So viel Geheimniskrämerei bei politischen Verhandlungen, wie in den letzten Monaten bei jenen über die Aufnahme von Tierschutz in die Verfassung, habe ich in meinen jetzt schon über 30 Jahren politischem Aktivismus selten erlebt, obwohl es beim Tierversuchsgesetz auch nicht gerade besser war, siehe https://martinballuch.com/?p=1546. Die Verantwortlichen bei SPÖ und ÖVP sind offensichtlich der Ansicht, das ist nur ihre Sache und gehe niemanden sonst etwas an. Ein seltsames Politikverständnis, auch wenn wir in einer repräsentativen Demokratie leben.
Bei meinem Gespräch mit dem ÖVP-Verfassungssprecher nur wenige Stunden vor der Verkündigung der Einigung in den Verhandlungen per APA-Presseaussendung sagte dieser, er halte es für sehr schlecht, dass so viele Parteien ins Parlament kämen. Wie schön war offenbar die gute alte Zeit der Zweiparteienlandschaft und des Proporz! Jüngere LeserInnen werden gar nichts mehr davon wissen, aber noch vor einigen Jahrzehnten war praktisch jede öffentliche Stelle nach dem jeweiligen Prozentsatz der Aufteilung der Stimmen bei der letzten Wahl in rot und schwarz mit einer Person aus einer dieser beiden Parteien besetzt, bis runter zu SchuldirektorInnen. Alles wurde „proportional“ aufgeteilt, daher Proporz. Es gab also nur rot oder schwarz, selbst bei Sportvereinen. Alle Entscheidungen wurden lediglich zwischen rot und schwarz ausgehandelt.
So auch momentan in der großen Koalition. Wie in der „guten alten Zeit“, als gebe es weder Opposition noch Zivilgesellschaft, verhandelt man untereinander im stillen Kämmerlein und stellt dann den Rest des Landes vor die Wahl das einfach hinzunehmen oder komplett dagegen zu sein. Sich aber einzubringen, hier oder dort an der Formulierung etwas zu verändern, einen tragfähigen Kompromiss zu finden, das ist so nicht möglich.
Der ÖVP-Verfassungssprecher meinte sogar explizit, dass zu viele Interessensgruppierungen, die mit verhandeln, eine Einigung nur verzögern würden. Eine Einigung von wem? Wenn man die Hälfte der Interessen ignoriert, dann ist das keine Einigung mehr. Es ist offenbar noch ein weiter Weg, dieses Land mit seiner tausendjährigen Geschichte von Absolutismus, Austrofaschismus und Nationalsozialismus zu einer gelebten Demokratie zu entwickeln!
Die Antwort kann nur der Ausbau der direkten Demokratie sein. Wenn unsere parlamentarischen RepräsentantInnen lediglich auf ihre LobbyistInnen hören und die Volksmeinung ignorieren, dann muss sich diese via direkt demokratischer Mechanismen Gehör verschaffen können. Wir brauchen über das Volksbegehren hinaus, das ja im vorliegenden Fall des Konflikts um Tierschutz in der Verfassung angewandt wurde, die Möglichkeit, wie in der Schweiz, Volksabstimmungen von unten zu erzwingen, um im Tierschutz abseits der Einflüsterungen von Agrarindustrie, Jägerschaft und Tierversuchslobby der Mehrheitsmeinung zum Durchbruch zu verhelfen!
Es ist nur die Frage wie sehr die SPÖ wirklich in den Verhandlungen vertritt, was sie zu vertreten behauptet…
Da sie so selten gegenüber der ÖVP erreicht, was sie angeblich erreichen will, gibt es nur zwei mögliche Szenarien:
1) Die SPÖ behauptet nur Dinge zu vertreten, die sie letztlich dann doch nicht vertritt.
2) Die ÖVP hat die SPÖ in der Hand weil sie Beweise für krumme Machenschaften der SPÖ hat, die diese unbedingt geheimhalten will.
Die dritte Option der kompletten Inkompetenz der SPÖ halte ich für irrelevant, da die ÖVPauch nicht besser aufgestellt ist, was Fachkompetenzen für diverse Ämter betrifft.
Die letzte Antwort der SPÖ:
“Wie Ihnen sicher bekannt ist, ist der SPÖ der Tierschutz ein besonderes Anliegen. Seien Sie daher versichert, dass wir bemüht sind, in der Materie Tierschutz die letzten Steine aus dem Weg zu räumen und zu einer gemeinsamen Lösung zu finden.”
… und der ÖVP:
“Wie viele von Ihnen bereits vom zuständigen Verfassungssprecher der ÖVP, Herrn NR Dr. Wolfgang Gerstl, erfahren haben, ist dieser zuversichtlich, dass das Thema „Tierschutz in der Verfassung“ noch bis zum Sommer positiv erledigt werden kann.”
Wieder einmal eine “gemeinsame” Lösung der ÖVP, bei der sich die SPÖ zum wiederholten Mal über den Tisch ziehen ließ. Bleibt als einzige Hoffnung ein hoher Stimmenverlust beider Parteien bei der kommenden Nationalratswahl, sonst kann sich da wohl nie etwas zum Besseren ändern.