22. Dezember 2024

Wolodymyr Selenskyj

Ich habe das 2019 so peripher mitbekommen, dass in der Ukraine ein Kabarettist mit 73 % der Stimmen zum Präsidenten gewählt worden ist. Selensky war mir aus der Distanz sympathisch, ohne dass ich viel von ihm gewusst hätte. Die Ukraine galt als Land der Korruption, seine Wahl als Gegenmaßnahme. Aber inwieweit ihm die Bekämpfung der Korruption gelungen ist, hätte ich nicht sagen können – und kann ich heute noch immer nicht sagen. Durch den grauenhaften Angriffskrieg des faschistischen Diktators Putin gegen die Ukraine, ist Selensky zur Berühmtheit geworden. Als die riesige Armee aus Russland vor den Toren von Kiew stand und Selensky auf ein Angebot der USA, sicher aus dem Land gebracht zu werden, antwortete, er brauche keine Mitfahrgelegenheit, er brauche Waffen, war ich schwer beeindruckt. Seither ist meine Achtung vor ihm nur noch gewachsen. Was für ein Gegenpart zu dem Massenmörder und Herrenmenschen-Ideologen Putin! Während Putin die Homosexuellen des Landes terrorisiert, ua durch seine rechte Hand Kadyrow in Tschetschenien und durch sein Gesetz, dass Homosexuellen die Kinder entzogen werden können, tanzt Selensky in Netzstrümpfen und High Heels über die Bühne und spielt am Penisklavier! Grund genug jedenfalls für mich, eine Biographie über ihn zu lesen.

Selensky, entnehme ich dem Buch, ist in eine jüdische Familie geboren worden. Sowohl väterlicher- als auch mütterlicherseits ist die Familie gerade noch dem Holokaust entkommen, sind doch beide Seiten in der ukrainischen Industriestadt Krywyj Rih zu Hause gewesen, wo die Nazis im Krieg gewütet und die jüdische Bevölkerung praktisch vollständig ermordet haben. Geboren wurde er 1978 in sehr ärmlichen Verhältnissen mit Russisch als Muttersprache. Das konnte ihn aber nicht davon abhalten, eine ukrainische Identität zu entwickeln.

Seine spätere Frau Olena Kijaschko lernte er mit 18 kennen, sie gingen in Parallelklassen in die gleiche Schule. 8 Jahre später heirateten sie und haben 2 Kinder zusammen. Über Olena ist kürzlich ein sehr interessanter Artikel im “Vogue” erschienen. Eine beeindruckende Frau. Auch sie ist mit russisch als Muttersprache aufgewachsen und musste Ukrainisch erst in der Schule lernen. Jetzt reist sie in die USA und hält Reden im dortigen Kongress.

Selensky hat zwar Jus studiert, ist aber schon sehr früh ins Kabarett abgedriftet, und das unglaublich erfolgreich. Mit einigen Kolleg:innen der ersten Stunde hat er bis zu Beginn seiner politischen Karriere zusammengearbeitet. Letztlich hat er für seine Kabarettgruppe eine eigene Firma mit über 100 Angestellten und Millionenumsätzen gegründet. Dadurch wurde er verhältnismäßig reich, besitzt mehrere Wohnungen in der Ukraine, sowie ein Haus in Italien und ein Apartment in London. Er trat auch häufig in Russland auf, hatte einen Firmensitz in Moskau. Er unterstützte russische Künstlergruppen, als diese in der Ukraine aufgrund der russischen Aggressionen nicht mehr gerne gesehen waren. Aber mit der Besetzung der Krim durch Putin, und mit dem Kriegsbeginn im Donbass 2014, zog sich Selensky auf Nimmer-Wiedersehen aus Russland zurück.

Den Schwenk in die Politik begann er durch sein politisches Kabarett. Eine seiner erfolgreichsten Filmserien war “Diener des Volkes”, in der er einen Lehrer spielt, der von seinen Schülern für die Präsidentenwahl nominiert wird und diese auch gewinnt. Im Jahr 2018 gründet er eine politische Partei mit dem Namen “Diener des Volkes” und tritt 2019 nicht nur zur Wahl an, sondern gewinnt diese auch noch haushoch mit, wie gesagt, 73 % der Stimmen. Ich kann irgendwie gut nachvollziehen, was da in ihm vorgegangen sein muss. Er wollte zweifellos die Politik in der Ukraine vollständig reformieren und die Korruption beenden. Doch oft steht man dem System gegenüber hilflos da.

Bei den Parlamentswahlen 2019 musste er hunderte Abgeordnete nominieren, um eine Mehrheit zu bekommen, sodass er seine Politik umsetzen kann. Daraufhin machte er ein Abgeordneten Casting. Er rief dazu auf, sich zu melden, wer bei ihm Abgeordneter sein will. Und mit diesen Personen führte er persönlich Bewerbungsgespräche. Bei der Wahl gewann seine Partei auf Anhieb 45 % der Stimmen und 254 Sitze. Für diese Abgeordneten organisierte er eine einwöchige Schulung mit Unterricht von 9-22 Uhr durch Expert:innen in Sachen Transport, Infrastruktur, Sicherheit, Verteidigung, Makroökonomie und Steuerpolitik. Eine wirklich spannende Idee.

Wie weit er mit seinem Reformprogramm gekommen ist und was ihm für Hindernisse begegneten, kann ich nicht sagen. Faktum ist, er verlor viel der anfänglich euphorischen Zustimmung der Bevölkerung, weil sich in den ersten beiden Jahren seiner Regierung nichts Großes änderte. Aber als jemand, der sich gesellschaftspolitisch engagiert, weiß ich, dass die Zeitskalen für Änderung viel länger sind. Faktum ist jedenfalls, dass er versucht hat, mit Russland einen Ausgleich und Frieden zu finden, und dass er sich nach dem Westen orientiert und den Anschluss an die NATO und die EU gesucht hat, die letzteren beiden allerdings vergeblich.

Und dann kam der Krieg. Ukraine hat ein Glück, in dieser Krise einen solchen Präsidenten zu haben. Die russische Propaganda gegen ihn greift nicht: weder ist er drogensüchtig, noch ein Nazi. Er ist, soweit das aus seiner Biographie zu sehen ist, ganz klar ein Demokrat westlicher Ausrichtung. Und genau deshalb wurde er aus Sicht des faschistischen Imperialisten Putin zum Todfeind.

Seit Kriegsbeginn ist Selensky Tag und Nacht um Hilfe von außen bemüht und versucht die Moral seiner Bevölkerung zur Verteidigung aufrecht zu erhalten. Und das sehr erfolgreich. Laut Biographie ist er aus Sicherheitsgründen völlig von seiner Familie getrennt. Als Familienvater kann ich nachempfinden, wie schrecklich das ist.

Ich hoffe, dass die faschistischen Putin-Truppen möglichst bald vollständig aus der Ukraine vertrieben werden und wieder Frieden einkehrt. Dann muss der Wiederaufbau beginnen. Nach allem, was ich von Selensky gesehen und gelesen habe, ist er genau der richtige Mann dafür. Ich wünsche ihm und seinem Land das Beste.

6 Gedanken zu “Wolodymyr Selenskyj

  1. Danke für die hervorragende Analyse. Wichtig ist sie auch deshalb, weil der Kampf für Tierrechte und das Eintreten für Menschenrechte zusammengehören. Ich stimme mit Martin Balluch 100 % überein und auch ich wünsche Selensky und seinem Land das Beste!

    1. @Neria Salomon
      Meinem Eindruck nach macht er es so gut es eben geht. Aber wie auch immer, unsere Aufgabe ist, die Ukraine mit allen Mitteln zu unterstützen und den Kriegsverbrecher und Kinderschänder Putin vor den internationalen Gerichtshof zu bringen, mit der Hoffnung, dass er dort lebenslänglich erhält und die Welt nie mehr terrorisieren kann. Dafür friere ich gerne im Winter ohne Gas, wenn es notwendig ist. Nichts ist schlechter als die Alternative, dass dieser Massenmörder und Obernazi weiterhin frei herumläuft.

  2. Heutzutage glaubt jeder ahnungslose Zelenskyfan er wäre schlauer wie der gesamte Mainstream zusammen und jede Halbwahrheit oder glatte Lüge die er liest, als das Nonplusultra des Hobbyrevolutionärs im Kampf gegen die russische Bestie

    1. @Helena Krewata
      Ausnahmslos alles, was in diesem Krieg geschieht, ist die Schuld von Massenmörder Putin. Jede Grausamkeit seiner Soldat:innen genauso, wie etwaige Gewalt der Gegenseite. Putin könnte sofort den Krieg beenden und damit wäre die Gewalt vorbei. Die einzige Alternative ist, diesen wahnsinnigen Kriegsverbrecher mit allen Mitteln zu stoppen. Ich bin den Staaten sehr dankbar, die schwere Waffen liefern, und meine, es sollten nicht nur die Sanktionen verschärft, sondern von uns aus der Gas- und Olhahn abgedreht werden. Mit Verbrechern macht man keine Geschäfte. Mit Verbrechern verhandelt man auch nicht. Die bringt man vors Gericht und aus.

      1. @Martin Balluch
        Ich denke, es ist über Selensky schwer zu urteilen, weil wir hier zu wenig Informationen über ihn haben. Mut hat er jedenfalls. Leider bleibt im Krieg die Wahrheit als erstes auf der Strecke, heißt es. Deshalb sollte man jede/n der/die involviert ist, nach den Taten beurteilen und nicht nach dem Gerede anderer. Deshalb urteile ich nicht. Was man aber sagen kann ist, dass er äußerst erfolgreich psychologische Kriegsführung betreibt. Und er hat gezeigt, wie wenig effektiv das russische Militär ist. Das war für viele Menschen eine große Überraschung. Es war auch eine große Überraschung, wie brutal die Russen in Europa vorgehen. Haben sie auch in Tschetschenien so gemacht. Wenn sie aber schreiben: “Mit Verbrechern macht man keine Geschäfte. Mit Verbrechern verhandelt man auch nicht. Die bringt man vors Gericht und aus.” muss ich sagen, dass ich das für naiv halte. Europa wendet sich von Russland – zu Recht, aber zu spät – als Handelspartner ab, um gleichzeitig anderen Aggressoren in den Allerwertesten zu kriechen. So lange die Kasse stimmt, macht man mit jedem Tyrannen und Kriegsverbrecher Geschäfte. Nur wenn die eigenen Interessen gestört werden, regt man sich plötzlich auf. Wen interessiert z. B. der Krieg im Jemen? Deutschland liefert dorthin übrigens auch Waffen. An den Sudan und an die arabischen Emirate, die an diesem Krieg beteiligt sind. Mein Mitgefühl den Menschen in der Ukraine (und auch den Tieren, die dort ebenfalls schrecklich leiden müssen). Leider scheint die Ukraine ein Gebiet zu sein, welches jeder haben möchte. In der Vergangenheit wurde es nicht nur von Hitler angegriffen, sondern davor auch von Österreich (Kaiserreich) und von Deutschland (Kaiserreich). Ich wünsche den Menschen die dort leben, dass sie bald wieder zur Ruhe kommen mögen.

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