Gerade bei den zahllosen Diskussionen über unser neues Tierversuchsgesetz wurde von Tierversuchsseite immer und immer wieder betont, wie wichtig doch die Experimente an Tieren seien, um in der medizinischen Forschung auch nur einen Schritt weiter zu kommen. Abgesehen davon, dass der Großteil an Tierversuchen nicht im Rahmen der medizinischen Forschung durchgeführt wird, ist auch diese Behauptung fragwürdig. Dazu gibt es einen neuen wissenschaftlichen Artikel von Thomas Hartung in ALTEX 30, 3/2013 und einen von Arrowsmith, J., 2012 in Nat Rev Drug Discov 11, 17-18. Das Ergebnis: 95% der neuen Medikamente, die nach Tierversuchen entwickelt wurden, werden nach klinischen Versuchen an Menschen ausgesondert und kommen nie auf den Markt. In 30-40% der Fälle ist das auf toxische Nebenwirkungen zurückzuführen, die an den Versuchstieren nicht zu beobachten waren. Hartung schließt: The animal tests are not sufficiently informative.
In der Toxikologie zeigt sich, dass zwei verschiedene Tierarten bzgl. der Giftwirkung von Substanzen im Mittel nur zu 60% gleiche Ergebnisse zeigen. Kombiniert man die Tests, z.B. an Ratten und Mäusen, ist die Giftwirkung auf Menschen nur mehr zu 43% vorhersagbar. Die Beliebigkeit Ergebnisse zu erhalten, indem man Tierarten variiert, zeigt sich auch an einer interessanten Statistik: eine im Auftrag der Pharmaindustrie durchgeführte Testserie hat im Mittel 7 Mal wahrscheinlicher positive Ergebnisse, als eine von freien WissenschaftlerInnen an der Uni durchgeführte. Und selbst nach klinischen Tests an Menschen lösen die Medikamente am Markt oft unerwartete Reaktionen im Körper von Menschen aus: 1% der SpitalspatientInnen in den USA sind im Jahr 2005 an den Nebenwirkungen von Medikamenten gestorben, zwischen 1990 und 2009 mussten 10% der Medikamente wegen nicht vorhersehbarer Nebenwirkungen vom Markt genommen werden.
Das Scientific Committee on Consumer Products hat mit Alternativmethoden festgestellt, dass 24 Haarfärbemittel auf Menschen eine krebserregende Wirkung haben. Im Tierversuch hat sich diese Wirkung nicht gezeigt. Die Schlussfolgerung: This means that the animal experiment may possibly hide a hazard for humans. Hartung kommentiert: We should try to find a better way to assess human cancer risk without animal testing.
In den USA hat ein Panel der National Academy of Science die Effektivität von Tiermodellen für menschliche Krankheiten untersucht. Das Ergebnis: There are no such things as sufficiently predictive animal models to substitute for clinical trials. Insbesondere konnte kein Tiermodell für Maßnahmen im Fall von Bioterrorismus empfohlen werden. Vielmehr wurde die Entwicklung eines „human-on-a-chip“ gefordert. Auf Basis dieser und ähnlicher Erkenntnisse wird erwartet, dass die toxikologische Forschung ohne Tierversuche von 2011 bis 2018 um das 3-fache zunehmen und damit die Tierversuchsforschung an Budget überholen wird. Die Alternativen hätten auch den Vorteil, dass sie viel besser ausgetestet seien, als die Tierversuche, so Hartung. Es gebe kein selbst-kritischeres Forschungsfeld: die Validierung jeder neuen Alternativmethode würde im Mittel 10 Jahre dauern und zwischen ½-1 Million US-Dollar kosten.
Meine größte Hoffnung für ein Ende von Tierversuchen ist, dass die wissenschaftliche Forschung selbst sie obsolet macht.
“Meine größte Hoffnung für ein Ende von Tierversuchen ist, dass die wissenschaftliche Forschung selbst sie obsolet macht.”
Keine neue Erkenntnis. Brigitte Jenner von den Tierversuchsgegnern Berlin und Brandenburg zB hat das schon vor einem Vierteljahrhundert erkannt:
“… Sie erklärte als Ziel des Bündnisses für Tierschutzpolitik, dem der Tierschutzverein für Berlin und Umgebung Corp. e.V. und die Tierversuchsgegner Berlin und Brandenburg e.V. angehören, Tierversuche abzuschaffen und zu ersetzen, ein Ziel, das ihrer Einschätzung nach erst erreichbar sei, wenn Tierversuche tatsächlich ersetzbar seien. Sie berichtete, wie sie vor 25 Jahren auf einer Tagung von einem Tierversuch hörte, der für die Tiere extrem schmerzhaft war, damals aber als unverzichtbar galt, so dass pro Jahr hunderttausende von Mäusen – die sogenannten Aszitesmäuse – litten und starben, bis eine Forscherin einen besseren Ersatz fand, der ohne ein Tier auskam, aber lange brauchte, bis er von der Forschung als Alternative zum Tierversuch anerkannt wurde. Heute sind solche Versuche an Mäusen nirgends mehr genehmigungsfähig. Frau Jenners Fazit: Wenn genug Geld da ist, genug Druck auf Forschung und Politik gemacht wird, dann ist alles möglich. Hinzuzufügen wäre: Und wenn Forscher da sind, die klug und engagiert genug sind, sich der Suche nach diesen tierleidfreien Alternativen zu widmen (wie im Fall der Aszitesmäuse) – die Anzahl der ausgelobten Forschungspreise könnte diese Bereitwilligkeit sicher noch heben. Darum ist die Vergabe des Zusatzpreises des Bündnisses Tierschutzpolitik Berlin eines seiner ersten Projekte auf dem Weg zu einer tierversuchsfreien Forschung. Bedingung der Vergabe ist die Ausschließlichkeit des replace-Prinzips: Tierversuche sollen ersetzt, nicht nur verfeinert oder reduziert werden. Gerade im Hinblick auf den Anstieg der Versuchstierzahlen wie beispielsweise am MDC sei es wichtig, so Frau Jenner abschließend, Forschung auszuzeichnen, die durch ihre innovativen Ergebnisse jährlich bis zu 8000 Mäusen und 3500 Meerschweinchen das Leben schenkt.”
Link zum Artikel:
http://www.berlin-vegan.de/archive/2013/august/artikel/tierversuchsfreie-forschung-an-der-freien-universitaet-wird-praemiert-berlin-vegan-stellt-unerhoerte/
Es ist anscheinend so, dass es schon jetzt genug Firmen gibt die Tierversuche nicht machen wollen, aber machen müssen (in Auftrag geben müssen), weil der Gesetzgeber es vorschreibt. Firmen die auf Tierversuche auch wirklich verzichten soweit das möglich ist. Es ist ja auch mittlerweile so, dass der öffentlich erwähnte Verzicht auf Tierversuche eine gelungene Werbestrategie sein kann, weil viele Menschen Tierversuche ablehnen. Das schreiben manche Firmen auch ganz offen im Internet. Einige Firmen entwickeln auch Alternativen zu Tierversuchen und es gibt auch diverse Förderungen und Preise die vergeben werden. Diese Firmen wissen auch, dass Tierversuche wenig aussagen und vor allem dass Tierversuche teurer sind als diese Alternativen. Es ist aber immer auch so, dass ein Tierversuch vor Schadenersatzforderungen zu schützen scheint. Das heißt man müsste nur genug Leute finden die durch Medikamente geschädigt würden und die dann gemeinsam klagen. Wenn sie mit ihrer Klage abblitzen, müssten sie die Tierversuchsfirmen, die sich mit solchen Versuchen eine goldene Nase verdienen klagen, und/oder den Gesetzgeber klagen, denn man kann ja mittlerweile beweisen, dass Tierversuche keine Aussagekraft haben. Nur so kann man in unserer Gesellschaft effektiv etwas ändern. Hier geht es nur um Geld und wenn man (zurecht) klagt tut das weh.