In der momentanen Diskussion über Wölfe in Österreich fällt es mir schwer, ruhig und sachlich zu bleiben. Das deswegen, weil mit einer ungeheuerlichen Ignoranz eine emotionale Hetze betrieben und Falschaussagen verbreitet werden, dass es jedem vernünftigen Menschen den Magen umdreht. Da ist die Rede von den mörderischen Bestien, die nicht nur sämtliche Schafe Österreichs sondern auch gleich alle Kinder fressen, da wird vom Ende der Almwirtschaft gefaselt und vom Untergang der Zivilisation. Dabei gibt es einen ganz einfachen Gegenbeweis: die Situation in den Südkarpaten. Natürlich versucht man das zu ignorieren oder als irrelevant wegzuschieben, aber das gelingt nicht. Die Situation in den Südkarpaten ist sehr relevant für uns heute in Österreich und ein beeindruckendes Vorbild. Ich habe bereits von meinen Wanderungen dort und von Erlebnissen mit Wölfen berichtet: https://martinballuch.com/auf-den-spuren-der-wolfe/. Das Bild oben zeigt übrigens einen echten Wolf aus den Südkarpaten. Eine mörderische Bestie vor der man panische Angst haben muss? Eher nicht.
Hier ein Satellitenbild der Südkarpaten mit den Umrissen Österreichs darüber gelegt:
Wir sehen: die Südkarpaten sind nicht nur flächenmäßig deutlich kleiner als Österreich. Obwohl sie in der Ost-West Ausdehnung etwa den Alpen zwischen Wien und Osttirol entsprechen, sind ihre Waldgebiete und ihre Nord-Süd Ausdehnung auch klar geringer. Und trotzdem leben dort 3000 Wölfe. Noch einmal deutlich in Worten: dreitausend Wölfe! Und in Österreich leben 6. Und bei uns schreit man herum, in Rumänien ist der Wolf kein Thema. Dort sind die Wölfe nie ausgerottet worden. Dort hat man sich längst arrangiert.
Das sind die wesentlichen Charakteristika des Lebens mit Wölfen in den Südkarpaten:
- Es gibt mehr Schafe auf den Almen als in Österreich
- Diese werden durch Hirt_innen und Herdenschutzhunde geschützt
- Es gibt keine Zäune, keine Hochstände und keine Wildtierfütterungen
- Es gibt keine Angriffe von Wölfen auf Menschen, auch wenn in den Südkarpaten pro Fläche mehr Kinder leben als in den österreichischen Alpen
- Die Wälder sind deutlich weniger durch Wildverbiss geschädigt als in Österreich
- Ich bin mit meinem Hund wochen- und monatelang leinenfrei in den Südkarpaten mit dem Zelt unterwegs gewesen, ohne dass ihm oder mir etwas passiert wäre
- Diejenigen Hunde, die von Wölfen getötet wurden, sind alle an der Kette gelegen oder in der Nacht draußen im Freien ohne Umzäunung gehalten worden
Nun, was sagen jene Menschen dazu, die gegen den Wolf hetzen?
Mythos 1: Die Südkarpaten seien vergleichsweise unbewohnt. UNSINN
Bis 1918 war die Nordhälfte der Südkarpaten ein Teil von Österreich. Betrachten wir das Bild oben, sehen wir Bukarest an der südöstlichen Ecke der Südkarpaten: eine 2-Millionen-Stadt wie Wien. Am westlichen Rand liegt Temeswar mit 320.000 Einwohner_innen. Mitten drin findet man z.B. Sibiu mit 150.000 Einwohner_innen und Brasov mit 250.000 Einwohner_innen. Dort leben also deutlich mehr Menschen als in den österreichischen Alpen.
Mythos 2: In den Südkarpaten würden die Wölfe durch Jagd reguliert. UNSINN
Im Jahr 2016 verkündete die rumänische Regierung das Ende der Jagd auf große Beutegreifer wie Bär, Wolf und Luchs. In den folgenden 2 Jahren hat es deshalb keinerlei Probleme mit diesen Tieren gegeben. Leider hat die Jägerschaft, wie überall auf der Welt, ihre politische Macht ausgespielt, um ihrer Tötungslust und ihrem Trophäenkult zu frönen, und so dürfen jetzt in kleinem Rahmen wieder einige dieser Tiere geschossen werden. Aber das hat keinerlei Auswirkungen auf deren Anzahl. Große Beutegreifer hatten in der Evolution nie natürliche Feinde, sie haben immer schon ihre Anzahl selbst reguliert. Und so machen sie es auch in den Südkarpaten. Alle Wolfsreviere, die es gibt, sind von Wolfsrudeln besetzt.
Mythos 3: In den Südkarpaten würden die Hirt_innen Schusswaffen tragen müssen. UNSINN
Die Hirt_innen dort haben im besten Fall Messer dabei. Und die benutzen sie, um schöne Gegenstände aus Holz zu schnitzen. Ich habe einige davon zu Hause. Fragt man die Hirt_innen, was sie vom Wolf halten, so sind sie natürlich nicht erfreut, aber er ist für sie wie ein Unwetter, einfach Teil der Gefahren der Natur. Man nimmt seine Präsenz hin. In Rumänien jagen in allererster Linie Jäger_innen aus dem Westen auf die großen Beutegreifer. Momentan wird von einer Wissenschafterin der Uni Bukarest eine Studie über die Einstellung der Schafhirt_innen zu den Wölfen erarbeitet. Sie hat mir von ihren Vorergebnissen berichtet. Kurz zusammengefasst: die Meinung der Hirt_innen über die Wölfe ist erstaunlich positiv.
Mythos 4: Die Südkarpaten seien Wildnis und kein Kulturland. UNSINN
Jede potenziell nutzbare Fläche der Südkarpaten wird von Menschen genutzt: alle Täler werden bewohnt, alle Bergwiesen als Almen bestoßen, alle Wälder forstlich bewirtschaftet, überall finden sich Forststraßen. Es gibt in den Südkarpaten keine Wildnis, alles ist Kulturland. Von keinem Punkt in den Südkarpaten, wo Wölfe wohnen, braucht man länger als vielleicht 1 Stunde bis zur nächsten Forststraße, von fast überall kürzer.
Zusammengefasst ist klar: Die Menschen in den Südkarpaten beweisen, dass man relativ konfliktfrei in von Wölfen dicht besiedelten Revieren leben kann, ohne die Almwirtschaft oder die Hundehaltung aufgeben oder die Kinder einsperren zu müssen.