22. Dezember 2024

Wenn ein Hund bewusst entscheidet

In meinem Buch „Der Hund und sein Philosoph“ argumentiere ich, dass Hunde autonome und vernünftige Wesen sind, die bewusst entscheiden können, ganz unabhängig von ihrer Konditionierung. Ich hatte eigentlich gedacht, dass die Argumente dafür klar und deutlich dargelegt wurden und kein Zweifel mehr bestehen bleibt. In der Praxis begegnet mir dennoch ununterbrochen auch unter Tierschützer- und TierrechtlerInnen die Idee, dass Hunde nur mit Versuch und Irrtum auf Basis von Konditionierung lernen können, dass ihre Handlungsantriebe nur Reizreaktionen oder Triebe und Instinkte sind, dass es da keine Freiheit zur Entscheidung hinter diesen Schlappohren gibt.

Man könnte meinen, das sei ein Streit um des Kaisers Bart. Hunde sind unbestritten leidensfähige Wesen und so muss ihr Leid ethisch eine Rolle spielen. Reicht das nicht? Wozu über Intelligenz und Bewusstsein streiten? Beides wirkt einfach objektiv nicht fassbar. Abgesehen davon, darf es von den kognitiven Fähigkeiten eines Wesens abhängen, ob und wie es ethisch berücksichtigt wird?

Nein. Hier geht’s nicht um des Kaisers Bart. Hier geht es um die wichtigste und essenziellste Frage im Tierschutz: sind Tiere Wesen, wie wir Menschen, die frei entscheiden können und deren Entscheidung zu respektieren ist, oder sind es ganz andere Wesen als wir, die nur mit uns die Leidensfähigkeit teilen, aber ansonsten mehr oder weniger biologische Roboter darstellen, für die man jede Entscheidung zu treffen hat. Einmal führt das zur Forderung nach selbstbestimmten und selbstorganisierten Tiergemeinschaften, oder egalitären Gemeinschaften von Menschen und anderen Tieren, im zweiteren Fall führt das direkt ins Anthropozän, in eine Welt mit dem Menschen als Herrscher oder, netter gesagt, „Gärtner“, der alles zu bestimmen hat, weil er doch alles so viel besser weiß. Während wir für Menschen Mitbestimmung fordern, würde dann bei Tieren die Fremdbestimmung das beste Ziel sein, weil sie ja unfähig wären, für sich den besten Weg zu wählen.

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Als ein Mensch, der seit 3 Jahrzehnten mit Hunden lebt und ununterbrochen aus erster Hand mitbekommt, wie diese Wesen autonom und selbständig und frei sein können, ist mir die Vorstellung, sie auf ihre Leidensfähigkeit zu reduzieren, unbegreiflich. Nein, Mensch und Tier sind nicht grundsätzlich irgendwie anders, der eine frei, das andere unfrei, vernünftig versus unvernünftig, berechenbar versus unberechenbar. Diejenigen, die Tiere oder auch Hunde für fühlende Biomaschinen halten, sollen doch versuchen, ein Computerprogramm zu schreiben, das es ermöglicht, einen Roboter zu betreiben, der sich wie ein Hund verhält, von dem man, wie bei einem Hund, den so überzeugenden Eindruck bekommt, dass man mit ihm ein beidseitig liebendes Verhältnis hat, dass er vernünftig handelt, einen Charakter hat, eine Persönlichkeit. Trotz immer besserer Rechenleistung ist AI noch immer unendlich weit davon entfernt. Woran könnte das liegen? Entweder, dass die Natur einfach so viel besser programmieren kann, oder, dass das Hirn eines Hundes besser ist als der beste Supercomputer heute – oder doch, dass Bewusstsein etwas Anderes ist als ein Computer, als ein lernfähiges Computerprogramm, das sich lediglich nach Versuch und Irrtum selbst verbessert?

Ununterbrochen erlebe ich Entscheidungen meines Hundefreunds Kuksi, die ganz sicher nichts mit Instinkten oder Reizreaktionen zu tun haben. In unserem Zusammenleben fördere ich seine Autonomie und Selbständigkeit, und so wurde er zu einem Wesen, das auch selbst entscheidet und auf sich selbst gestellt die Probleme des Lebens angeht. Vor zwei Wochen wollte ich mit ihm eine Wanderung an einem bestimmten Ort machen. Wir blieben mit dem Auto stehen, aber er weigerte sich, auszusteigen. Er war nicht unfreundlich, aber bestimmt. Ich kann mir vorstellen, wie andere Hundeverantwortliche darin eine Rebellion sehen, die zu brechen ist. Was bildet sich der Hund ein, seine eigene Meinung zu haben? Tja, was bilde ich mir ein, über seine Meinung einfach hinweggehen zu können? Wir sind ein Stückchen weitergefahren, keine 2 km. Dann zeigt er mir an, jetzt will er hinaus. Ich bleibe stehen. Tatsächlich, sofort ist er bereit, los zu wandern. Wir hatten einen wunderschönen Tag.

Na sicher, hör ich die ZweiflerInnen, da hatte er eben an diesem Ort schlechte Erfahrungen gemacht, deshalb wollte er nicht aussteigen. Nein, hatte er nicht. Ach, der Hund hat ja ganz andere Sinne, da hat eben etwas schlecht gerochen irgendwann vorher. Nein, hatte es nicht, wir hatten dort keine schlechten Erfahrungen, er hat dort nie irgendwie negativ reagiert. Er wollte einfach dort an diesem Tag nicht wandern, sondern woanders. Es war eine bewusste Entscheidung von ihm. Und das erlebe ich immer wieder. Er hat einfach eine klare Vorstellung, was er will und was nicht. Sicher, jedes einzelne Beispiel könnte man durch elaborate Konstrukte irgendwelcher Reizreaktionsimpulse „erklären“. Aber in der Menge und Komplexität, in der ständig agiert, ist das nicht mehr sinnvoll möglich. Kein bestehendes Computerprogramm könnte genau so handeln, wie Kuksi das tut, obwohl es Computer gibt, die in vielen Bereichen wesentlich mehr als er – und ich – können. Aber Bewusstsein und einen freien Willen, das haben sie nicht, und werden sie auch nie haben, wie ich mit Kurt Gödels Unvollständigkeitssatz aus der mathematischen Logik argumentiert habe. Das ist der Unterschied.

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Ein Gedanke zu “Wenn ein Hund bewusst entscheidet

  1. Kann ich nur voll zustimmen. Ich mache jeden Tag zig Beobachtungen, die mir immer wieder vor Augen führen, dass ein Hund Entscheidungen trifft. Bei unserem “opa” Oscar, einer 8jährigen BX könnte man es als Alterstarrheit auslegen, aber der feine Herr echauffiert sich bereits wenn die morgendliche Runde “rechts” vom Haus abgehen soll. Er geht nämlich viel lieber links entlang.

    Als wenn das nicht genug wäre, guckt und lernt der junge Hund dieses Verhalten und hat ebenfalls seine Vorlieben die er auf ähnliche Weise zum Ausdruck bringt. Und das ist ganz sicher nicht auf Gassi und Fressen zu reduzieren sondern wiederholt sich im Alltag ständig.

    Nur meine Arbeit, die wollen die Hunde nicht machen. Hier stellen sie mutmaßlich bewusst auf doof 🙂

    In diesem Sinne
    Daniel

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