22. November 2024

Kampagnenerfolg „Verschärfung des Tierschutzgesetzes“

Ferkel54kleinKürzlich nahm ich an einer Diskussion über die Frage der Charakteristik der österreichischen Tierschutzbewegung teil. Ich war schon in verschiedenen anderen Ländern aktiv, nicht nur als Besucher, sondern auch als Organisator von Kampagnen über längere Zeit. Und mit meiner Erfahrung wurde mir beim Austausch in diesem Gespräch bewusst, dass sich die Bewegungen verschiedener Länder tatsächlich oft dramatisch unterscheiden. Aktivitäten, die in einem Land selbstverständlich sind, können in einem anderen als völlig absurd abgelehnt werden. Die Tierschutzszenen mancher Länder sind für gewisse Ideen oder Kritiken empfänglich, andere wieder überhaupt nicht. Offenbar entwickeln sich auch Kampagnenstil und ideologischer Überbau einer sozialen Bewegung im Rahmen der Geschichte ihres Landes und der eigenen Erfahrungen ihrer Bewegung, obwohl die aktivistische Lebenszeit der meisten Menschen relativ kurz ist und maximal einige Jahre beträgt.

Ein auffälliges Beispiel dafür ist die Debatte über Abolitionismus und Reformismus, die zuletzt von Gary Francione losgetreten wurde, siehe https://martinballuch.com/?p=3208. Während Franciones Gedanken in manchen Ländern und deren Tierschutzszenen auf fruchtbaren Boden fielen, war in Österreich eigentlich niemand dafür zu begeistern. Es scheint sich hier kein Mensch bemüßigt zu fühlen, die praktische Effektivität des Reformismus in Frage zu stellen. Auch wenn sich nicht alle reformistisch engagieren, so sieht man doch keinen Widerspruch, sondern eher eine Ergänzung, in einer Reformkampagne im Verhältnis zur Bewusstseinsbildung. Dieses Problem ist sozusagen „gegessen“.

Anders liegt die Sache aber bei gesetzlichen Reformen. Obwohl wir auch dafür in Österreich eigentlich eine lange Geschichte der Kampagnenarbeit mit bemerkenswerten Erfolgen haben, gibt es weite Kreise der Tierschutzszene, die es nicht für wert erachten, in Gesetzesreformen ihre Zeit und Energie zu investieren. Und das überrascht mich. Sind wir mit diesbezüglichen Erfolgen schon so sehr verwöhnt, dass wir die Perspektive verloren haben?

Noch vor 16 Jahren hielt ich jeden ernsthaften Fortschritt in der Tierschutzgesetzgebung für absolut illusorisch. Ich kam aus der englischen Bewegung und dort hatte man diese Stoßrichtung völlig aufgegeben. Die Machteliten machen sich ihre eigenen Gesetze, so der Eindruck, da wäre von „unten“ nichts auszurichten. Und tatsächlich gab es in dieser Hinsicht in England praktisch überhaupt keinen Fortschritt über viele Jahre hinweg.

Noch 2003, am Beginn unserer Kampagne für ein Legebatterieverbot in Österreich, schrieb ich in einer internen Stellungnahme, dass ich persönlich ein Ende der Legebatterien wahrscheinlich nicht mehr erleben würde. Und das nicht etwa, weil ich meinen Tod nahen spürte, sondern weil ich einfach nicht glauben konnte, dass wir eine so mächtige Industrie durch ethische Argumente und Druck von unten dazu bringen würden, zuzulassen, dass die Kosten der Herstellung ihrer Produkte durch Gesetzgebung verdoppelt werden. Tatsächlich kostet ein Bodenhaltungsei der Herstellerfirma doppelt so viel wie eines aus der Käfighaltung. Alle Erfahrung, die ich mit der Wirtschaft und ihren Steuerungsmechanismen hatte, widersprach daher einer Erfolgsaussicht. Genau 15 Monate später wurde das Gesetz beschlossen, 4 Jahre später verschwanden die Käfigeier aus den Supermarktregalen und 6 Jahre später sperrten die letzten Legebatterien tatsächlich zu. Es war also doch möglich.

Menschen, die in Österreich in den letzten 15 Jahren im Tierschutz aktiv waren, sind diesbezüglich erfolgsverwöhnt. Jahr für Jahr konnten wir weitere Verschärfungen des Tierschutzrechts umsetzen, auch wenn die Übergangsfristen länger und die Fortschritte kleiner wurden. Aber man muss nur über den Tellerrand schauen, sei es zu anderen sozialen Bewegungen oder in andere Länder, und man sieht dort keinerlei vergleichbare Veränderungen. Gesetze gelten für alle BürgerInnen, unter Androhung von Gewalt. Es ist keine Kleinigkeit, so etwas zu verändern.

Zuletzt haben wir die Aufnahme von Tierschutz in die Verfassung erreicht, die Vorschreibung eines Kriterienkatalogs für die ethische Schaden/Nutzen Abwägung jedes Tierversuchs und ein Verbot der Kastenstandhaltung von Mutterschweinen. Kleinigkeiten? Oder Lächerlichkeiten? Mitnichten! Alle müssen sich ab jetzt in Österreich daran halten, auch die ÖVP, die mächtige Schweineindustrie und die Pharmakonzerne. Die neuen Tierschutznormen sind schlagkräftige Hilfsmittel, um den Tierschutz weiter zu bringen.

Bei so vielen Erfolgen liegt der Gedanke nahe, diese Fortschritte wären leicht erreicht und eine Selbstverständlichkeit. Doch das ist nicht so. Es wäre gut, wenn wir unsere eigenen Erfolge höher wertschätzen würden.

7 Gedanken zu “Kampagnenerfolg „Verschärfung des Tierschutzgesetzes“

  1. @Martin ok, ich hab mir noch paar Videos von ihm angeschaut, und er kritisiert tatsächlich die Reformanstrengungen aller möglichen Tierrechts(oder -schutz)-gruppen recht intensiv.

    Und Maqi war mir auch immer schon unsympathisch mit ihrer “wir ham die einzig wahre weisheit gepachtet”-einstellung.

    Aber ich finde rein prinzipiell die Idee von Abolitionismus nicht so schlecht, und die Kritik an Reformismus ist auch nicht immer 100%ig falsch. Was mit Sicherheit falsch ist ist die Vehemenz mit der die eigene Ideologie verteidigt wird ohne einen Gedanken an Kritik oder alternative Sichtweisen zu verschwenden. Aber Menschen sind nunmal zutiefst irrationale Wesen…

  2. @lwp: “Hier” bezog sich auf Österreich.

    @Daniel: Ich habe mit Francione viel korrespondiert. Er hat definitiv eine breite Angriffsfront gegen alle Organisationen aufgezogen, die seinem Ideal nicht entsprechen und mehr Energie in deren Bekämpfung investiert, als in konstruktive Aktivität. Ähnlich wie Maqi in Deutschland z.B.. Wie gesagt, er nannte den VGT das größte Hindernis am Weg zu Tierrechten, also weg mit dem VGT, damit wir Tierrechte erreichen können. So weit Francione.

  3. Also soweit ich das mitgekriegt habe ist Francione dafür alle Ressourcen in vegan-outreach Projekte zu stecken, nicht in den aktiven Kampf gegen Reformismus. Er äussert Kritik am Reformismus, ja, aber mir ist jedenfalls nicht untergekommen dass er den aktiven Kampf gegen Reformismus in irgendeiner Weise propagiert. Aber ich habe auch noch kein Buch von ihm gelesen. Ich will nur meinen dass ich seine Kritik zumindest teilweise nachvollziehen kann, auch wenn ich ihr nicht ganz zustimme. Vorallem die Aussage das jegliche Form von Reformismus nur unwirtschaftliche Praktiken betrifft halte ich für etwas fragwürdig. Deshalb alle seine Positionen zu verwerfen halte ich nicht für sinnvoll.

  4. Als gelernter Fastösterreicher kennt man doch das System der Gesetzgebung. Selbst wenn sich einmal die Parteien auf ein neues Gesetz geeinigt haben, wird der Gesetzestext so schwammig formuliert, dass jeder Richter und Jurist eine Vielfalt von Auslegungsmöglichkeit vorfindet. Soltte dennoch einmal jemand zu penetrant auf die buchstabengetreue Einhaltung eines Gesetzes drängen, werden diesem sicher bald die Grenzen seines Handels von Lobbyisten oder auch deren beauftragten Institutionen klargemacht. So kann man jegliches Engagement, das nicht mit Parteiinteressen im Einklang steht, im Keim ersticken. Den mutigen Reforminteressierten wünsch ich viel Erfolg und Durchhaltevermögen!

  5. @ Daniel: Gegen vegan-outreach ist ja nichts zu sagen. Franciones “mad abolitionism” besteht im aktiven Kampf gegen alles andere. Und das sehe ich bei der VGÖ überhaupt nicht, im Gegenteil, wir teilen dasselbe Büro, die AktivistInnen sind zum Großteil dieselben und viele Aktivitäten unternehmen wir gemeinsam, wie z.B. die Veganen Sommerfeste oder Infostände bei Events. Wir arbeiten großartig zusammen, ist mein Eindruck, von Francionismus keine Spur. Nach Francione ist ja der VGT das größte Hindernis für die Umsetzung von Tierrechten.

  6. In Österreich war niemand für Franciones Gedanken zu begeistern? Ist die VGÖ nicht durch und durch ein Vegan-Outreach Programm ganz im Sinne von Francione?

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