5. November 2024

Mit dem Hund auf Du und Du

Meiner Erfahrung nach ist das Zusammenleben mit einem Hund in der Wildnis auf gleicher Augenhöhe mit nichts zu vergleichen. In der Stadt bestimmt immer der Mensch, wann wohin gegangen wird, wann es was zu essen gibt und überhaupt, was den Tag über geschehen wird. Es erscheint einem dann fast unmöglich, ein egalitäres Verhältnis zu einem Hund haben zu können.

Ganz anders in der Wildnis. Dort ist der Hund immer frei, das zu tun und dorthin zu gehen, was bzw. wohin er will. Er findet sich sein Essen selbst, er streunt, wann er will, er kann zurück oder vorlaufen, und sogar die Marschrichtung bestimmen bzw. den besten Weg durch das Moor oder die Felsen finden. Dabei gehen wir natürlich weglos, ohne Hütten und ohne zivilisatorische Infrastruktur.

Meinem Eindruck nach wird ein Hund zu einem ganz anderen Wesen, wenn er ohne Leine lebt. Mit Leine gibt er seine Verantwortung ab, ohne Leine wird er zu einem selbstbestimmten Individuum, das nachdenkt, bevor es die Straße überquert, eine Felswand abklettert oder ein anderes Tier scharf anbellt. Argumentieren manche Menschen noch, dass in der Stadt trotz allem aus Sicherheitsgründen eine Leine angelegt werden müsse, so kann das einfach nicht mehr in der Wildnis gelten. In den letzten Wochen waren mein Hund und ich oft tagelang unterwegs, ohne irgendein Wirbeltier auch nur zu sehen. Könnte wirklich jemand wollen, dass ich ihn da die gesamte Zeit, 24 Stunden pro Tag, an der Leine führe? Also beim Tragen meines 30 kg schweren Rucksacks, beim Kochen unseres Essens, beim Schlafen im offenen Zelt – immer bleibt der Hund an der Leine? Gesetzlich ist es vorgeschrieben, aber das ist in meinen Augen ein Gesetz, das man eigentlich nur brechen kann. Meine Erfahrung ist, dass es praktisch unmöglich wäre, den Hund bei Wildniswanderungen mit Zelt ununterbrochen an der Leine zu halten.

In Österreich ist es übrigens auch verboten, in den Bergen – abseits von Campingplätzen – zu zelten. Das ist eine der Konsequenzen davon, dass wir im 19. Jahrhundert die Wegefreiheit in der Natur verloren haben. Würde ich also gesetzeskonform Wildniswanderungen durchführen, dann müsste ich jede Nacht zu einer Hütte pilgern oder die gesamte Zeit in der Dunkelheit hindurch weitergehen. Verboten ist nämlich nach §33 Forstgesetz, „im Dunkeln zu lagern“, also auch vermutlich zu rasten. Dieses Zeltverbot in der Wildnis ist damit, wie die unbedingte Leinenpflicht immer und überall, ein weiteres Gesetz, das man nur brechen kann. Das gilt zumindest für meinen Hund und mich, wenn wir beide geistig gesund bleiben wollen.

Ich möchte damit noch allen ans Herz legen, wenn nicht ihnen selbst, dann ihren Hunden zuliebe, immer wieder oder wenigstens einmal in die Wildnis zu gehen, um mit der eigenen Natur und mit der Persönlichkeit des Hundes in direkten, unverfälschten Kontakt zu treten. Bei allen Mühen zahlt es sich wirklich aus!

10 Gedanken zu “Mit dem Hund auf Du und Du

  1. Ich schließe mich inhaltlich an, jedoch möchte ich hinzufügen, dass es manchmal auch außerhalb von Städten zum Schutz des Hundes erforderlich sein kann diesen an die Leine zu nehmen.
    Mein Hund ist vor einer Woche an einem Giftköder verstorben, den er 10km entfernt vom nächstgelegenen Dorf in den Bergen nahe Kalamata, Griechenland auf einem von Förstern und Feuerwehr genutzten Plateau gefunden hat.
    Laut aussage der Förster werden diese Köder dort jedes Jahr von Viehzüchtern ausgelegt um die Hunde der Jäger zu töten, weil diese immer wieder ihre Ziegenherden aufscheuchen, bzw. die Jagd durch Athener Jäger als Diebstahl gesehen wird, zumal die Wildtiere als Eigentum der lokalen Jäger angesehen werden. Es ist wirklich absurd traurig und erschütternd was dort passiert.

    Das hat mit der Wildnis auf den Bildern natürlich nichts zu tun, trotzdem rate ich in Griechenland, Spanien und anderen Mittelmeerländern zu Vorsicht wenn man seinen Hund ohne Leine laufen lässt. Auch außerhalb von Städten.

  2. Das Problem ist nur, dass es dafür inzwischen zu viele Menschen (und wahrscheinlich auch zu viele Hunde) und zu wenig Wildnis auf der Welt gibt, oder?

    Letzten Endes bleibt die traurige Erkenntnis, wie sehr unsre verstädterte Existenz nicht nur für “Haus”tiere, sondern auch die Menschen Entfremdung von sich selbst bedeutet – wenn man erst in der Wildnis zu sich selber finden kann.

    Aber die heilenden Kräfte der Wildnis halten ja nicht lange vor, mit der Zivilisation haben uns auch die Zivilisationskrankheiten wieder, und wahrscheinlich bleiben die Gelsenstiche das langlebigste Souvenir vom Rendez-vous mit sich selber.

    Der Besuch beim wahren Selbst (des Hundes und des Menschen) bleibt also eine Stippvisite, meist gezwungenermaßen – wohl dem (in dem Fall also Euch, wie ich hoffe), der/die aus dieser Begegnung auch genug Sonne und Wärme, Licht und Kraft aus der Wildnis mit in den Alltag im immergrauen Wien importieren kann.

    Und natürlich Eure schönen Fotos, zum Neid von uns Daheimgebliebenen …

  3. wow,das sind wirklich wunderschöne bilder!es ist schön einen glücklichen hund mit seinem besitzer so frei in so toller landschaft zu sehen:)

  4. Ich bin völlig der gleichen Meinung. Diese Gesetze sind einfach nicht nachvollziehbar. Auch ich breche regelmäßig diese Gesetze und werde dies auch weiterhin tun. Ich wünsche Ihnen weiterhin die Kraft und den Mut diesen Weg zu gehen.
    Liebe Grüße
    Victoria M.

  5. Hi Martin, wunderschöne Bilder zu einem so wahren Text! Auf dass Du noch viele schöne Stunden mit Deinem Hund in der Wildnis verbringen kannst – Gesetze zu brechen kann oft so schön sein, bzw. wahre Freiheit erst ermöglichen!

  6. WOW, schöne Fotos, und ganz deiner Meinung. Ich hätte sehr gerne einen Hund, aber der Job macht es unmöglich, wäre arm wenn er den ganzen Tag alleine wäre. Es wird die Zeit kommen wo ich mich eine/r im Tierschutzhaus findet. Ich möchte vom Hund gefunden werden.
    Da bin ich mir sicher.

  7. Wundervolle Bilder von einem echten Charakterhund! Könnten Sie und ihr Hund nicht einen kleinen hübschen Bildband mit den Erlebnisschilderungen publizieren? Ich denke, es würde viele Leser geben!

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