Ein Mitglied des VGT sandte mir kürzlich die Ausgabe von April 2015 der Zeitschrift „geflügelprofi“ zu, Untertitel „für den modernen Geflügelbetrieb“. Darin nimmt Robert Wieser, selbst Putenmäster, als Obmann der Geflügelmastgenossenschaft und als Obmann der Zentralen Arbeitsgemeinschaft der Geflügelwirtschaft zu Fragen rund um die von uns verhinderte Besatzdichtenerhöhung bei Puten Stellung. Daraus ergeben sich interessante Perspektiven.
„Weil in Österreich der Tierschutz sehr stark ist“ war es der Geflügelindustrie nicht möglich, um die Hälfte mehr Puten in ihre Tierfabrikshallen zu stopfen! Ein Lob für uns, aber gleichzeitig eine erstaunlich enge Sicht auf die Realität. Was wären wir für eine Gesellschaft, wenn wir zu dieser Zeit, wenn Tierschutz immer wichtiger wird und überall Vegetarismus und Veganismus boomen, eine derartig massive Verschlechterung für Nutztiere zuließen, in einem ganz zentralen Tierschutzaspekt? Für mich wäre das der Rubikon gewesen, ein Überschreiten wäre einer Bankrotterklärung gleich gekommen, hätte meine gesamte Arbeit der letzten 30 Jahre in Frage gestellt.
Es stimmt schon, dass hohe Stückzahlen irritieren. Aber hier kommt wieder eines der Propagandamantra der Tierindustrie durch: weil in Österreich die Einheiten des tierindustriellen Komplexes kleiner seien, gäbe es ja kein Tierschutzproblem. Doch für die Tiere und ihr Wohlbefinden zählt in erster Linie ihre unmittelbare Umgebung, also die Intensität der Haltung, die Besatzdichte z.B., und die Reizarmut, die Luft, der Kot am Boden usw.
Bemerkenswert: die Putenindustrie gibt zu, sich nicht an die Gesetze gehalten zu haben. Und da diese Bestimmung bzgl. der Besatzdichten ja viel älter als 10 Jahre ist, haben sie sich offenbar noch nie an die Gesetze gehalten! Und das kommt von jenen Leuten, die ständig uns TierschützerInnen Gesetzesbrüche vorwerfen. Gleichzeitig muss die Effektivität der Kontrollen in Österreich in Frage gestellt werden. Hat hier die Politik wirklich wissentlich zugeschaut oder haben die AmtstierärztInnen einfach versagt – oder gab es am Ende keine Kontrollen? Die Kontrollverordnung zum österreichischen Bundestierschutzgesetz schreibt ja nur eine Kontrolle im Mittel alle 50 (!) Jahre pro Betrieb vor!
Aha, hier schließt sich der Kreis. Selbst nicht das Gesetz befolgen und zugeben, dass die Kontrolle versagt, aber wenn besorgte BürgerInnen diesen Umstand wahrnehmen und im Sinne der betroffenen Tiere Beweisfotos aufnehmen und Anzeigen legen, dann wird nach der Ordnungsmacht geschrien! Ohne solche Fotos hätten wir nicht nur nicht die Putenindustrie dazu gebracht, endlich das Gesetz einzuhalten, sondern auch die Politik nicht, die Besatzdichtenerhöhung im Namen der großen Mehrheit des Landes zu verhindern. Und wie reagieren die Verantwortlichen? Mit Verbotsgesetzen gegen das Fotografieren in Tierfabriken! Erstaunlich, dass sich diese Leute in den Spiegel schauen können!
Natürlich, die Fotos sind fingiert, die Puten schauen alle so erschreckt: Insbesondere auf den Aufnahmen der 24- Stunden Kameras, die versteckt ständig mitgefilmt haben. Dabei schrecken Puten in der Nacht gar nicht auf, weil erst diese Kameraaufnahmen bewiesen haben, dass man in der Putenindustrie einfach die ganze Nacht das volle Flutlicht brennen lasst und so jeden Schlaf der Tiere verhindert. Das ist auch so eine flächendeckende Gesetzesübertretung, die man einfach stillschweigend begeht, weil – es san ja nur Viecha!
Typisch Österreich. Es war schon immer so, dass von den Mächtigen gemauschelt wurde, die Bevölkerung soll dann gefälligst akzeptieren und still hinnehmen, was befohlen wird. Gerade im Bereich der Länderpolitik ist diese Einstellung noch besonders verbreitet. Wenn dann jemand aufsteht und laut Kritik übt, dann soll der sofort aus dem politischen Dialog ausgeschlossen werden. Wo kämen wir denn da hin, wenn wir solche KritikerInnen auch noch in die Politik einbeziehen? Die Botschaft: sei still und angepasst, dann lassen wir dich in den Gremien sitzen – ohne echte Mitsprache natürlich – und letztlich an die Futtertröge der Fördertöpfe heran, dann kriegst du vielleicht sogar einmal das Verdienstkreuz der Republik. Bist du aber laut und widerspenstig, dann streichen wir Tierschutz von der Liste jener Anliegen, für die Spenden von der Steuer absetzbar sind, schicken dir ständig FinanzprüferInnen und bekämpfen dich zuletzt sogar mit einer Sonderkommission.
Diese Zukunftsvision könnte ein Anzeichen dafür sein, dass die Geflügelindustrie endlich ihre Versuche aufgibt, die Haltungsbedingungen zu verschlechtern. Seit 2004, also seit nun über 10 Jahren, wurde mit ständig neuen Anläufen versucht, insbesondere die Besatzdichten zu erhöhen, aber auch die Auslauffläche zu verringern. Manchmal war es schon ziemlich knapp, einmal gab es bereits eine entsprechende Verordnung in der Begutachtung. Doch unsere Kampagnenarbeit hat sich ausgezahlt, die Verschlechterung wurde verhindert, weil in Österreich zum Glück „der Tierschutz sehr stark ist“, d.h. die Bevölkerung ihm einen hohen Stellenwert gibt. Wir wären bereit, wie beim Verbot der Legebatterien, auch beim Geflügelfleisch zu helfen, jeden Billigimport zu verhindern. Allerdings nur, wenn die Haltungsbedingungen in Österreich wirklich besser sind als anderswo. Und dafür würde es noch einiger Schritte bedürfen, z.B. muss das Schnabelkürzen beendet werden.