Die Frage der Tierversuche ist ein komplexes Thema. Im Für und Wider spielen viele Aspekte mit hinein, die eine Diskussion oft nicht einfach machen. Plattitüden sind jedenfalls hier fehl am Platz, denke ich. Manche Menschen z.B. identifizieren Tierversuche mit Wissenschaft, und Wissenschaft wiederum mit einem mechanistisch-materialistischen Bild vom Menschen, mit der Schulmedizin als chemisch-technischer Holzweg, der nie zu menschlicher Gesundheit führen kann. Ich aber bin mit Herz und Seele Naturwissenschaftler, und ich halte sehr viel von der Schulmedizin, und trotzdem plädiere ich für ein völliges Ende aller Tierversuche. Meine Bedenken sind in allererster Linie ethisch.
Aber nicht nur. Mein wissenschaftstheoretisches Argument gegen Tierversuche ist das Folgende. Entweder man weiß genug über die Funktionsweise des Körpers und des Immunsystems eines Tiers, dann müsste man das ja am Computer simulieren oder mit Zellkulturen auf Mikrochips ersetzen können. Oder man behandelt den Körper des Tiers als „Blackbox“, d.h. man belastet ihn mit irgendetwas im Rahmen des Tierversuchs und schaut sich das Ergebnis an, ohne zu verstehen, was eigentlich passiert. Dann ist das keine Wissenschaft sondern lediglich ein Spiel mit „Versuch und Irrtum“, ein blindes Probieren. Dieses kann mir Anregungen und Ideen liefern, was wissenschaftlich noch zu klären ist oder in welche Richtung geforscht werden soll, aber nicht mehr. Der Tierversuch ist damit nur eine von vielen Methoden, Ideen und Inspiration zu erhalten. Doch für bloße Inspirationen Tiere zu quälen und zu töten ist jedenfalls fragwürdig.
Dieser wissenschaftstheoretische Vorbehalt, dass Tierversuche eben nur sehr bedingt als Wissenschaft zu bezeichnen sind, bestätigt sich auch durch ihre mangelnde Reproduzierbarkeit. Wenn nach einem Tierversuch ein anderes Institut mit gleichem Tierstamm die gleichen Versuche vornimmt, stellt sich heraus, dass generell andere Ergebnisse herauskommen. Wenn Mäuse z.B. in einem Käfig nahe an einer Tür, oder bei einem Ventilatorsystem oder einer Leuchtstoffröhre leben müssen, so reagiert ihr Immunsystem anders, als wenn sie weit weg von Störquellen leben. Als Naturwissenschaftler habe ich mit dem Computer Modelle z.B. vom Ozonloch oder dem Klimawandel berechnet. Wenn mein Computer andere Resultate geliefert hätte, je nach dem, ob er nahe bei einer Lichtquelle oder einer Tür gelegen ist oder nicht, dann hätte ich ihn aus dem Fenster geworfen. Wissenschaft setzt Reproduzierbarkeit voraus. Wenn diese nicht gegeben ist, dann fehlt ein essentielles Element. Der Tierversuch ist also nur eine induktive Methode Hypothesen über Wirkmechanismen zu entwickeln, die dann erst wissenschaftlich untersucht werden müssen. Mehr kann er nicht leisten. Sicherheit bietet er jedenfalls nicht und notwendige Voraussetzung für wissenschaftlichen oder auch nur medizinischen Fortschritt ist er keinesfalls.
Wie hätte ich das in dieser Diskussion erklären können? Der Moderator meinte, die emotionalisierten TierversuchskritikerInnen am Podium scheinen besser zu wissen als die ForscherInnen selbst, welchen wissenschaftlichen Wert Tierversuche haben. Ich glaube nicht. Die ForscherInnen sind nur von Universitäten und Firmen angestellt, die Tierversuche durchführen, und die sich deshalb jede ernsthafte Kritik daran verkneifen müssen. Als ich die Tierversuche in experimenteller Psychologie an meiner Uni Cambridge 1995 kritisiert habe, wurde ein Disziplinarverfahren gegen mich eingeleitet. Man beiße nicht die Hand, die einen füttert. Kein Wunder also, dass man eine wissenschaftliche Kritik an Tierversuchen von Angestellten an Universitäten und in Firmen, die Tierversuche durchführen, nie hört.
Bei der Diskussion im Hangar 7 meldete sich vor allem Molekularbiologe Martin Moder in dieser Sache zu Wort. Tierversuche seien wissenschaftlich unabdingbar und selbst für die Entwicklung von Alternativen notwendig. Nachdem die Kameras abgedreht waren, sprachen wir weiter. Ja, sagte mir Moder, als er und seine KollegInnen den Ratten im Tierversuchslabor Klopapierrollen in die Käfige steckten, um ihre Umwelt zu bereichern, gab es die Auflage, das in jedem Käfig absolut gleich zu machen, weil sich sonst die Ergebnisse der Versuche zu sehr ändern! Und dass die Resultate nicht reproduzierbar sind, nannte Moder das größte Problem bei Tierversuchen. Er selbst forscht zwar in der Molekularbiologie, hat aber selbst noch nie einen Tierversuch gemacht (Versuche an Fruchtfliegen gelten nicht als Tierversuche, weil sie keine Wirbeltiere sind) und lebt sogar aus ethischen Gründen vegetarisch. Das alles hat er den ZuhörerInnen verschwiegen.
Die Diskussion wurde am 24. September 2015 um 22:20 Uhr auf Servus TV ausgestrahlt: http://www.servustv.com/at/Medien/Talk-im-Hangar-7106
Liebe Herr Balluch,
ich habe die Diskussion mit Ihnen und den anderen Teilnehmern sehr genossen und bin froh dass trotz dieses emotionalen Themas eine erwachsene Debatte stattfinden konnte. Obwohl ich Ihnen in einigen von den Punkten die Sie in diesem Artikel nennen natürlich nicht zustimmen kann, möchte ich zumindest zu den Aussagen bezüglich meiner Person Stellung nehmen.
Es gibt keine Auflage die verlangt hätte, dass sich in jedem Maus Gehege eine Rolle befinden muss. Das habe ich so auch nicht behauptet. Trotzdem versucht man genügend aufzutreiben, einerseits damit jede Maus etwas zum Spielen hat, andererseits natürlich um die Anzahl der Variablen innerhalb eines Versuchs zu minimieren. Das ist keine Eigenheit der biologischen Forschung, sondern war Ihnen als Astrophysiker sicherlich auch ein Anliegen.
Ich mache kein Geheimnis daraus dass ich Vegetarier bin und verstehe nicht warum man mir vorwirft meine Essensgewohnheiten nicht in eine Diskussion über Tierversuche einfließen zu lassen. Sie kennen sicherlich den blöden Witz: „How do you know if someone is vegan? Don’t worry, they’ll tell you.” Ich weiß nicht, was das mit dem Thema der Sendung zu tun hat, aber wenn Sie möchten nehme ich gerne kurz dazu Stellung. Die Frage die ich mir als Konsument stelle lautet: Rechtfertigt mein Geschmackserlebnis die Zustände in der Tierhaltung. Diese Frage habe ich für mich mit „nein“ beantwortet. Die Frage die ich mir als jemand in der medizinischen Forschung stellen muss lautet: Darf ich eine Maus töten für die Chance, kranken Menschen zu helfen. Versetzen Sie sich in meine Situation. Ich arbeite an einer derzeit unheilbaren Krankheit mit einer mittleren Lebenserwartung von 29 Jahren. Derzeit teste ich tausende potentielle Medikamente und genetische Interaktionen an menschlichen Zellen, in der Hoffnung die Krankheitsausprägung zu reduzieren. Die Resultate werden in vielen weiteren Zellkulturmodellen überprüft und bestätigt werden müssen, aber ich kenne mein Forschungsgebiet gut genug um Ihnen garantieren zu können, dass der Punkt kommen wird, an dem ich testen muss ob diese Behandlungsformen tatsächlich in einem Organismus wirksam sind und es sich nicht um Artefakte des Zellkultursystems handelt. In diesem Kontext habe ich entschieden dass ich einen Versuch an der Maus vor mir selbst verantworten kann.
Ich habe Grundlagenfoschung an Würmern gemacht und Krebsforschung an Fliegen betrieben. Obwohl ich nicht mit Ihnen einer Meinung bin wenn sie behaupten, Fliegen hätten kein Bewusstsein, hat der Gesetzgeber dafür keine großartige Regulation vorgesehen. Ich habe selbst nicht direkt mit Mäusen gearbeitet, das habe ich auch nie behauptet. Allerdings war ich in unterschiedlichen Labors, in denen andere Leute meiner Gruppe mit Mäusen gearbeitet haben, ich kenne also die Maushäuser, weiß wie alles abläuft und war ausreichend in die Versuche meiner Kollegen involviert um Ihnen versichern zu können dass der Mausversuch dabei absolut unverzichtbar war (waren alle medizinisch orientiert).
Schauen Sie, es braucht Leute wie Sie und den Herrn Mülln, damit nicht einfach ALLES erlaubt ist. Wenn man aber behauptet Grundlagenforschung wäre irrelevant und eigentlich bräuchte man heute keine Tierversuche in der Medizin, dann ist das leider falsch. Die neuen und erfolgreichen Immuntherapien bei Krebs (z.B. CTLA-4 oder PD-1 Inhibitoren) sind nur ein Beispiel von vielen die veranschaulichen, dass Grundlagenforschung aber auch das Tiermodell zurzeit unverzichtbar sind.
Momentan tut sich viel in der Forschung. Man hat begonnen die molekularen Interaktionen sämtlicher Zelltypen aller Gewebe systematisch zu mappen. Neue high-throughput Methoden machen das möglich. Vielleicht ergibt sich daraus irgendwann ein Modell, das bessere Vorhersagen trifft als das Tier. Das wäre großartig und ich kenne keinen Forscher der das nicht begrüßen würde. Aber noch ist es leider nicht so weit.
Ich habe nicht den Wunsch irgendjemanden etwas zu verschweigen, sonst hätte ich diese Dinge nach der Aufzeichnung nicht mit Ihnen und Herrn Mülln besprochen. Es gibt viele Dinge die ich noch gerne in die Diskussion eingebracht hätte, so geht es Ihnen vermutlich auch, aber die Zeit verging wie im Flug.
Jedenfalls fand ich es schön dass wir nach der Sendung alle zusammensitzen und nett plaudern konnten.
LG,
Martin Moder