Bis in die 1990er Jahre war die politische Polizei, der sogenannte Verfassungsschutz bzw. die Ämter für Terrorimusbekämpfung, für mich kein Thema. Warum auch? Mein Ziel war einerseits, die Menschen zu erreichen und für das Schicksal der Tiere zu sensibilisieren, und andererseits, Firmen und Regierungen dazu zu bringen, eine tierfreundlichere Politik zu betreiben. Dass das nichts mit Terrorismus oder einer Gefährdung des Staatswesens bzw. der Verfassung zu tun haben kann, schien mir evident. Man könnte mich damals auch als naiv bezeichnen.
In jedem Fall waren unsere Aktionen – eine Dachbesetzung einer Pelzfarm hier, eine Blockade eines Tiertransporters dort – im Großen gesehen völlig harmlos. Tatsächlich war ich mir noch Mitte der 1990er Jahre völlig sicher, mit meinen Tierschutzanliegen immer eine Minderheit zu bleiben und in meinem Leben z.B. niemals ein Legebatterieverbot erleben zu können. Insbesondere an letzteren Gedanken kann ich mich noch sehr deutlich erinnern. Wir kamen uns also nicht gesellschaftsverändernd vor, eher ignoriert oder belächelt.
Dann machte mich 1998 irgendjemand darauf aufmerksam, dass Tierschutz im Verfassungsschutzbericht von 1997 erwähnt wurde. Das ist eine jährlich erscheinende Zusammenfassung der Anzeigen und Bedrohungsszenarien für Demokratie und Rechtsstaat in Österreich, von der politischen Polizei mit über die Jahre wechselnden Namen verfasst, momentan unter Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) firmierend. Und, tatsächlich, es gab ein Kapitel „Militanter Tierschutz“. Darin wurde u.a. von einer Gruppe geschrieben, die sich „Kommando Konrad Lorenz“ nannte und Gänse befreit hatte. Auf Indymedia wurde das mit „politische Brustschwimmer“ kommentiert oder als „rechts“ verworfen. Ich allerdings war, um ehrlich zu sein, erfreut. Hatte sich doch tatsächlich irgendwer gefunden, der derartige Aktionen zur Rettung von Tieren durchführt und dabei einiges riskiert. Warum so ein Aktionismus allerdings als Gefährdung der Verfassung gesehen wurde, leuchtete mir damals wie heute nicht ein. Doch die Implikationen dieser perfiden Strategie der Zuweisung sollte ich 10 Jahre später realisieren.
Jahr für Jahr hatte der Verfassungsschutzbericht wieder von einzelnen solcher Aktionen zu erzählen, im Jahr 2005 gab es allerdings keine einzige. Stattdessen wurde der VGT explizit als militante Organisation genannt und seit damals enthielt der Bericht mehr oder weniger genau eine Zusammenfassung der Aktionen von uns, inklusive Tierrechtskongress, Tierrechtsradiosendung und Aktivismusworkshops. Natürlich blieb das unserem politischen Gegner nicht verborgen, der nun einfach nur auf diesen Bericht verweisen musste, um sozusagen hochoffiziell den VGT als extremistisch und gewalttätig bezeichnen zu können. Spätestens jetzt wurde klar, dass sich dieses Tierschutzkapitel im Verfassungsschutzbericht zu einem Problem entwickelte. Gleichzeitig wurde die ständige Überwachung unserer Demos durch zivile PolizistInnen mit langen Teleobjektiven oder auf Stangen montierten Videokameras unübersehbar.
Nach Anzeigen und viel Medientamtam erreichten wir, dass der VGT im Bericht keine explizite Erwähnung fand, es gab ihn ein Jahr noch im Index und dann überhaupt nicht mehr. Doch unsere Aktionen und Veranstaltungen blieben die Essenz des Berichts, die Überwachung war unverändert präsent.
In der Tierschutzcausa hatte die SOKO den Begriff „Doppelstrategie“ geprägt und die Bezeichnung „Militante Tierrechtsgruppen“ als Namen für ihre imaginierte kriminelle Organisation eingeführt. Beides fand Eingang in den Jargon des BVT. Flugs änderte auch das Kapitel im Verfassungsschutzbericht seinen Namen entsprechend. War es vorher noch der „Militante Tierschutz“, kam die Bedrohung nun von „Militanten Tierrechtsgruppen“ (MTG), siehe Bericht für 2007 am Bild oben. Mangels irgendwelcher krimineller Handlungen allerdings wurden unsere Verwaltungsübertretungen aufgelistet, darunter einmal Falschparken. Strafrechtlich wurden die Herabwürdigung religiöser Lehren (Demo mit Kreuz) und Widerstand gegen die Staatsgewalt (Zuhalten einer Tür bei einer Besetzung) angeführt, nur Lappalien. Ich erstattete regelmäßig Anzeigen wegen Verleumdung, Übler Nachrede und Amtsmissbrauch und ging an die Öffentlichkeit. Das Innenministerium schwieg sich aus, wie in allen Fällen in Bezug zu uns. Nur 2007 hatte der damalige Innenminister und heutige Tiroler Landeshauptmann Günther Platter den VGT öffentlich als gewalttätige Organisation bezeichnet und sich dann hinter seiner Immunität verschanzt, um unserer Klage zu entgehen.
Jahr für Jahr kam derselbe Unsinn, manchmal wurde sogar ein Anstieg der Bedrohung durch den Tierschutz konstatiert. Bis, ja bis am 3. Juli 2015 der neue Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2014 erschien und plötzlich den Tierschutz nicht mehr erwähnte. Weiches Wasser höhlt den Stein. Ein großartiger Erfolg!
Oder doch nicht? Aus dem Visier der TerrorbekämpferInnen sind wir sicher nicht geraten, erinnern wir uns an die seltsamen Ermittlungen wegen Videokameras in Putenmasthallen. Und bei unseren Demos sieht man sie immer noch, die zivilen StaatsschützerInnen. Aber vermutlich ist den Verantwortlichen der Umstand letztlich doch zu peinlich geworden, Parkstrafen als Bedrohung der Verfassung aufzulisten. Ein spätes Anerkennen des absoluten Freispruchs im Tierschutzprozess für alle Angeklagte in allen Punkten. Auf jeden Fall positiv.
Für eine Geschichte meiner Kommentare zu diesem Thema siehe:
https://martinballuch.com/category/repression/verfassungsschutz/