22. November 2024

Gelebte Utopie: ein Tag im Leben mit meinem Hund

P1010680kleinDie Nacht verbrachten wir gemeinsam zusammengekuschelt auf einer Matratze in einer Blockhütte. Mit dem Aufstehen ließen wir uns Zeit, doch um 9 Uhr krochen wir beide zur Kochstelle, um uns einen Grießbrei mit Sojamilch zu bereiten. Bald darauf sind wir im Wald unterwegs, beschnüffeln die Pflanzen, pflücken Himbeeren und Erdbeeren von den Stauden in Waldlichtungen und finden hier und da bereits die ersten Schwammerl.

Nach einer Rast im Schatten stoßen wir auf einen eiskalten Waldsee. Dicht mit Wasserpflanzen bewachsen bietet er aber auch einen großartigen Blick auf die umliegenden Berge. Mein Hund schwimmt ein bisschen, mir reicht es, zur Abkühlung bis zum Oberschenkel ins Wasser zu gehen.

Am Nachmittag widme ich mich dem Klettern in einer kleinen Felswand. Zuerst bleibt mein Hund am Wandfuß liegen, dann wechselt er gut 200 m weiter in den kühlen Wald, praktisch außer Sichtweite. Ich habe volles Vertrauen zu ihm. Immer wieder kommen Wanderer vorbei, manchmal auch Autos, ich schaue aber nicht einmal die Felswand hinunter wie er reagiert, obwohl die Forststraße zwischen ihm und mir liegt.

Am Abend besuchen wir einen großen See. Zuerst geht mein Hund nur zögerlich ins Wasser, dann schwimmt er zügig los, fast habe ich Probleme mitzuhalten. Zielgerichtet krault er quer über den gesamten See, die Stelle, an der wir ins Wasser gegangen sind, ist schon nur noch kaum zu sehen. Am anderen Ufer schnüffeln wir kurz herum und machen uns bald auf den Rückweg. Mein Hund schwimmt dabei dicht neben mir, die untergehende Sonne spiegelt sich in seinen Augen. Unser Atemrhythmus ist synchronisiert.

Am späten Abend kochen wir gemeinsam etwas zu Essen und genießen es, danach im dunklen, kühlen Wald nebeneinander zu sitzen und auf die Geräusche der WaldbewohnerInnen zu lauschen.

Ein Tag ohne Leine, ja ohne Brustgeschirr, ohne Befehle, ohne Kommandos. Gelebte Utopie einer gemeinsamen Autonomie. Viel Kommunikation zwischen uns, und Rücksichtnahme, und Achtgeben aufeinander. Wir können beide mitentscheiden, was geschieht.

Leinenzwang? Mit einer Leine wären solche Tage nicht möglich. Soll ich sie beim Überqueren des Sees im Mund halten? Soll ich ihn während des Kletterns anfesseln? Undenkbar!

6 Gedanken zu “Gelebte Utopie: ein Tag im Leben mit meinem Hund

  1. DANKBARKEIT und FREUDE an die MACHT, denn ich durfte sie mitfühlen – sowohl die wundervolle Balluch-Hund-Utopia-Vision als auch die Kommentare dazu und beides beREICHert, hat mich herzmäßig noch reicher gemacht. …So schön, daß wir alle hier jetzt auf diesem Planeten sind, um sooo gemeinsam vorwärts zu gehen und ich bin überzeugt, das heilt automatisch auch andere/s. noch vor Jahren wären solche Worte nicht so selbstverständlich, Emotionen nicht so mitfühlbar gewesen – nur das Leid der Tiere, das hat mich immer schon fast !!! überrannt. … doch jetzt in der neuen Wandlungszeit ist dies anders wahrnehmbar geworden und all solche Worte (wie oben) heilen, lassen aufwachen in die Emotion hinein, wir “verstoffwechseln” sie im Herzen und heraus kommt ??? !!!! DANKBARKEIT und FREUDE an allem, was wir mit unseren Verwandten, den Tieren erleben dürfen … vontierherzuherz Roswitha Rhomberg

  2. @Paula: Mein Hund und ich kommunizieren emotional, d.h. ich versuche ihm meine Emotionen zu vermitteln, und er mir seine. Darunter kann auch die Emotion totaler Angst oder totalen Entsetzens sein. Meine Erfahrung ist, dass mein Hund, wenn ich dieses totale Entsetzen äußere, mit dem, was er gerade tut, sofort aufhört. Das kann auch sein, wenn er ein anderes Tier verfolgt (oder auf eine Wechte über einer Felswand steigt usw.).

    Mein Hund würde Hasen hinterherlaufen, aber nur sehr kurz, keine 10 Sekunden. Dann kommt er zurück. Bei größeren Tieren, wie Rehen, macht er das normalerweise nicht, vermutlich aus Angst vor deren Größe. Ditto bei Hirschen, Kühen, Bären, Wöfen und Lamas etc.

    Probleme haben wir nur, wenn er Mäuse oder Lemminge tötet, was noch bis vor einigen Jahren recht häufig vorgekommen ist. Das geht so schnell, dass ich erst danach entsetzt sein kann. Aber seit einem Jahr oder so macht er das auch nicht mehr, ich weiss nicht genau warum.

  3. Wir hatten bisher drei Hunde und jeder Hund war anders. Der erste sah wie ein kleiner dt. Schäfer aus. Er war extrem feig. Wenn er in der Nacht etwas hörte versteckte er sich. Er war auch kein Jäger. Wir waren immer ohne Leine mit ihm im Wald unterwegs. Hinter uns sprangen Rehe über den Weg, ihm war das egal. Einmal stieß er fast mit einem Dachs zusammen. Sie standen Auge in Auge, jeder drehte sich dann um und dann gingen sie einfach weg.
    Später hatten wir einen Wolfsspitz. Mit dem konnte man nicht ohne Leine gehen. Als er (eigentlich sie) erwachsen wurde ging er auf manche Leute grundlos los. Wenn mir jemand zu nahe kam ging sie sofort dazwischen. Sogar den sonst sehr geliebten Nachbarn zwickte er, als dieser einmal alleine in unser Haus kam weil ich nicht dabei war. Nicht arg zwar, aber es war eine Drohung.
    Jetzt haben wir einen Jagdhundmischling der absolut harmlos ist, aber er ist ein Jäger und noch dazu eigensinnig. Wenn der einen Fuchs, oder einen Dachs sieht kann ich ihn kaum halten. Und er geht nicht über Kanaldeckel. Wenn er einen nicht rechtzeitig bemerkt erschrickt er so, dass er auch mal auf die Straße springen würde – wäre er nicht angeleint.

    Ich denke jeder kennt seinen Hund gut genug um zu wissen ob, bzw. wo er ihn ohne Leine laufen lassen kann.

  4. Hallo Martin!

    vielleicht kannst du mir die Frage beantworten: wie ist das mit dem Instinkt des Hundes: wenn er einen Hasen der ein Rehkitz wittert und es jagt? Oder gibt es diesen Instinkt nicht? Was machst du, wenn der Hund losfetzt um einen Hasen zu jagen und er für deine Kommunikationssignale dann nicht mehr empfänglich wäre?

    In jedem Fall bieten deine Blogeinträge willkommene Denkanstöße, das gefällt mir!

  5. Bei uns scheitert es da eher an meinem Kontrollbedürfnis. Ich habe weder volles Vertrauen in mich, noch in meinen Hund. Sie rennt leider nach wie vor ohne zu schauen über jede Straße und ich weiß nicht, wie ich das mit ihr üben kann. Ich habe Angst, dass sie auf die Bahnschienen läuft, wenn sie einem Hasen folgt. Sie lebt somit lediglich in unserem 7000qm großen Gartengefängnis leinenfrei. Das bietet definitiv mehr Platz, als die Zwinger, in denen sie die vorherigen zwei Jahre ihres Lebens verbracht hat, aber es bleibt ein Gefängnis. Ich arbeite an mir.

  6. eine wunderschöne erlebte geschichte. leider ist so ein erlebnis nicht für manche menschen und nicht für alle hunde möglich.
    unser hund kommt ursprünglich aus einer slowakischen tötung und eine tante, die jetzt krebskrank ist, hat ihn adoptiert, jetzt lebt er seit einem dreiviertel jahr bei uns. er ist 2,5 jahre alt und noch immer schwer traumatisiert. er hat hin und wieder noch immer angst vor männern, verträgt sich wohl aufgrund des futterkampfes in der tötung nicht mit allen hunden und er kann auch vor lauter panik davonlaufen (angst vor lkw’s oder einem knall oder einem moped, aber auch sogar angst vor anderen hunden). ich würde mir für unseren pflegehund auch wünschen, so ein unbeschwertest leben führen zu können, und ich hoffe, er kann seine ängste noch irgendwann mal ablegen. möchte damit sagen, dass ich es toll finde, wenn ein hund so selbstverständlich mit seinem herrli mitlebt, aber leider ist das aufgrund von negativen erlebnissen nicht allen hunden möglich. ich bin im moment noch sehr sehr froh, eine leine zu besitzen, auch wenn ich es mir anders wünschen würde.
    ich weiß, menschen mit hund, der keine schädigung hat, denken so. menschen mit einem geschädigten hund denken anders. da sind leider sogar hunde ohne leine, die sehr freundlich, super sozialisiert und folgsam sind, eine gefahr, weil der angsthase ausreißen könnt.
    außerdem werden in schladming, wo ich ursprünglich herkomm, noch immer hunde von jägern erschossen. ist man in der ramsau oder im rohrmoos unterwegs, ich würd keine wiese wissen, keinen weg, wo ich mich mit einem hund ohne leine gehen würd trauen, weil die bauern (= oft gleich jäger) da den ruf haben, dass sie sehr gern schießen…

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