Frank Stronach dachte – zumindest kurzfristig und spontan – vor laufenden ORF-Kameras über die Wiedereinführung der Todesstrafe nach, siehe http://iptv.orf.at/stories/2197326/. Mehr amerikanisch als österreichisch geprägt, ist die Todesstrafe für ihn selbstverständlich, möglicherweise war ihm gar nicht bewusst, dass es sie in Österreich und der EU schon längst nicht mehr gibt (siehe https://martinballuch.com/?p=2651). Zu meiner großen Freude reagierte sogar die FPÖ ablehnend auf seine These und auch Stronach begann – nach Rücksprache mit seiner Partei – mit dem Zurückrudern.
Man kann an der Menschheit verzweifeln, angesichts nicht enden wollender Kriege, Massenfleischkonsum und der offensichtlichen Unfähigkeit, eine Demokratie zu leben. Doch dennoch gibt es klare Fortschritte. Die globale Ächtung von Sklaverei und rassistischer Apartheid ist ein solcher, und die Abschaffung der Todesstrafe in Europa ein anderer. Die Entwicklung scheint irreversibel, irgendwann wird sie die ganze Welt umfassen. Oder ist das nur ein Wunschtraum?
Eine düstere Kindheitserinnerung. Wir waren bei den Großeltern in Kärnten. Irgendjemand muss einen brutalen Mord begangen haben, Einzelheiten sind mir nicht erinnerlich. Die moralische Empörung im Volk war groß. Ich fuhr mit meiner Familie im Auto bei Völkermarkt vorbei. Am Drauufer ein Auflauf, wir müssen stehenbleiben. In der Menschenmenge steht ein Galgen. Mein Vater sagt mir, dass diese Menschen fordern, dass der Täter erhängt werden soll. Mir graut. Mir graut vor der Gewalt dieser Menschen, vor ihrer Bedrohlichkeit. Bis heute packt mich die Angst, wenn ich an diese Szene denke. Ein Alptraum.
Ende der 1980er Jahre fällt mir ein Buch von Jan Arriens in die Hände. Es handelt von seinen Briefkontakten mit Menschen in den Todeszellen der USA. Selten habe ich so geweint, wie beim Lesen dieser Zeilen. Mein Engagement für Tierschutz hat dieselbe Basis: nichts berührt mich so sehr, wie die Hilflosigkeit von Lebewesen, die auf ihren Tod warten müssen, in den Händen übermächtiger GegnerInnen. Spontan schloss ich mich Jan Arriens Verein „Lifelines“ www.lifelines-uk.org.uk an und begann einen Briefkontakt mit einem Mann in der Todeszelle von Pennsylvania. 8 Jahre lang schrieben wir uns regelmäßig. Seinen Angaben nach war er zum Tode verurteilt worden, weil er beim Autostoppen mehrmals die Fahrer, die ihn netterweise mitgenommen hatten, getötet und ausgeraubt haben soll. Ein schreckliches Verbrechen, ohne Frage. Doch das Böse, das mit der Todesstrafe getilgt werden soll, gibt es nicht. Rache ist selbst ein Verbrechen. Zu ändern ist ein System, das Menschen den Zugang zu Waffen für solche Bluttaten erleichtert, das Gewalt verherrlicht und trivialisiert, und dessen soziales Netz versagt, um eine Geldnot zu verhindern, die Menschen zu solchen Handlungen treibt. Für meinen Brieffreund war die Drohung mit der Todesstrafe schlicht und einfach eine Folter, die ihn dazu brachte, einen Deal einzugehen: er bekennt sich schuldig und verteidigt sich nicht, dafür wird die Todesstrafe in eine lebenslange Haftstrafe ohne die Möglichkeit, je entlassen zu werden, umgewandelt. Durch die psychische Folter mit Exekutionsterminen und den grausigen damit verbundenen Ritualen konnte man diesen Mann dazu zwingen, seine juristische Verteidigung aufzugeben und sich schuldig zu bekennen, ohne sich schuldig zu fühlen, zumindest im Sinne der Anklage.
Ist die Todesstrafe bei uns wirklich überwunden? Letztes Jahr brachte der Tiroler ÖVP-Wirtschaftskammerpräsident Jürgen Bodenseer die Wiedereinführung der Todesstrafe ins Gespräch. In der Tageszeitung „Heute“ gab es dazu im April 2012 eine Umfrage, die allerdings überhaupt nicht wissenschaftlich abgesichert und repräsentativ war. Das Ergebnis:
Für 37,2% ist die Todesstrafe eine Sache der Vergangenheit. Für 21,3% ist sie zwar abgeschafft, das Thema aber noch nicht abgeschlossen. Und traurige 41,5% wollen sie wieder einführen, sogar für Kindesmissbrauch. Ist das eine durchdachte Reaktion? Hieße das, Kardinal Hans-Hermann Groer z.B. hätte hingerichtet werden sollen? Mit welcher Technik? Strang? Erschießungskommando? Oder experimentieren wir jetzt mit Giftspritze und elektrischem Stuhl?
Nein, das Thema Todesstrafe ist abgehakt, überwunden. Darüber kann es keine Diskussion mehr geben.
Gewaltmonopol des Staates bedeutet nicht, dass Rache abgeschafft wird. Es bedeutet die Regierung legt fest, wie die Rache auszusehen hat und wer sie vollstrecken darf. Jede Strafe ist im Prizip Rache. Auch manche Tiere rächen sich wenn sie können. Lebensrechte, oder sonstige Rechte sind Erfindungen der (rel.) Philosophen. Real existieren sie nicht. Das sind nur Abkommen zwischen den Menschen und diese Abkommen sind zeitlich begrenzt.
Menschenrechte gelten absolut, das ist ihre Basis. Die Notwehr kann nur so weit gehen, bis die unmittelbare Gefahr beseitigt ist. Alles weitere ist Rache.
Das Lebensrecht von Menschen (und anderen Tieren) hängt nicht davon ab, wie nützlich man für den Rest der Gesellschaft ist, oder ob der Rest einen wertschätzt.
Eigentlich basiert die Todesstrafe auf Rache und die wiederum auf dem alttestamentarischen Prinzip von Aug um Aug und Zahn um Zahn. Deswegen erstaunt es dann noch mehr, wenn kein Mord sondern schon ein Missbrauch ohne Todesfolge zur tödlichen Rache führen soll. Das geht jedenfalls deutlich über gängige Todesstrafengesetze hinaus.
Fast alle von uns sind als FleischesserInnen aufgewachsen. Haben wir da nicht auch gemordet? Dürfte sich dann jemand an uns rächen? Was hätte die Menschheit für ein Lebensrecht, wenn man dieses an der Nützlichkeit für den Planeten und für andere Tiere messen würde?
“sogar für Kindesmissbrauch” klingt ein wenig verharmlosend sorry….
Jeder darf das Thema sehen wie er möchte jedoch gibt es so einige die in der Vergangenheit gezeigt haben das die Welt auf sie verzichten kann und sie nur weiterhin eine Gefahr darstellen… also so abwegig finde ich den Gedanken nicht aber das ist eben nur “meine” Meinung.
Lissabonner Verträge! Brave new world.