22. November 2024

Kurt Kotrschal: Wolf Hund Mensch

P1050633Dieses im Brandstätter Verlag erschienene Buch wurde zum besten österreichischen Sachbuch des Jahres 2012 gekürt. Es enthält sehr viele spannende Erkenntnisse über Wölfe und man spürt die Liebe des Autors zu diesen Tieren durch. Erfreulich, dass er dabei auch zu seinem Lehrer Konrad Lorenz in konstruktiver Weise in manchen Punkten auf Distanz geht, so zu Lorenz‘ Idee der Verhausschweinung des Menschen oder der strikten Dominanz im Wolfsrudel. Stattdessen, meint Kotrschal, sind Wolfsrudel egalitär organisierte, kooperative Familienverbände und es gibt keine hierarchischen Entscheidungen. Die Jüngeren würden sich an den Älteren orientieren, weil sie deren Altersweisheit schätzen. Die Wölfe halten sich an die Gruppenregeln, nicht etwa aus Angst vor Strafe, sondern weil ihr Stirnhirn, das im Alter von 2 Jahren ausgereift ist, ihnen die Kontrolle ihrer Emotionen ermöglicht. Zu Rudelrevolutionen kommt es fast nie, wenn, dann durch Zuwanderer und natürlich in Gefangenschaft. Im Rudel ist die Aggression sehr gering, doch zwischen den Rudeln gibt es manchmal sogar einen regelrechten Vernichtungskrieg. Für Mensch und Wolf sei eine Trennung in „Wir und die anderen“ typisch, nicht aber für Gänse und Pferde etwa. In einer nicht bejagten Wildnis gehen 60% aller Todesfälle bei den Wölfen auf das Konto solcher Nachbarschaftskonflikte. So komme es auch zu Kannibalismus unter den Wölfen – und zu einer Kontrolle der Populationsdichte.

Das Verhältnis von Wolf und Mensch – Kotrschal nennt die beiden Schwesterarten – ist seit jeher gespalten. Vor 60.000 Jahren, mutmaßt er, folgten gewisse Wölfe „ihren“ Menschengruppen, um von deren Abfällen zu leben. In Langmannersdorf im Bezirk St. Pölten fand man Spuren einer Wolfsbestattung durch Menschen vor 20.000 Jahren. Offenbar habe man die Wölfe als beseelt gesehen und an ihr Leben nach dem Tod geglaubt. Doch die Wölfe wurden im Großteil Europas in den letzten 200 Jahren gezielt ausgerottet. Dabei sei es auch um den Schutz vor Nutztieren auf der Weide gegangen, aber vor allem um die Jagd. Etablierte Wolfsrudel, so Kotrschal, würden nämlich Nutztiere meiden und sich fast ausschließlich von Wildtieren ernähren. Eine Studie in Deutschland ergab, dass 55% der Wolfsopfer Rehe sind, 21% Hirsche, 18% Wildschweine und 3% Hasen. Und genau deshalb wurde der Wolf zum größten Konkurrenten der Jägerschaft.

Kotrschal ist sehr explizit mit seiner Kritik an der Jagd: In Österreich überhegt man Rehe und Hirsche, um eine hohe Jägerpopulation zu ermöglichen, die dann behauptet, sie wäre das nötige Korrektiv, um die Wilddichten in Grenzen zu halten. De facto ist es genau umgekehrt. Österreich wäre eigentlich ein ideales Habitat für Wölfe und tatsächlich wandern jährlich bis zu 10 Tiere ein. Kotrschal macht unzweideutig die Jägerschaft dafür verantwortlich, dass alle diese Tiere wieder verschwinden: durch gesetzwidrigen Abschuss.

Vor 16.000 Jahren wurden einige eurasische – nicht aber amerikanische – Wölfe mit der Sesshaftwerdung der Menschen in Südchina zu Hunden domestiziert, d.h. nach Friedfertigkeit und Toleranz selektiert. Dadurch schrumpfte das Vorderhirn bei Hunden um 30% im Vergleich zu Wölfen, sie sind Menschen gegenüber weniger nachtragend. Kotrschal bricht dann eine Lanze für eine enge Mensch-Hund Beziehung. Wichtig seien viele gemeinsame Unternehmungen und Erlebnisse, unter wechselseitiger Aufmerksamkeit und ohne Leine, und jedenfalls ohne Dominanz. Im Gegensatz zu den Hundeschulen, die auf Konditionierung setzen, betont Kotrschal dass Emotion in der Stimme beim Gespräch mit Hunden wichtig ist. So entwickle sich eine enge Beziehung des gegenseitigen Vertrauens und der Unterstützung. Hunde vermitteln Menschen mehr soziale Kompetenz und durch Oxytocin-Ausschüttung beim Kontakt eine positive Grundstimmung und soziale Wärme. Menschen, die eng mit Hunden zusammenleben, seien um 10-20 % seltener krank. Es komme sogar zu einem Austausch der Mikrobenwelt, dem Biom, zwischen Mensch und Hund, was Allergien reduziere. Die Beziehungsqualität und das äußere Auftreten der Hunde sei zu 80% durch die Persönlichkeit und den Kommunikationsstil der Bezugsmenschen dieser Hunde bestimmt. Bissverletzungen durch Hunde wären in diesem Sinn durch gute, enge, wechselseitige Beziehungen weitestgehend vermeidbar.

In Österreich gibt es 700.000 Hunde mit 1,5 Millionen Bezugsmenschen und einem Umsatz von 2,5 Milliarden Euro pro Jahr. Hunde würden in der Gesellschaft immer wichtiger, ein mit Hunden aufgewachsenes Kind sei sozial wesentlich kompetenter. Deshalb, so Kotrschal, ist es „Steinzeitpolitik“, die Hundehaltung durch Schikanen einzuschränken, wie das heute vielerorts geschieht.

Kotrschals Buch ist auf jeden Fall lesenswert und zu empfehlen. Schade finde ich allerdings, dass nur sehr wenig von seinen eigenen Forschungsergebnissen am Wolf Science Center in das Buch eingeflossen sind. Dafür gibt es dieses Zentrum wahrscheinlich noch zu kurz – aber dann hätte das Buch vielleicht auch noch einige Jahre warten sollen. Oder plant Kotrschal einen zweiten Teil? Ich würde es mir wünschen.

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