Das Messerli-Institut in Wien veranstaltete am 7. November 2013 im Rahmen seines Mensch-Tier Seminars einen Vortrag von Christian Nawroth vom Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften der Martin Luther Universität Halle-Wittenberg über die Intelligenz von Schweinen. Ab April wird das Messerli-Institut eine Forschungsstelle am Haidlhof bei Bad Vöslau in NÖ mit 10 Hektar Freiland zu diesem Zweck eröffnen. Dabei geht es nicht um die Erforschung der bestmöglichen Haltungsform dieser Tiere, sodass ihre Nutzung in möglichst tiergerechter Form von statten gehen kann. Nein, bei dieser Forschung werden die Forschungssubjekte als intelligente Wesen gesehen, deren kognitive Fähigkeiten der Gegenstand der Forschung ist. Was wir von Primaten und Wildtieren kennen, wird jetzt nicht nur auf Hunde sondern auch auf Hausschweine angewandt. Die Konsequenzen könnten weitreichend sein. Denn Studien zeigen, dass die Einschätzung von Tieren als Nahrungsmittel von Menschen, also ihre „Essbarkeit“, nicht durch ihre Leidensfähigkeit, und wenig durch ihr niedliches Äußeres oder ihre soziale Bindungsfähigkeit an Menschen beschränkt wird, sondern hauptsächlich durch ihre Intelligenz. Umso intelligenter ein Tier wahrgenommen wird, umso eher wird es vom Speisezettel gestrichen. Kognitionsforschung also, die die Intelligenz der Schweine nachweist, hat demgemäß ein großes Veränderungspotenzial für die Nutzung dieser Tiere in der Gesellschaft.
Schweine wurden vom Menschen vor etwa 9000 Jahren domestiziert, erstmals gleichzeitig in Vorderasien und China, mit den Zielen Fleischlieferung und Trüffelsuche, aber auch als Hilfe bei der Jagd. Die Zucht zum Hausschwein begann aber erst vor 200 Jahren. Für die wertfreie Kognitionsforschung sind Schweine deshalb interessant, weil sie langlebige soziale Beziehungen eingehen und omnivore Nahrungsopportunisten sind.
Schweine können andere vorsätzlich täuschen. In Versuchen wurde einem subordinaten Schweine eine Futterquelle gezeigt. Als dieses dann zusammen mit einem dominanten Schwein in den entsprechenden Bereich gelassen wurde, entwickelte es verschiedene Strategien, um dem anderen Tier die Futterquelle zu verheimlichen, während es sich selbst daran gütlich tat. Dazu gehörte in die falsche Richtung zu gehen, solange es vom anderen Tier beobachtet wurde, und erst dann zuzuschlagen, wenn es außer Sichtweite war.
In einem weiteren faszinierenden Experiment bewiesen Schweine, dass sie Spiegel richtig benutzen können. Der Versuchsaufbau ermöglichte es den Probanden nur mittels adäquater Interpretation der Arbeitsweise eines Spiegels eine Futterquelle zu sehen und den raschesten Weg dorthin zu finden. Schweine, die Spiegel nicht kannten, suchten das Futter hinter diesem. Schweine dagegen, die schon vorher Spiegeln ausgesetzt waren und deren Reflexionseigenschaft kannten, gingen den kürzesten Weg, auch wenn dieser zunächst vom sichtbaren Futter wegführte. Ein einzelnes Schwein dagegen zeigte revolutionäres Potenzial und zerstörte die Versuchseinrichtung, um an das Futter zu gelangen. Wir bräuchten mehr Tiere dieser Art, um gegen Tierfabriken anzukommen!
Nawroth berichtete in seinem Vortrag von seinen eigenen Experimenten. Dabei wurde untersucht, ob Schweine die Zeigegesten von Menschen richtig interpretieren können. Wurde die Geste in der Höhe der Schweine ausgeführt, also nicht von stehenden Menschen, und lange genug, dann konnten sie 90% der Schweine verstehen. Bei der bloßen Körperzuwendung in eine Richtung lagen noch 75% der Tiere richtig, und beim Blick allein immer noch 65%. Schweine können also sogar die Gestik von Menschen interpretieren. Bei den Versuchen zeigte sich, dass Tiere bei impulsiver Reaktion oft falsch lagen, aber nahmen sie sich Zeit zum Abwägen, stieg die Erfolgsrate gegen 100%.
In einer weiteren Versuchsreihe zeigte die Forschergruppe um Nawroth den Schweinen umgedrehte Becher, wobei unter einem davon ein Leckerli lag. Wurden nun beide Becher kurz angehoben oder nur derjenige, unter dem das Leckerli lag, gingen die Schweine immer sofort zum richtigen Becher. Wurde allerdings nur derjenige Becher gehoben, unter dem kein Leckerli lag, sank die Erfolgsrate auf 70%. Ähnlich, wenn statt dem Anheben die Becher geschüttelt wurden, sodass die Schweine akustisch auf die Präsenz des Leckerlis schließen sollten. Dabei reagierten die Individuen dramatisch unterschiedlich. Manche Schweine konnten sowohl die akustische Information als auch das Fehlen des Leckerlis unter dem Becher sofort richtig deuten und steuerten immer jenen Becher an, unter dem es lag. Andere Schweine wiederum kamen auch nach vielen Versuchen nicht dahinter, wie vorzugehen war, um das Leckerli zu bekommen. Laut Nawroth sei das Ergebnis bei den Schweinen mit dem von Lemuren, also Primaten, unter einer ähnlichen Testsituation zu vergleichen.
Zusammenfassend stellte Nawroth fest, dass Schweine flexibel ihre Umwelt interpretieren und vergleichbar mit Hunden und sogar Primaten komplexe Probleme lösen können. Daher könne man ihnen, naturwissenschaftlich gesehen, einen komplexen Geist attestieren. Ein komplexer Geist benötige aber eine komplexe Lebensumwelt, und die werde Schweinen in der üblichen Haltung in Tierfabriken nicht geboten.
Dabei ist zu bedenken, dass die Schweine in diesen Experimenten eigentlich noch kleine, unerfahrene Kinder sind. Weil man in diesem Alter leichter mit ihnen umgehen kann, es kaum Forschungsinstitute gibt, die ihre Schweine viele Jahre halten können und die meisten Tiere daher aus der herkömmlichen Zucht stammen und weder älter sind, noch in ihrer Kindheit einer stimulierenden Umgebung ausgesetzt waren, greift man auf nur wenige Wochen alte Tiere zurück. Spannend wäre es, diese Experimente mit erwachsenen Schweinen zu wiederholen, die in einem festen Sozialgefüge leben und eine reiche Lebenserfahrung in einer komplexen Umwelt mitbringen. Dann erst würde sich zeigen, was für ein Intelligenzpotenzial in diesen Tieren steckt. Am neuen Forschungszentrum Haidlhof des Messerli-Instituts möchte man das in den nächsten Jahren ausprobieren. Wir dürfen gespannt sein.
Schweine sind uns Menschen biologisch sehr ähnlich. Angeblich stammen wir ja auch vom afrikanischen Erdferkel ab. 😉
Jamie Pringle von der Keele University sagt im Spiegel:
“Biologisch betrachtet seien sich Menschen und Schweine sehr ähnlich, sagt Pringle. Beide hätten ein vergleichbares Fett-Muskel-Verhältnis und eine vergleichbare Struktur der Haut. Allerdings würden Schweine schneller verwesen, weil sie sich gesünder ernährten, so Pringle. “Der Mensch isst zuviel Mist, das konserviert.””
http://de.paperblog.com/menschen-und-schweine-752647/
Ein sehr interessanter Artikel, der zum nachdenken anregt. Jedoch bezweifel ich, dass durch Erkenntnisse dieser Studie sich das Konsumverhalten der Bevölkerung stark ändern wird. Aber vielleicht irre ich mich auch jedoch wird das die Zukunft zeigen.
Gruß Phillipp
Ihr solltet einen automatischen Link zum Verteilen über Facebook hinzu fügen.
LG
Franz
@jantiff: und auch die Neugierde! :-)))
Wer Schweinen gegenüber keine Gefühle empfindet, hat sie vermutlich noch nie in artgerechter Haltung erlebt bzw beobachtet. Ich kann mir die Schlammrutsche lebhaft vorstellen.
Ich habe mal ein Interview mit einem Bauern gelesen, der Schweine in Freilandhaltung hielt und eines Tages eine Sau vermisste. Sie war wie vom Erdboden verschluckt. Mehrere Tage später tauchte sie wieder auf – mit einer Truppe Ferkel im Gefolge. Die Sau hatte sich unter einem Baumstumpf eine Höhle gegraben, diese gegen Einblicke von außen getarnt und dort ihre Babys zur Welt gebracht. Zum Kastenstand, der angeblich die Ferkel davor schützen soll, von ihrer Mutter erdrückt zu werden, braucht man da wohl kein weiteres Wort verlieren.
Auf youtube gibt es ein Video, dass zeigt, wie Schweine ein verschlammtes Areal einer stark abschüssigen, vom Regen durchweichten Wiese gezielt als Rutschbahn nutzen, laut quiekend vorwärts, rückwärts, übereinanderpurzelnd hinunterrutschen, dann neben der Rutschbahn wieder nach oben rennen, sich wieder anstellen, bis sie an der Reihe sind … und wieder runterrutschen.
Schweine zeigen eindeutig ein (Spiel-)Verhalten und eine Intelligenz, das vom Niveau her mit dem menschlicher Kleinkinder vergleichbar ist.
Danke für diesen Bericht, die Studie und die Forschung waren mir nicht bekannt. Auch wie Mensch und Schwein über Jahrtausende miteinander lebten wusste ich nicht.
Das Plakat beim Bauernbund-Posting als Kontrast dazu … bitter!