25. November 2024

Zum Velten-Gutachten im Tierschutzprozess

20140116_Podiumsdiskussion1_kleinDas Gutachten von Univ.-Prof. Petra Velten, https://martinballuch.com/?p=3695 im vollen Wortlaut, ist ein Meilenstein in der Diskussion über die Gefahr der Nötigungsparagraphen 105 und 106 des Strafgesetzbuches für zivilgesellschaftliche Kampagnen. Der Art, wie das Berufungsurteil des OLG Wien im Tierschutzprozess verfasst ist, kann deutlich entnommen werden, wie weite Kreise der Justiz uns Angeklagten im Tierschutzprozess gegenüber eingestellt sind. Offenbar will man entweder unsere Kampagnen direkt verhindern oder zumindest irgendeine Form der Verurteilung im Tierschutzprozess erreichen, um das Gesicht zu wahren. Das Gutachten deckt diesen weltanschaulich-politischen Hintergrund schonungslos auf.

So nennt das OLG Wien bei der Abwägung über die Rechtmäßigkeit der Nötigung als Mittel die Absatzeinbußen anstelle der Kundgebungen, die ja durch die Verfassung gedeckt sind und daher als legitim gesehen werden müssten. Der Zweck ist nach dem OLG die Verhinderung des Pelzverkaufs statt dem eigentlichen Fernziel, Tiere zu schützen. Velten nennt das einen „Auslegungstrick“, der das Ergebnis schon prädestiniert. Aber das sei nicht schlüssig. Wenn ein Wanderer in eine Almhütte einbricht, um sich einem Notbiwak im Freien in der Nacht am Berg zu entgehen, dann muss zur Beurteilung der Rechtsmäßigkeit auch abgewogen werden. Wenn man  statt dem Fernziel, zu überleben, den Zweck betrachtet, um in der Hütte zu sein, würde auch diese Notsituation keinen Einbruch rechtfertigen. Nach Velten sei es für eine gerechte Abwägung unabdingbar, das Fernziel einzubeziehen. Und im Fall des Tierschutzprozesses und der dort betrachteten Nötigung ist dieses der Tierschutz, der ja mittlerweile als Staatsziel Verfassungsrang genießt. Da würde sich das OLG schwer tun, diesen Zweck nicht als legitim anerkennen zu müssen.

Aber das OLG schließt in seiner Rechtsansicht letztlich jede Abwägung aus. Es wird behauptet, dass eine Nötigung nur dann nicht rechtswidrig wäre, wenn der Täter ein Recht auf den Zweck hat. Dann sei eine Drohung das mildere Mittel als die Klage, zu seinem Recht zu kommen, und deshalb legitim. Das widersprecht § 105 Absatz 2, so Velten, wo eine Abwägung gefordert wird. Würde man diese Auslegung des OLG Ernst nehmen, dann wären sehr viele soziale Interaktionen als Nötigung zu bestrafen. Velten nennt insbesondere den Streik für eine Gehaltserhöhung, auf die die Streikenden ja kein Recht haben. Aber auch ein Zahnarzt, der sich weigert, einen Patienten zu behandeln, sollte sich dieser nicht vorher die Zähne putzen, oder ein Wahlkomitee, das seine Unterstützung für einen Kandidaten davon abhängig macht, dass dieser keine ausländerfeindlichen Parolen verbreitet, würden sich strafbar machen.

Veltens Antwort für eine rechtskonforme Lesart von § 105 (2) ist bestechend einfach: Konnexität. Wenn nach dem Gesetz ein bestimmtes Mittel für einen bestimmten Zweck eingesetzt werden darf, dann kann die bloße Androhung dieser Anwendung nicht rechtswidrig sein, weil sie das gelindere Mittel darstellt, als die – legale – Umsetzung des Zwecks durch das Mittel selbst. Im öffentlichen Recht, so Velten, sei dieser Weg des gelindesten Mittels sogar Voraussetzung vor der Anwendung von Zwangsmitteln. Im konkreten Fall des Tierschutzprozesses ist zunächst zu beachten, dass es völlig legal ist, meint Velten, Demonstrationen durchzuführen, um KundInnen, indem man sie überzeugt, davon abzuhalten, in einem tierfeindlichen Geschäft einzukaufen. Das sei Teil des Demonstrationsrechts und von einer Firma hinzunehmen, solange die DemonstrationsteilnehmerInnen nicht aktiv den Eingang zum Geschäft blockieren und dergleichen. Die Drohung an die Geschäftsleitung, derartige Demos durchzuführen, sei dann die Eröffnung einer Verhaltensalternative für die Geschäftsleitung, ohne Demos auszukommen, und damit ein legitimes, ja sogar zu begrüßendes, milderes Mittel.

Wer begehe die Straftat: die DemonstrantInnen oder die den Boykott durchführenden KonsumentInnen?

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch noch, dass die AktivistInnen ja den angeblichen Vermögensschaden durch geringeren Umsatz gar nicht selbst zufügen, sondern nur andere durch ihre Demo dazu verleiten. Maßgeblich für die rechtliche Einordnung ist aber in so einem Fall, so Velten, nicht die Handlung selbst (hier die Demo), sondern die Handlung, zu der bestimmt werden soll, also der Boykott der Firmen, die Tierpelz verkaufen. Die BestimmungstäterInnen, also die AktivistInnen, in größerem Ausmaß haften zu lassen, als die unmittelbaren TäterInnen, nämlich die KonsumentInnen, die nicht mehr dort einkaufen, sei problematisch. Abgesehen davon setze eine Drohung im Rahmen einer Nötigung voraus, das die TäterInnen das Übel beherrschen würden. In diesem Fall aber entscheiden die KundInnen frei nach eigener Überzeugung und die AktivistInnen könnten diesen Schritt nicht erzwingen. Abgesehen davon sei ein Verlust einer Absatzchance etwas Anderes als eine Vermögensverletzung, da der zukünftige Umsatz nicht bereits vor seiner Realisierung zum Vermögen der Firma gezählt werden kann. Wer schlicht und einfach etwas nicht kauft, greift deshalb nicht in ein rechtlich geschütztes Vermögen des Verkäufers ein.

Velten schließt mit der Beobachtung, dass durch den breiten Raum, den § 105 (2) mit seinem Bezug zur Sittenwidrigkeit für die Anwendung offen lässt, Artikel 18 der Bundesverfassung widersprochen wird, da dieser ja eine Bestimmtheit von Gesetzestexten fordert, nach deren Lektüre verständige BürgerInnen wissen können müssen, ob sie sich bei dieser oder jener Handlung strafbar machen oder nicht. Strafnormen müssten so verfasst sein, meint Velten zurecht, dass man die durch sie eingeräumte Freiheit erkennen und so auch nutzen kann. Gerade im Bereich des politischen Aktivismus und des demokratischen Engagements muss dieser Freiraum unbedingt gewahrt bleiben. § 105 (2) müsse also deutlich machen, dass die Androhung einer legalen Handlung nur dann eine rechtswidrige Nötigung sein kann, wenn durch die Drohung ein Erfolg erzielt wird, den man nicht auch durch die legale Zufügung des Übels ohnehin hätte erreichen können. Im Fall der Kampagne gegen den Tierpelzverkauf heißt das: Entweder den TierschützerInnen gelingt es, die KonsumentInnen zu einem breiten Kaufboykott der entsprechenden Firma zu bewegen, dann würde diese auch mit dem Pelzhandel aufhören müssen, oder es gelingt ihnen nicht, dann gäbe es sowieso keine Drohwirkung. In jedem Fall liegt keine rechtswidrige Nötigung vor, wenn die AktivistInnen der Firma ihre Kampagne androhen, um sie ohne Durchführung der Kampagne zum Einlenken zu bewegen.

Auf Basis dieses Gutachtens lässt sich trefflich argumentieren, warum alle Personen, die sich im Rahmen des Verfahrens selbst angezeigt haben, nicht strafrechtlich verfolgt werden dürfen!

150 Interessierte waren bei Präsentation des Gutachtens anwesend: https://vgt.at/presse/news/2014/news20140117es.php

Ein Gedanke zu “Zum Velten-Gutachten im Tierschutzprozess

  1. Was in dem Gutachten auch angesprochen wurde, sollte man noch genauer ausführen und logisch überlegen was das Gericht da unterstellt.

    Die Richterinnen haben auch nicht beachtet, dass man gar nicht abschätzen kann, ob überhaupt eine Kaufabsicht jemals bestanden hat. Niemand kann feststellen, ob Passanten in das Geschäft gehen wollten und sich durch eine Demo davon haben abhalten lassen, oder sich davon abhalten lassen würden. Viele Menschen gehen auch in Geschäfte ohne Kaufabsicht. Sie sehen sich nur die Produkte an und vergleichen Preise. Da Kleiderbauer (und andere Geschäfte) viele verschiedene Produkte führt, wirkt es sich auf den Umsatz sicher nicht wesentlich aus, wenn einzelne Kunden keine Pelzprodukte dort kaufen. Es ist allgemein so, dass die Nachfrage nach Pelz gesunken ist und es ist nicht möglich im Einzelnen festzustellen warum das so ist, also ob eine bestimmte Demo überhaupt irgendeine Auswirkung hat, oder haben würde. Das Kaufverhalten der Menschen hat sich an sich geändert. Jeder der ins Geschäft geht sieht ja selbst, ob dort Pelz geführt wird, oder nicht. Das muss man den Leuten eigentlich nicht extra mitteilen. Es könnte sogar sein, dass der gegenteilige Effekt erzeugt wurde, oder würde, weil Menschen auch dazu neigen sich auf den “Justament-Standpunkt” zu stellen. Jemand der für Pelzmode ist, könnte also sogar absichtlich bei Kleiderbauer Pelz kaufen, um damit gegen den Willen der Tierschützer zu handeln. Ich könnte mir vorstellen, dass Firmen die Pelz führen dies bewusst auszunützen versuchen, weil sie diesen indirekten, kostenlosen Werbeeffekt herbeiführen wollen. Es gibt ihnen die Möglichkeit, sich als Opfer darzustellen. Ein Beispiel: Kleiderbauer ging 2000 in Konkurs, nachdem 200 Millionen Schilling investiert wurden. Danach wurde die Firma von der Familie Graf gekauft und eröffnet bis heute neue Filialen. Da hat man nicht den Eindruck, diese Firma würde durch Demonstrationen, oder durch verändertes Kaufverhalten in Bedrängnis geraten sein. Wenn Kleiderbauer expandieren kann, muss ja theoretisch der Umsatz und der Gewinn gestiegen sein. Da könnte man dann auch argumentieren, die Demos und andere, angedrohte Aktionen hätten den Umsatz gesteigert.

    Und einmal ganz abgesehen von der Frage was durch angedrohte Demos erreicht wurde, oder eben nicht: Wenn ich alles richtig verstanden habe, wurde von den betroffenen Firmen auf die Forderungen, auf das Führen von Pelz zu verzichten nicht wirklich eingegangen. Oder irre ich mich da? Falls ich mich nicht irre, wäre es sowieso keine Nötigung, sondern nur versuchte Nötigung.

    Graf hat sogar behauptet, gar keinen Pelz zu verkaufen.

    “Werner Graf, Geschäftsführer der Kette, erklärt es sich so: „Wir sind das populärste Ziel“, sagt Graf. „Ein Geschäft auf der Mariahilfer Straße bringt Publicity.“ Pelze würde sein Unternehmen „seit jeher“ nicht verkaufen, „nur in minimalem Ausmaß Pelzverbrämungen“.”

    http://diepresse.com/home/recht/439742/Wir-sind-das-populaerste-Ziel

    Wie kann er dann genötigt worden sein? Das wäre dann ja sogar eine falsche Anschuldigung den Tierschützern gegenüber.

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