3. Dezember 2024

Kanada kriminalisiert Tierschutzaktivismus: Excelsior 4

Der Zivile Ungehorsam als eine in Demokratien anerkannte Widerstandsform hat eine lange Tradition. Berühmt sind Mahatma Gandhi und Martin Luther King, die Zivilen Ungehorsam im Rahmen ihrer Bürgerrechts-Kampagnen massiv genutzt haben. In den Berichten haben wir mit ihnen mitgelitten, als sie geprügelt wurden und ein Ziel der jeweiligen Geheimdienste und politischen Polizei waren. Und die westlichen Staaten haben daraus gelernt. Ziviler Ungehorsam, wie eine Blockade- oder Besetzungsaktion, ist zwar nicht legal, aber er darf nicht zu Gefängnis führen. Er ist ein demokratiepolitisch legitimes Mittel, wie ich in meinem Buch “Widerstand in der Demokratie” ausführlich dargelegt habe, und deshalb in Österreich nur ein Verwaltungsstrafdelikt.

Doch beim Tierschutz und beim Umweltschutz werden an sich demokratische Staaten plötzlich autoritär. Wir kennen das aus Österreich, mit dem Tierschutzprozess (siehe https://tierschutzprozess.at), oder auch mit dem beständigen Versuch von ÖVP und FPÖ, das Filmen in Tierfabriken und Besetzungsaktionen mit 1 Jahr Gefängnis zu ahnden. In Kanada ist offensichtlich so ein Gesetz eingeführt worden, das sich explizit gegen politischen Aktivismus richtet. Es war die Reaktion des Staates auf Aktionen von Umweltaktivist:innen, die verzweifelt versucht hatten, den Kahlschlag an uralten Urwaldbeständen zu verhindern.

An sich ist die Besetzung einer Tierfabrik in Österreich wie anderswo einfach nur eine Besitzstörung, also eine Sache für das Zivilrecht zwischen zwei Personen. Die staatlichen Strafgerichte sollte das gar nichts angehen. Beim verdeckten Filmen in Tierfabriken ist es ähnlich. Doch in Kanada gibt es nun seit einiger das Strafdelikt “Criminal Mischief”. Es kommt dann zur Anwendung, wenn jemand Besitzstörung begeht und dabei eine legale Tätigkeit der Grundeigentümer:innen behindert. Mischief ist also wenn z.B. jemand ein privates Stück Urwald besetzt und die Rodungsmaschinen daran hindert, die Bäume zu fällen. Man kann in Kanada dafür bis zu 10 Jahre Haft bekommen.

Im Frühjahr 2019 hatten unbekannte Personen in der Nacht eine große Schweinefabrik in British Columbia, Kanada, mit Namen Excelsior Hog Farm heimlich gefilmt und das Filmmaterial an PETA weitergegeben. Die Tierrechtsorganisation veröffentlichte die Dokumente. Die Zustände waren, wie so oft in solchen Betrieben, katastrophal. Man sah Mutterschweine im Kastenstand, große eitrige Wunden, tote Ferkel und überall Kot. Das motivierte einige Tierschützer:innen, eine große “Meat the victims” Aktion zu planen. Am 28. April 2019 trafen sich 200 Aktivist:innen in den frühen Morgenstunden bei der Farm und während 150 vor der Türe auf öffentlicher Straße blieben und eine Demo abhielten, drangen 50 in die Schweinefabrik ein und begannen alles per livestream zu filmen und auf ihren Sozialen Medien Kanälen zu zeigen.

Excelsior Hog Farm, British Columbia, Kanada

Es kam zu einigen Gewaltaktionen der Farmer:innen, obwohl die Polizei sehr bald anwesend war. Die Aktivist:innen forderten, dass unabhängige TV-Stationen in der Farm filmen dürfen, dann würden sie gehen. Nach 8 Stunden Verhandlungen wurde dieser Deal vereinbart und die Aktivist:innen gingen nach Hause, ohne auch nur den geringsten Schaden angerichtet zu haben. Sie hatten sich auch nicht gegen die Gewalt seitens der Landwirt:innen gewehrt oder sich provokant verhalten. Alle gaben der Polizei gegenüber ihre Identität bekannt.

Besetzungsaktion “Meat the victims” am 28. April 2019

In der Folge begann die kanadische Polizei ein großes Ermittlungsverfahren. Zwar gab es keine Hausdurchsuchungen, aber das Handy der augenscheinlichen Organisatorin der Aktion, Amy Soranno, wurde ausgewertet. Und dort befand sich Evidenz dafür, dass sie die Aktion geplant hatte, und dass sie potenziell auch in der Schweinefabrik gefilmt hatte. Mit ihr wurden 3 andere Personen, Nick Schafer, Roy Sasano und Geoff Regier verdächtigt und letztlich angeklagt – die Excelsior 4.

Doch wenig später wurde erneut Videomaterial aus dieser Schweinefabrik veröffentlicht, diesmal aus versteckten Kameras, die in der Farm heimlich angebracht worden waren. Die Aufnahmen zeigten strafrechtlich relevante Tierquälerei, Schweine wurden mit Elektroschocks getrieben, einigen Tieren wurde ins Gesicht geschlagen und die Ferkel kastrierten die Farmarbeiter:innen ohne jede Schmerzausschaltung. Das Material wurde der SPCA-BC übergeben, einer privaten Tierschutzorganisation, die aber in Kanada die Aufgabe übertragen bekommen hat, Fälle von Tierquälerei aufzubereiten und vor Gericht zu bringen. Als die SPCA-BC sagte, sie könne diesen Fall nicht verfolgen, ohne zu wissen, wer das gefilmt hat, meldete sich Geoff Regier und sagte, er habe die Kameras montiert. Doch statt die Tierquäler:innen anzuklagen, meldete die SPCA-BC Geoff Regier der Staatsanwaltschaft.

Alle Videos von Excelsior Hog Farm und der Besetzung: https://excelsior4.org/videos

Der Vorwurf gegen die Excelsior 4 war “Break and Entry” für das heimliche Filmen und “Mischief” für die Besetzungsaktion. Gegen Geoff Regier wurde die Anklage zurückgezogen, weil er einerseits bei der Besetzungsaktion nur vor der Tür gestanden war, und andererseits weil es einen rechtlichen Schutz für Whistleblower bei Tierquälerei in Kanada gibt. Die anderen drei (siehe Foto ganz oben) wurden vor Gericht gestellt. Bemerkenswert, übrigens, dass die anderen 47, die ebenfalls in der Schweinefabrik mitbesetzt haben, nicht verfolgt wurden, obwohl der Polizei ihre Namen bekannt sind. Wie beim Tierschutzprozess in Österreich hat man sich willkürlich einige Personen als Angeklagte heraus gepickt, man hätte aber alle anklagen können. Vor dem Gesetz sind doch nicht alle gleich.

Im Verfahren verhinderte das Gericht, dass Aufnahmen aus der Schweinefabrik gezeigt werden, oder dass überhaupt den Geschworenen von der Verteidigung erklärt werden könnte, warum die Angeklagten die Aktion durchgeführt haben. Umgekehrt konnte der Betreiber der Schweinefabrik als Zeuge darlegen, dass in seinen Augen keinerlei Übertretungen von Tierschutzbestimmungen stattgefunden hätten, dabei wäre das Gegenteil beweisbar gewesen, hätten die Videos gezeigt werden dürfen. Es ist ja nicht Mischief, wenn die Aktion illegale Praktiken verhindert hätte.

Am 9. Juli 2022 fällten die Geschworenen nach 10 stündiger Beratung das Urteil. Roy Sasano wurde freigesprochen, weil Filmmaterial zeigte, dass er die Farm erst betreten hatte, nachdem er von der Polizei dazu aufgefordert worden war. Amy Soranno und Nick Schafer dagegen wurden wegen Mischief und Break and Entry strafrechtlich verurteilt. Die Begründung: durch die Besetzung sei die Besamung der weiblichen Schweine zeitlich verzögert worden, insbesondere hätten sie nicht durch Vorbeiführen eines Ebers sexuell stimuliert werden können. Die Strafhöhe wird, wie in amerikanischen Gerichtsverfahren üblich, in einem eigenen Prozess am 26. August 2022 festgelegt. Grundsätzlich sind jeweils bis zu 10 Jahre Haft möglich.

Ich habe die drei in einem Tierrechtsradio-Podcast interviewt: https://vgt.at/projekte/tierrechtsradio/sendungen.php?i=567741#sendung

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