22. November 2024

Ist die Verfassung durch nackte TierschützerInnen gefährdet?

Die Funktion des Bundesamts und der 9 Landesämter für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT und LVTs) ist mir nicht ganz klar. Naiv möchte man meinen, dass es deren Aufgabe ist, unsere freiheitliche Bundesverfassung und die darin enthaltenen Grundprinzipien, wie die Demokratie, und die Grundrechte, wie jene auf Meinungs- oder Versammlungsfreiheit, gegen demokratie- und grundrechtsfeindliche Kräfte zu schützen, die eine Diktatur anstreben und die bürgerlichen Freiheiten aushebeln wollen. Ich denke da z.B. an Machtkartelle in der Tierindustrie und der Jägerschaft, die Netzwerke aufbauen, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen und Institutionen des Staates politisch dafür instrumentalisieren und zweckentfremden.

Doch seltsamer Weise scheint es die Hauptaufgabe von BVT und LVTs zu sein, Tierschutzaktionen zu beobachten, Tierschutzgruppen zu bespitzeln und detaillierte Archive von AktivistInnen anzulegen. Bei jeder unserer Kundgebungen sitzen irgendwo auch LVT-BeamtInnen in zivil, und filmen und fotografieren alle TeilnehmerInnen. Ein LVT-Beamter war der Hauptbelastungszeuge gegen mich in der Zivilklage der nö Landwirtschaftskammer, die, wie berichtet, ein mir gerichtlich auferlegtes Verbot anstrebt, zu Aktionen des zivilen Ungehorsams anzustacheln. Ein Salzburger LVT-Beamter lieferte die Identitäten zweier BesetzerInnen der dortigen Landwirtschaftskammer anlässlich der Kastenstandkampagne, gegen die deshalb jetzt wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt ermittelt wird – sie sollen eine Bürotür zugehalten haben, obwohl die Polizei hineingehen wollte.

Und auch heute, bei einer völlig harmlosen Aktion vor der kanadischen Botschaft in Wien, spielte das LVT die zentrale Rolle. 7 TierschützerInnen hatten beschlossen, sich im Rahmen einer angemeldeten Kundgebung nackt auf den Boden zu legen und mit Kunstblut übergießen zu lassen, um auf das Erschlagen von 400.000 Robben im kanadischen Packeis, das momentan läuft, hinzuweisen. Als sich der erste Aktivist nackt auszog, schrie ein Polizist neben mir, dass das den Anstand verletzen würde und er sich sofort anziehen müsse. Ich versuchte den Beamten zu beruhigen und erklärte, dass die Geschlechter bei der Aktion sowieso abgedeckt sein werden, dass wir bereits im 21. Jahrhundert leben und in der Lobau seit über 100 Jahren die Nackten herumlaufen, und dass auf kommerziellen Werbebildern in jeder Zeitung mehr zu sehen ist, als hier bei dieser politischen Aktion, und die Verfassung den politischen Ausdruck und nicht die Werbung schütze. Die Nackten würden aber unserer Kundgebungsanmeldung widersprechen, meinte der Polizist aufgebracht. Naja, die Anzahl der getragenen Unterhosen der TeilnehmerInnen der Kundgebung waren tatsächlich in unserer Anmeldung nicht angeführt. Also wandte sich der Beamte direkt neben mir an den LVT und fragte um Rat. Und der LVT schritt sofort ein, offenbar drohten 7 Nackte die österreichische Bundesverfassung zu gefährden.

Gut 20 PolizistInnen wurden zusammengezogen, umstellten die Nackten und forderten sie zur Ausweisleistung auf. Als diese der Aufforderung nicht nachkamen, wurde die Verhaftung ausgesprochen. Ich bot den BeamtInnen meinen Ausweis an – bin ich doch längst amtsbekannt – und argumentierte, dass bei einem Polizeieinsatz auch nur der/die EinsatzleiterIn auf Anfrage die Dienstnummer herzeigen muss, also im Fall der Tierschutzaktion eben nur der Organisator. Dieses Argument schien aber den BeamtInnen zu kompliziert zu sein, jedenfalls waren sie zu keiner Entgegnung fähig. Auf mich machte das harte Vorgehen des LVT – übrigens unter Leitung des ehemaligen SOKO-Chefs und gerichtsnotorischen Lügners Erich Zwettler – den Eindruck, man wolle die Chance nutzen, um die Identität möglichst vieler TierschutzaktivistInnen festzustellen. So könnte sich die zukünftige Überwachung vereinfachen. Ich empfahl den Anwesenden, keinen Ausweis zu zeigen. Wir setzten uns auf den Boden, um passiven Widerstand zu leisten. Ein ORF-Filmteam von „Am Schauplatz“ dokumentierte das Geschehen. Nach einiger Zeit sprach der Einsatzleiter der Polizei plötzlich die Enthaftung der AktivistInnen aus, ohne ihre Identität festgestellt zu haben.

Es gibt keine Ausweispflicht in Österreich. Und wenn schon das LVT nicht unsere Grundrechte schützt, dann müssen wir das mit Zivilcourage eben selber tun. Was aber, umgekehrt, das LVT dazu veranlasst, sich für derart harmlose Tierschutzaktionen zu interessieren, kann mir niemand erklären. Auf Anfrage sagte mir das Innenministerium, dass polizeitaktische Maßnahmen mit mir nicht besprochen würden.

PS: Letzten Sonntag kam überraschend die Polizei zu mir nach Hause und überreichte mir einen 5 Monate alten Strafbescheid über € 250, gleich zusammen mit dem entsprechenden Exekutionstitel und der Drohung, sollte ich nicht sofort zahlen, mich für 14 Tage in Haft zu nehmen. Ich hätte besagte Aktion des zivilen Ungehorsams, für die mich die nö Landwirtschaftskammer geklagt hatte, organisiert und müsse dafür Verwaltungsstrafe zahlen. Ich habe jetzt dagegen Einspruch erhoben und dabei argumentiert, dass mir dieser Strafbescheid bis letzten Sonntag nicht zur Kenntnis gebracht worden war. Der Druck auf mich soll offenbar erhöht werden.

6 Gedanken zu “Ist die Verfassung durch nackte TierschützerInnen gefährdet?

  1. In anderen Ländern findet niemand etwas dabei wenn jemand nackt ist. http://diepresse.com/home/kultur/kunst/514966/Nackt-oder-verkleidet_Ende-fuer-lebende-Skulpturen-in-London?from=rss Auch die Presse nicht. Wäre eine Kunstaktion auch durch die Polizei beendet worden? Man sollte vielleicht einmal Vergleiche anstellen um festzustellen worum es geht. Um die Nacktheit, oder um die Aussage? Probiert mal zur Probe eine Kunstaktion aus. Das könnte man auch umkehren und total verschleiert demonstrieren. Was vielleicht noch mehr auffallen würde als eine “Nackt-Demo”. 😉

  2. Ich finde das nur mehr schlimm! “Schikane” trifft es schon ziemlich. Ich nenne das Terror! Das it Terror: Menschen daran hindern wollen ihre Meinung kund zu tun, Menschen daran hindern wollen, sich für eine gute Sache einzusetzen. Menschen bespizeln und Akten anlegen! Es ist echt so: Man braucht nur wo ein Plakat auflegen und zwei Buttons an der Jacke tragen, schon wird man von der Stasi fotografier! Arg ist das! Wie lang sollen wir uns diesen Mist noch gefallen lassen??? Man wird in diesem Land ja völlig entrechtet!!!

  3. Polizei und Stasi machen offensichtlich seit längerem schon keinen Hehl mehr daraus, dass sie aus nichtigen Gründen gezielt gegen Tierschützer, deren legale Aktionen und dem Staatsfeínd Martin Balluch vorgehen. Wenn für so unsinnige Observationen genügend Personal zur Verfügung gestellt wird und in Zeiten von Wirtschaftskrise und Sparpaket die Kosten dafür keine Rolle spielen, so kann es nur den einen Hintergrund haben, nämlich dass ein Haufen hochgestellter “Persönlichkeiten” aus Politik, Wirtschaft, Jägerschaft etc. – traditionell aus dem Dunstkreis der ÖVP – dieses Vorgehen initiieren und fördern – … naja, ist aber ohnehin nichts Neues mehr. Der Besuch der Polizei, noch dazu sonntags, zeugt jedenfalls schon von fortgeschrittenem schikanösen Vehalten seitens der Behörden.

    Mir ist es mittlerweile schon immer mehr ein Anliegen, Leute, falls diese es nicht ohnehin schon längst mitbekommen haben, über die rechtsstaatlich bedenkliche Vorgangsweise von Polizei, Stasi, Justiz und die Machenschaften rund um die ÖVP zu informieren.

  4. Nur Mut!

    An Ihrer Stelle würde ich mit all den damals Mitinhaftierten zusammen eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof einreichen. Auf folgender Seite finden Sie sämtliche Gesetzte:

    http://www.dejure.org

    Beim genauen Durchsehen können Sie sicher dutzend Verstöße seitens der Österr. Executive, aber auch Legislative
    finden, die in Ihrem Fall zustande kamen.

    http://europa.eu/about-eu/institutions-bodies/court-justice/index_de.htm

    Liebe Grüße

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