Wer die Spitzelaktivität der Polizei in der Tierschutzszene schon für demokratiepolitisch bedenklich und eine Zumutung hält, siehe , den/die wird dieses Buch noch ein stückweit mehr entsetzen. „Secret Manoeuvres in the Dark“ von Eveline Lubbers, 2012 im Verlag PlutoPress erschienen, hat mir die Augen geöffnet. Lubbers ist seit langem als Wissenschaftlerin, aber auch als Journalistin und politische Aktivistin, darin engagiert, die undemokratischen Machenschaften Multinationaler Konzerne aufzudecken. Dazu bietet sie auch Beratung für NGOs an. Und diese würde uns allen helfen, wenn die Fakten betrachtet, die Lubbers für ihr Buch zusammen getragen hat.
Das Buch ist eine wissenschaftliche Aufarbeitung von 6 beeindruckenden Fällen, in denen eine Spitzel- und Untergrundtätigkeit von verschiedenen Firmen aufgedeckt wurde. Da geht es um Nestle, das sich aufgrund des Vertriebs von Muttermilchersatz in Entwicklungsländern mit einer internationalen Boykottkampagne konfrontiert sah und deshalb auf eine Agentur zurückgriff, die Gruppen von AktivistInnen unterwanderte, vorsätzlich Zwietracht unter den Gruppen säte und letztlich den Konzern immer im vorhinein von weiteren Presseaussendungen oder Aktionen warnen konnte. Ähnlich mit Shell aufgrund deren Ölbohrungen auf Land, in dem indigene Stämme lebten, McDonalds gegen London Greenpeace, Monsanto aufgrund von Kritik an deren Genmanipulation, sowie englische Firmen, deren Straßenbauprojekte oder Waffenlieferungen im Fokus der Kritik der Zivilgesellschaft standen. Alle diese Formen griffen zu undemokratischen Mitteln mithilfe von geheim agierenden Anti-Aktivismus Agenturen.
Diese Agenturen wurden praktisch durchgehend von ehemaligen Spitzeln und TerrorfahnderInnen aus der Polizei und den staatlichen Geheimdiensten gegründet. Diese Personen nutzen ihre Erfahrungen, aber auch ihr Vertrauen, das sie in Aktivismuskreisen genießen, um ganz gezielt Kampagnen der Zivilgesellschaft zu sabotieren. Die Fakten aus den aufgedeckten Spitzelfiles sind erschütternd.
Es beginnt mit einer undercover social media Aktivität der Agenturen. Bezahlte Profis suchen online Plattformen und fb-Gruppen, die sich der Kritik an ihren KundInnen widmen, kreieren dann fake Profile und torpedieren ständig die Diskussion, verbreiten gezielt Falschmeldungen oder säen Zwietracht, indem sie sich den Jargon der AktivistInnen aneignen und dann „interne Kritik“ provokant und penetrant vortragen, ohne auf einen Kompromiss einzugehen. Dazu gehört die Taktik, den Konflikt zwischen „radikal“ und „gemäßigt“ aufzuschaukeln, also mit einem anonymen Profil als radikaler Aktivist aufzutreten und die Gemäßigten zu kritisieren und umgekehrt. Zusätzlich verbreitet man gerne „interne Gerüchte“, im Stil von „ich war als Aktivistin dabei und kann nur sagen, was da gelogen wird war mir zu viel“ oder „Sprecher X dieser NGO hat ziemlich viel Dreck am Stecken, das habe ich mit eigenen Augen gesehen“.
Doch damit nicht genug. Sämtliche dieser Agenturen haben oft viele Jahre lang Spitzel in der Aktivismusszene, vom Tierschutz über die Friedens- bis zur Umweltbewegung. Einer Waffenfirma gelang es sogar mittels einer Agentur, einen Spitzel so gut als Aktivisten zu platzieren, dass er letztlich von der NGO als „Kampagnenkoordinator“ angestellt wurde. Damit hatte er Zugang zu sämtlichen Computerdateien und allen internen Sitzungen der NGO. Das muss man sich einmal vorstellen: die Chefs der NGO von Multinationalen Konzernen bezahlte AgentInnen! Langzeitspitzel dieser Art leben unter ihrem richtigen Namen, sie sind also für die Zivilgesellschaft schwer zu identifizieren. Doch sie entfalten eine unheimlich schädliche Präsenz, die den demokratischen Entscheidungsfindungsprozess ernsthaft untergräbt.
Spitzel liefern z.B. sämtliche Adressen aller Aktiven und aller Mitglieder und SpenderInnen an ihre Auftraggeber. Die Folge ist, dass diese leicht geklagt werden können, oder dass SpenderInnen direkt privat kontaktiert und falsch informiert werden, um ihre Unterstützung zu beenden. Ebenso wurden Promis kontaktiert und „informiert“, von denen man aus interner Quelle wusste, dass sie sympathisieren, um die Zusammenarbeit mit der NGO zu behindern. Weiters werden natürlich Aktionen, aber auch Presseaussendungen oder anstehende Kampagnenschritte, vorzeitig den Firmen gemeldet. Aktionen des Zivilen Ungehorsams werden dadurch verhindert. Zusätzlich gibt man Informationen über interne Konflikte, Liebschaften, Affären, persönliche Schwächen von EntscheiderInnen und wirtschaftliche bzw. gerichtliche Schwierigkeiten, die einzelne Personen haben, weiter. Alles, was irgendwie die Kampagnenarbeit erschwert, wird probiert, u.a. auch Anzeigen an das Finanzamt wegen Schwarzarbeit oder der Nutzung von Vereinsautos für private Fahrten. Und manche Spitzel agieren als Agent Provokateurs, versuchen die NGO zu radikalisieren, Konflikte mit der Polizei zu schüren und die Aktiven dann sozusagen ans Messer zu liefern.
Eigentlich ist es naheliegend, dass Firmen, oder allgemeiner der politische Gegner wie z.B. die Jägerschaft, so reagiert. Wer Macht und Geld hat, wird sich Spitzel bzw. undercover Agenturen leisten. Warum nicht? Wir müssen unsere Naivität ablegen. Finden sich nicht seit unserer Kampagne gegen die mächtige Gatterjagdgesellschaft plötzlich ständig fake Profile auf meiner fb-Seite und beim VGT, die genau so vorgehen, wie in diesem Buch beschrieben? D.h. sie behaupten, sie wären für den VGT aktiv gewesen, hätten interne Infos, oder dass wir zu radikal oder zu gemäßigt sind, oder dass immer alles gelogen ist, was wir sagen, usw. Beim Lesen solcher Meldungen sollten wir uns ab sofort immer fragen, was die Intention dieses Beitrags ist, und die Aussage auf überprüfbare Fakten abklopfen.
Ebenso frage ich mich jetzt, ob jene „Aktivistin“, die vor einiger Zeit der Polizei eine Liste von Namen nannte, die angeblich in Salzburg Pickerl gegen die Gatterjagd verklebt hätten, nicht vielleicht eine bezahlte Agentin ist, die Vorwürfe erfindet, um die Aktiven einzuschüchtern und unsere Arbeit zu kriminalisieren. Alle diese Optionen müssen offen gehalten werden. Was mir bisher eher wie eine Verschwörungstheorie klang, wird nach der Lektüre dieses Buches durchaus zur realen Möglichkeit.
Eveline Lubbers hat bereits zugesagt, noch 2016 in Wien einen Vortrag über dieses Thema zu halten. Ich kann ihr Buch allen politischen AktivistInnen nur dringend ans Herz legen!
in der Schweiz gibt es eine berüchtigte PR Agentur namens Farner PR. Sie stand Modell für das relativ bekannte Buch “Verhör des Harry Wind” – schon 1962 ! (verfilmt mit Klaus Maria Brandauer als “Manipulation” 2011). Dann 2010 gewann Farner den “Public Eye Award”, weil sie Globalisierungsgegner bespitzelten. Erschreckend viele Linke haben das vergessen. Der “linke” Rapper Knackeboul, der autofährt, mehrmals jährlich weite Flugzeugreisen macht, mal vegi war, nach paar Monaten aber wieder Fleisch ass und werbung für Grosskonzerne wie Redbull und Samsung macht, und in einer Kolumne die NATO lobt – genau dieser Knackeboul lobte in einer Presseschau-Sendung (wo der Gast einen Artikel mitbringen muss zum besprechen) einen Artikel vom Firmenblog von Farner !!! (er betätigte sich auch mal in einer Antirassismuskampagne von Farner und dachte wohl: Dann kann Farner ja gar nicht rechts sein… Tolerancewashing wie es auch Starbucks und Apple betreibt!) Ironie: Der Artikel von Farner geht um Manipulation und bestreitet, dass PR derart stark wirke. Wenn eine PR-Agentur das selber sagt, dann muss es ja stimmen!
Ein wichtiges Thema und ich empfehle auch diese Broschüre: https://www.antifaschistische-linke.de/PDF/schoener_leben_ohne_spitzel.pdf
wirklich unglaublich