leiden. Die politischen EntscheidungsträgerInnen könnten virtuelle Proteste viel leichter aussitzen und so verlaufe sich das Protestpotential, ohne eine Wirkung zu zeigen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Reaktion von ÖVP und SPÖ auf unsere Protestemail-Wellen im Rahmen der Tierversuchskampagne letztes Jahr. Mittels facebook war uns die Mobilisierung von tausenden von Menschen möglich, an einem Wochenende gingen 3500 Emails raus, einmal wurden innerhalb von 10 Tagen 10.000 weitere Emails verschickt. SPÖ und ÖVP setzten daraufhin Spamfilter ein, die die Proteste wirkungslos im Nirwana des Internet verpuffen ließen. Nicht einmal die Anzahl der Protestemails wurde registriert. Und tatsächlich ist zusätzlich in den letzten Jahren ein leichter Rückgang an Personen zu verzeichnen, die sich physisch im Rahmen der Tierschutzaktivität des VGT engagieren. Dabei werden diese Aktivitäten, wie mir scheint, auch tendenziell harmloser, zeitlich kürzer und weniger politisch akzentuiert und ernsthaft, sondern mehr lustig und unterhaltsam, im Sinne eines flashmobs. Ich stelle diese Beobachtungen jetzt einmal so in den Raum, ohne sie zu bewerten.

Auf der anderen Seite wollen politische Parteien auch wiedergewählt werden. Sie haben also soziologische Fühler, die sie in die Gesellschaft ausstrecken, um Stimmungen einzufangen und frühzeitig darauf zu reagieren. Diese Fühler können durchaus reale Personen sein, die an der Peripherie oder sogar tiefer in der jeweiligen Partei mitarbeiten und die Aktivitäten auf den social media mitbekommen. Vielleicht entstehen durch Diskussionsthemen und virtuelle Protestbewegungen, wie z.B. die Verbreitung der roten „=“ Zeichen, auch Stimmungen „im Volk“, die letztlich deutlich von den Parteien wahrgenommen werden. Der Fall des Verbots der Pestizide und damit einhergehend der Schutz der Bienen scheint mir dafür ein Beispiel zu sein. Ich bin jetzt schon auf so vielen verschiedenen Ebenen auf dieses Thema gestoßen, dass auch jenen Menschen, die nicht auf facebook sind oder keinen Slacktivismus spüren, klar geworden sein muss, dass das Bienenschicksal die Menschen bewegt. Und natürlich haben die Parteien rasch reagiert und das aufgegriffen. Sogar das Aufschieben des Versuchs, die Besatzdichten von Mastgeflügel zu erhöhen, war eine direkte Folge davon.

Meinem Gefühl nach ist also das endgültige Urteil noch nicht gesprochen, ob social media die politische Partizipation erhöhen oder verringern. Wir im Tierschutz werden jedenfalls weiter versuchen, auf diese Weise Menschen zu mobilisieren. Es wird spannend zu beobachten, wie sehr sich dadurch die politischen Entscheidungen beeinflussen lassen! Liest man aber den New Scientist Artikel, dann empfiehlt es sich dabei regelmäßig zu reflektieren, wie wirkungsvoll das eigene Engagement ist.

6 Gedanken zu “Helfen oder hindern social media demokratiepolitische Prozesse?

  1. Hallo liebe Tierschützer,
    erst mal vielen Dank für euer Engagement für den Tierschutz.

    Bei Protest-E-mails an die verantwortlichen in der Politik würde ich auch gleichzeitig die Medien unter cc mit anschreiben, damit die Politik und die Medien gleichzeitig informiert werden und beide Gewalten wissen, dass auch die andere Seite diese Protestemails bekommen haben. 🙂

    Mit lieben Grüßen aus dem per Amtsmissbräuche agrar-ausgeraubten Tirol, vom Widerstand, Klaus Schreiner

  2. Vielleicht werden virtuell und physisch transportierte Anliegen von anderen besser aufgenommen, wenn mehrere Gebiete miteinbezogen werden….

    es braucht zum Fraktal neue Strukturen,

    im Anfang einen Umkehrtrend hin zur akademischen Anerkennung und Hochachtung der Arbeit, aller Arbeiten, in allen Sparten, jedem gezollte Hochachtung,
    weil diese r e a lisieren,
    denn, was nützen nachhaltig Proteste an wen?,
    was nützen alle Petitionen, sämtliche Versuche, sämtliche Bemühungen, die Völker > in Intervallen durchleben und durchleiden <, wenn allen im Bewusstsein der alt-tierische Kurs weiterfährt? Mit alt-tierischem Bewusstsein meine ich primär die separierte "Fehlinterpretation" des Raumes und des Bewusstseins, daraus folglich die vermeintliche Trennung von allem, das uns umgibt, daraus die Übervorteilungskämpfe.

    Muss zuerst gequälten Tieren geholfen werden, damit Mensch miteinander besser umgehen kann, oder muss es doch, am Abgrund arg vorbeigeschremmt, erst den Menschen, Angestellten und Arbeitern, ausbalanciert im respektablen Verstehen miteinander besser gehen, wodurch Mitgeschöpfe seelisch entlastet werden?

    Wenn immer mehr, alle Menschen bestverdienend im Büro sitzen (wollen), wer realisiert dann? – würdig von allen mit Anerkennung und Hochachtung geschätzt? Wenn ich nach allem was die Nachrichten bieten, studierende Jungpolitiker den Ton mit angeben höre, auch Wirtschaftsgelehrte, die Zwiebel aus Neuseeland nicht stutzig machen….., die selbst zeitnah effizientes Realisieren und Kooperieren langfristig sachlich und menschlich nicht erfahren haben, weil sie das nicht wollen, dabei zu früh beginnen (andere geringschätzen) in verschiedensten Positionen Kapitän in Kajüten spielen, die am Bildschirm auf Crashs re/agieren, dann gute Nacht, Concordia; dafür gibt´s dann Licht ins Dunkel? Allen Arbeitern zuhören, kann eine Menge Mittel freisetzen, und neue Wege öffnen. Was wenn Zukünftige, die uns einmal leiten, etwas anderes lernen als wir, z.B. dass sich im Leben, wie oben so unten, das Fraktal in allen Größen ähnelt. Wenn wir unser Denken an der Basis ändern, kann sich auch oben etwas ändern.
    (für den Planeten gibt es kein Unten und kein Oben)

  3. Wenn man nur das postet, was ohnehin öffentlich werden soll, wie Termine, Aufrufe, News etc., sehe ich keine Gefahr, oder? Dazu braucht man auch keine persönlichen FB-Konten.

    Dass gerade bei Petitionen weniger mehr ist, betont die Albert Schweitzer Stiftung auch schon seit eriner Weile – und die wissen wohl wovon sie reden. Aber mit wise use sind Mailaktionen, Petitionen etc. dennoch eine gute Möglichkeit, DInge zu bewegen, die sonst unverrückbar blieben.

    Die Reizüberflutung ist überall, nicht nur in den Social Media. Plakate auf den Straßen hochzuhalten ist sicher *noch* wirkungsvoller als Bilder bei Facebook – aber nach wie vielen Stunden tut Dir der Arm weh, oder Du musst wieder ins Büro?

    Die Bilder jedoch bleiben. In den Köpfen der Passanten und auf Facebook. Und ihre Macht ist nicht zu unterschätzen. Dabei haben die Bilder auf der Straße den Vorteil, dass jede/r sie sieht, auch der/die, der/die niemals die Seiten von Peta oder VGT besucht.

    Zielgerichtet und bewußt eingesetzt, scheinen mir die neuen Medien Möglichkeiten zu bieten, die wir gerade erst anfangen wirklich zu nutzen. Dort gibt es wohl noch viel Entwicklungspotenzial. Oder?

  4. ich persönlich hab virtuelle Proteste aufgegeben weil mich die schiere Flut davon auf social media überwältigt. man könnte jeden Tag 20 Petitionen unterschreiben. irgendwann verliert man den Glauben an deren Wirksamkeit. Weil man ja auch bei den meisten nie wieder hört was daraus geworden ist. Auch die erdrückende Fülle an grausigen Bildern stumpft mit der Zeit ab. Ich finde es eher kontraproduktiv wenn Leute täglich Tierquälerei-Bilder posten. Man darf nicht vergessen: je mehr man mit etwas grausamen überflutet wird umso alltäglicher und unbedeutender wird es und der Schockeffekt, der zum Nachdenken bewegt, bleibt dann aus. Bei social media ist es dann sehr einfach die Person die einen mit den schlimmen Bildern wachrütteln will zu entsorgen: ein Mausclick und die postings werden nicht mehr angezeigt, und das Thema ist erfolgreich verdrängt. Darum: weniger ist vielleicht mehr!

  5. Wir sollten nicht vergessen welch willkommene Ausforschungsnetzwerke diese “sozialen Medien” auch sind. Totale Überwachung. Für wirklich kontroversielle politische Bewegungen sind diese Medien damit kein Potential, sondern eine echte Gefahr…

  6. Möglich, dass manche nun lieber klicken statt kommen. Aber andere kommen erst, weil sie über von Facebook etc. von der Aktion gelesen haben. Hält sich nicht die Zahl derer, die nun bequemer werden und zuhause bleiben, und die derer, die nun erst dank Facebook auf die Straße kommen, vielleicht die Waage? Vor allem angesichts der Tatsache, dass zumindest in Deutschland die Zeiten, in denen wir massenhaft vor irgendwelchen Atomkraftwerken im Wendland und so gelagert haben (ich auch) lange vorbei sind (außer neulich in Stuttgart). Demonstrieren ist uncool geworden – das ist in eher ein Grund für einen allfälligen Rückgang, eher jedenfalls als die Ersetzung durch die neuen Medien.

    Ich vermute auch, dass viele, die nun “nur” liken oder Petitionen unterschreiben oder mailen, dies nun nicht *statt* der Aktionen auf der Straße machen, sondern mit den Mitteln der schönen neuen Welt erstmals aktiv werden. Und vielleicht gehen sie dann ja sogar irgendwann vom Schreibtisch weg auf die Straße, angelockt von Facebook & Co … dafür kenne ich Beispiele. Viele, deren Meinung vorher im privaten Kreis blieb, werden nun erstmals öffentlich hörbar. Politiker aller Parteien lernen gerade, dies nicht zu überhören. Dass manche beratungsresistenter sind als andere, spricht nicht dagegen. Hätten denn all die, die der ÖVP gemailt haben, ihr sonst ein Brieflein geschickt? oder hätten Herrn Spindelegger in personam aufgelauert? Wohl kaum. Das geht nun mal nicht in der Mittagspause.

    Zudem potenziert Facebook die Aufmerksamkeit einer Demonstration, bei der im real life nur ein paar müde PassantInnen vorbeigehen, auf etliche hundert, noch bevor die Aktiven aus den Kostümen geschlüpft oder die Transparente niedergelegt haben. Kommt (mal wieder) keine Presse, ist es doch wenigstens auf Facebook. Und die Bilder bleiben.

    Eine weitere – neue – Möglichkeit ist die Vernetzung verschiedener Gruppen, die so leichter geworden ist. Mitglieder und Sympathisanten verschiedener Gruppen und Organisationen erfahren nun leichter von den Aktivitäten der anderen und nicht nur der eigenen Gruppe, können sich engagieren und mitdemonstrieren und -helfen, wann immer sie Zeit haben dazuzukommen, nicht nur bei ihren eigenen Buddies. Auch dies ein nicht zu vernachlässigender positiver Effekt.

    Der von Dir kritisierte Fun-Faktor scheint mir von der Frage der Medialität getrennt zu betrachten zu sein. Ohne das rational begründen zu können, stehe ich auch lieber mit einem Protestplakat als mit einem veganen Rezeptheft in der Fußgängerzone – aber das ist letzten Endes eine Stilfrage, und manche Passanten, die sich von den grausigen Bildern der einen Kampagne abgestoßen fühlen und rasch vorbeigehen, bleiben vielleicht bei einer zurückhaltenderen Plakatierung stehen und nehmen gern Infos über tierleidfreie Ernährung mit. Wieviel jede Aktion letzten Endes bewirkt -? Ich finde, beide Formen gehören zusammen. Bilder von getöteten männlichen Eintagsküken lassen ratlos, suchen nach Alternativen – und ein Vegan Bake Sale kann sie bieten. Umgekehrt bleibt der Vegan Bake Sale ohne die Bilder der toten Küken und der gequälten Milchkühe eine reine Spaßaktion, deren Sinn sich nicht erschließt. Vegane Feste feiern das Leben, weil sie Lösungen zeigen.

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