5. November 2024

Single Issue – oder warum ich mich manchmal in ein Thema verbeiße

Mit politischem „single issue“ Aktivismus ist gemeint, sich nur für ein einziges Thema zu interessieren und weder links noch rechts zu schauen, auch wenn dort noch so viele Ungerechtigkeiten Aufmerksamkeit verdienen würden. Von der progressiven Linken wird die Tierschutzbewegung an sich oft als single issue Bewegung kritisiert, weil gerade TierschutzaktivistInnen besonders dafür anfällig wären, über dem Tierleid das Menschenleid zu vergessen.

Kürzlich war ich in Berlin zu Besuch und durfte mit einigen AktivistInnen aus der Tierschutz- und Tierrechtsbewegung bei einem Abendessen diskutieren. Dabei ging es um politische Parteien, und die einen hielten fest zu den Grünen, die anderen hatten ihre eigene bürgerliche Tierschutzpartei gegründet und die dritten setzten auf die neue Piratenpartei. Dann ging es um Christentum und Religion, und was den einen sehr wichtig war, lehnten die anderen als antiemanzipatorisch ab. Zu vielen Themen hatten die Anwesenden völlig verschiedene Ansichten, nur das Tierschutzthema bündelte die Meinungsvielfalt.

Szenenwechsel. Im Burgkino in Wien diskutieren AktivistInnen aus Umwelt- und Menschenrechtsbewegungen über die Funktion und Rolle der kritischen Zivilgesellschaft. Freda Meissner-Blau, Mitgründerin der österreichischen Grünen, warnt eindringlich vor dem Vertrauen in die Institutionen und vor dem Weg durch das Parlament. Dort würde man zerrieben, dort sei es schier unmöglich, progressive Gedanken durchzubringen, sie sei von ihrer Zeit als Parlamentarierin enttäuscht. Die ZuhörerInnen der Diskussion beschwor sie, außerparlamentarisch aktiv zu bleiben und sich für ihre Anliegen parteiunabhängig zu engagieren. In einer Partei muss man derart viele Meinungen zusammenführen, dass der kleinste gemeinsame Nenner oft sehr unklar und nachgerade moderat bleibt. Neue und erfrischend radikale Ansätze sind nicht möglich, ohne außerparlamentarische Arbeit wäre nichts weitergegangen, vom Verbot von Atomkraftwerken über die Fristenlösung bis zum Hainburger Nationalpark.

Für eine konkrete Änderung in der Gesellschaft ist, jedenfalls in repräsentativen Demokratien wie bei uns, eine Kampagne mit einer gehörigen Portion öffentlichen Drucks nötig. Um diesen Druck zu produzieren, muss man viele Menschen in die Kampagne einbeziehen, man braucht viele Ideen, viele Aktionen und eine permanente Präsenz des Themas in der Öffentlichkeit. Bei der Kampagne gegen die Kastenstandhaltung von Mutterschweinen standen 80% der Bevölkerung hinter uns, mehrere Hundert AktivistInnen engagierten sich. Hätten wir ein zweites Thema einbezogen, wie z.B. die Besteuerung von Finanztransaktionen, hätten wir einige dieser UnterstützerInnen verloren, weil die Schnittmenge jener Menschen, die beide diese Forderungen teilen, offensichtlich kleiner ist, als die Anzahl jener Menschen, die nur ein Kastenstandhaltungsverbot wünschen. Bei jedem weiteren Thema wäre unsere Seite weiter geschrumpft, bis wir irgendwann die Mehrheit verloren hätten.

Bei der politischen Arbeit zur Sensibilisierung von Menschen für das Tierschutz-Thema ist es sicher wichtig, für alle sozialen Anliegen offen zu sein und eine eigene Sensibilität für die Probleme anderer zu entwickeln. Wollen wir aber eine konkrete Forderung umsetzen, ist es unumgänglich auf single issue umzuschalten. Wir müssen dabei für unser gemeinsames Anliegen über unsere Differenzen in anderen Bereichen hinwegsehen und mit aller Kraft an einem Strang ziehen. Danach, ist unser Anliegen einmal umgesetzt, können wir ja wieder unserer eigenen Wege gehen und neue Allianzen suchen.

Das ist, zugegeben, ein sehr pragmatischer Ansatz. Für den realen Fortschritt arbeite ich dafür mit Menschen zusammen, mit denen ich in anderen Fragen nicht übereinstimme. Aber die Alternative ist, im Elfenbeinturm der kleinen Zirkel von IdealistInnen, die von derselben Utopie wie ich träumen, gefangen zu bleiben und keinerlei Auswirkung auf die gesellschaftliche Wirklichkeit zu haben. Mir jedenfalls würde das nicht reichen!

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