22. Dezember 2024

Tierschutz als Tischsitte – Eindrücke aus dem Nordiska Museet in Stockholm

Mit der Zivilisierung des Bürgertums, mit seinen Tischsitten und dem Ende von Folter und öffentlichen Hinrichtungen, ging auch das Verbannen der Tötung der Tiere aus dem öffentlichen Raum einher. Das mag eine parallele Entwicklung sein, oder Ausdruck ein- und derselben Distanzierung von Tieren und der Natur. Letzterem entsprechend wäre Tierschutz als gesellschaftliches Phänomen gar nicht aufgrund eines höheren Respekts gegenüber Tieren entstanden, sondern nur Ausdruck einer besonderen Form von „Sauberkeit“ bzw. „Anständigkeit“, wie Tischsitten eben. Diesen Verdacht habe ich bereits im Nachwort meines Buches „Der Hund und sein Philosoph“ geäußert.

Bei meinem Besuch im Stockholmer Nordiska Museet, dem Museum für die nordische Lebensweise zwischen 1600 und 2000, fiel mir dazu eine Installation auf. Das Museum hatte den Wandel des bürgerlichen Esstisches von 1600 über die Zeit bis 1900 nachgestellt.

Hier das Bild von 1600:

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Es gibt keine Teller, kein Besteck, nicht einmal Beilagen. Man (fr)isst mit den Fingern. Dazu steht ein Kalkskopf am Tisch, dem man offenbar mit einem Messer jeweils Teile abschneidet, um sie sich in den Mund zu stopfen. Man isst die Augen, die Ohren, den Mund. Das Opfer ist am Tisch völlig präsent, es wird nichts beschönigt. Der bürgerlichen Vorstellung von Anständigkeit dürfte das keinen Abbruch getan haben.

Hier das Bild von 1700:

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Jetzt gibt es Zinkteller und die ersten Ansätze von Besteck. Die Tiere sind noch immer da, allerdings grotesk „verschönert“. Man isst einen Schwan, dessen Körper gebraten und damit unkenntlich ist. Aber man hat ihm vorher die Haut abgezogen, Hals und Kopf ausgestopft, und setzt nun dem Braten diese Hülle auf. Das Opfer ist also ausgestopft präsent, der Braten darin integriert, aber bereits modern. Ähnlich mit der Taube, die genauso behandelt wurde.

Hier das Bild von 1800:

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Das Gedeck erinnert schon an heute, man hat Messer und Gabel, wenn auch nur in einfacher Ausführung, und einen Porzellanteller. Die Tiere, die gegessen werden, sind bereits unkenntlich gemacht. Trotzdem ist Fleisch am Tisch sehr präsent, die Teile enthalten noch die Knochen. Die Variation der Speisen ist viel größer, sie sind nett angerichtet, es gibt auch mit Aufwand gebackene Kuchen. Man kann sich vorstellen, dass hier von Gästen erwartet wird, Tischmanieren einzuhalten.

Hier das Bild von 1900:

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Nun ist das Fleisch vom Tisch verbannt, wird nur noch zum jeweiligen Gang serviert. Es gibt Schnitzel, die in keinem visuellen Zusammenhang mit dem Opfer stehen. Das Gedeck ist aufwändig gestaltet, die Tischsitten komplex.

Parallel zu dieser Entwicklung entsteht auch der Tierschutz: im 17. Jahrhundert ist noch kaum was davon zu lesen, im 18. Jahrhundert die ersten Schriften, die einen anständigen Umgang mit Tieren fordern, im 19. Jahrhundert dann die ersten Tierschutzvereine und Tierschutzgesetze mit den ersten Verboten (dass z.B. anständige BürgerInnen keine Hundekämpfe mehr veranstalten, das macht nur der Pöbel aus dem Arbeiterproletariat) und im 20. Jahrhundert dann ein immer besseres Tierschutzrecht. Das bürgerliche Ideal wird entwickelt: man distanziert sich von der Natur, indem man anders isst, als diese Viecher, und indem man anders mit den Opfern für das Essen umgeht. Wieviel davon ist echtes Mitgefühl, wieviel nur bürgerliche Fassade?

Dazu ist mir aufgefallen, dass unser größeres Tierschutzverständnis gesellschaftlich nicht mit einer größeren Nähe zu Tieren einhergeht, sondern eher mit einer größeren Distanz. Hunde, z.B., werden immer mehr aus dem gesellschaftlichen Leben verbannt. Gerade in Stockholm wurde das deutlich, noch mehr Hundeverbote als in Österreich, nicht einmal in eine Pizzeria durfte mein Hundefreund mitgehen. Für mich dagegen bedeutet Tierschutz auch Tierliebe, kein Abgrenzen von Tieren, sondern eine offene und tolerante Multispezies-Gesellschaft.

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